Kunst und Jugend
Deutsche Blätter für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr.65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach I Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang August 1931 Heft 8
ERWIN HECKM ANN-ETTERSBURG:
DIE MITARBEIT UNBEWUSSTER KRÄFTE
Daß es in uns Kräfte gibt, die uns nicht bewußt
sind, wird wohl heute niemand mehr bezweifeln.
Wenn wir sie auch nicht selbst zu erkennen vermögen,
noch die Gesetze, nach denen sie wirken, so erfah-
ren wir doch ihr Dasein durch ihre Wirkungen, die
uns oft wie Geschenke sind, von denen wir nicht
wissen, woher sie kommen.
Diese Kräfte wirken, wenn sie sich entfalten können,
von selbst mit bei jeder Arbeit, die in Ruhe und stil-
ler Versenkung geschieht, sie wirken sich aber be-
sonders stark aus bei völliger Konzentration des
Schaffenden. Dann drängen sie die Verstandeskräfte
in ihre dienende Stellung zurück oder schalten sie
ganz aus, wie es beim rein künstlerischen Schaffen
der Fall ist. in diesem Zustand ist dann die Brücke
geschlagen zu den ewigen Kräften des Alls, und das
Herüber und Hinüber geht hemmungslos vor sich. Ein
Kämpfen und Ringen während der Arbeit um irgend
einen Gedanken, eine Fassung, eine Form, von ir-
gend einem Zusammenhang, ist immer ein Ringen der
unbewußten Kräfte mit dem Verstand, der nicht wei-
chen will. Das hemmungslose, freie Schaffen setzt
erst dann ein, wenn sich die unbewußten Kräfte frei
auswirken können. In diesem Zustand wird dann der
Schaffende, gleichviel, ob er Künstler, Gelehrter oder
sonst etwas ist, zum Seher, zum Schöpfer.
Der rein Intellektuelle, der Verstandesmensch, fin-
det zu dieser Art des Schaffens keinen Weg. Er bleibt
stets an der Randlinie der wirklichen Erkenntnis stehen,
und so bleibt ihm das Eindringen in die Tiefe, das in-
nere Schauen, verschlossen. Er ahnt nicht die innersten
Zusammenhänge und versteht deshalb auch nicht den
andern, der die Wege dazu findet. So ist es begreif-
lich, daß er auch dessen Erkenntnisse in der Regel
ablehnt. Diesen einseitigen Typ wird es immer geben,
aber durch verkehrte Schulung ist er jahrzehntelang
getadezu gezüchtet worden, ein Fehler, den die zu
eiwartende zukünftige Schule vermeiden wird.
Leidei ist von der Auswirkung dieser Kräfte in der
Schule, oeim Schaffen der Jugendlichen im Unterricht,
selbst in Lehrerkreisen noch so wenig bekannt, daß
ich anregen möchte, eine Aussprache darüber in
Kunst und Jugend herbeizuführen, und daß Erfahrun-
gen gesammelt und mitgeteilt werden, die wieder
Anregung geben zu neuen Beobachtungen und Fest-
stellungen. Allerdings wird nur der seelenkundlich
bewanderte Lehrer dafür in Betracht kommen. Auch
IM BILDGESTALTENDEN UNTERRICHT
wird es nicht in allen Unterrichtsgebieten zugleich
möglich sein, derartige Beobachtungen zu machen,
wohl aber da und dort und sicherlich in allen künst-
lerischen Fächern, im Deutschunterricht, in den Zei-
chenstunden, in der Musik und vielleicht noch bei
der Werkarbeit.
Schüler, die wir von Anfang an haben, sind in dieser
Beziehung leicht zu führen, denn sie haben ja in der
Kindheit noch den Zusammenhang mit dem Unbewuß-
ten. S i e finden auch den Weg über die kritische
Zeit der Reifeentwicklung durch die Möglichkeit einer
harmonischen Entfaltung und Entwicklung ihrer Kräfte.
Schwierig und zum Problem wird diese Frage erst bei
verbildeten jungen Menschen, die nur einseitig ver-
standesmäßig geschult sind, und das Problem wird
schwieriger, je älter diese Schüler sind.
Vor dieses Problem bin ich in den Lietzschen Hei-
men immer wieder gestellt worden, und durch Beob-
achtung meiner Schüler und durch engeren Zusammen-
schluß mit ihnen habe ich die Art ihres Ringens und
die Wege, die der eine oder andere zur Befreiung
seiner unbewußten Kräfte fand, kennen und sie selbst
gehen gelernt. So kam ich zu den Phantasieanregun-
gen, den Befreiungs- und Konzentrationsübungen und
zu seelenkundiichen Erkenntnissen, die mir bisher für
die Arbeit mit der Jugend von hohem Wert waren.
Meine besten Erfahrungen auf diesem Gebiete habe
ich aber erst dann sammeln können, als ich gelernt
hatte, mich auf den jungen Menschen einzustellen
und bei meiner Erziehungsarbeit von ihm die Richtung
weisen zu lassen.
Das Zeichnen von einst in der Schule hat sich ja
stark gewandelt. Wir trennen heute scharf die natur-
wissenschaftlich gerichtete Darstellung nach der Natur
und aus dem Gedächtnis von der Gestaltung im künst-
lerischen Sinn, welch letztere eng zusammenhängt mit
der Mitarbeit unbewußter seelischer Kräfte.
Wie nur dann wahrhaft musiziert werden kann, wenn
im Musizierenden selbst alles klingt und singt, so kann
der Schüler auch nur dann bildhaft schaffen, wenn
er innerlich voller Bilder ist. Dieser Zustand des in-
neren Schauens kann erreicht werden durch Frei-
machen der dazu nötigen seelischen Kräfte, die frei-
werden und sich auswirken im Zustand der Konzen-
tration.
Da nun bildhafte Gestaltung eine Verwirklichung
innerer Bildgesichte ist, die durch die geistige Tätig-
201
Deutsche Blätter für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr.65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach I Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang August 1931 Heft 8
ERWIN HECKM ANN-ETTERSBURG:
DIE MITARBEIT UNBEWUSSTER KRÄFTE
Daß es in uns Kräfte gibt, die uns nicht bewußt
sind, wird wohl heute niemand mehr bezweifeln.
Wenn wir sie auch nicht selbst zu erkennen vermögen,
noch die Gesetze, nach denen sie wirken, so erfah-
ren wir doch ihr Dasein durch ihre Wirkungen, die
uns oft wie Geschenke sind, von denen wir nicht
wissen, woher sie kommen.
Diese Kräfte wirken, wenn sie sich entfalten können,
von selbst mit bei jeder Arbeit, die in Ruhe und stil-
ler Versenkung geschieht, sie wirken sich aber be-
sonders stark aus bei völliger Konzentration des
Schaffenden. Dann drängen sie die Verstandeskräfte
in ihre dienende Stellung zurück oder schalten sie
ganz aus, wie es beim rein künstlerischen Schaffen
der Fall ist. in diesem Zustand ist dann die Brücke
geschlagen zu den ewigen Kräften des Alls, und das
Herüber und Hinüber geht hemmungslos vor sich. Ein
Kämpfen und Ringen während der Arbeit um irgend
einen Gedanken, eine Fassung, eine Form, von ir-
gend einem Zusammenhang, ist immer ein Ringen der
unbewußten Kräfte mit dem Verstand, der nicht wei-
chen will. Das hemmungslose, freie Schaffen setzt
erst dann ein, wenn sich die unbewußten Kräfte frei
auswirken können. In diesem Zustand wird dann der
Schaffende, gleichviel, ob er Künstler, Gelehrter oder
sonst etwas ist, zum Seher, zum Schöpfer.
Der rein Intellektuelle, der Verstandesmensch, fin-
det zu dieser Art des Schaffens keinen Weg. Er bleibt
stets an der Randlinie der wirklichen Erkenntnis stehen,
und so bleibt ihm das Eindringen in die Tiefe, das in-
nere Schauen, verschlossen. Er ahnt nicht die innersten
Zusammenhänge und versteht deshalb auch nicht den
andern, der die Wege dazu findet. So ist es begreif-
lich, daß er auch dessen Erkenntnisse in der Regel
ablehnt. Diesen einseitigen Typ wird es immer geben,
aber durch verkehrte Schulung ist er jahrzehntelang
getadezu gezüchtet worden, ein Fehler, den die zu
eiwartende zukünftige Schule vermeiden wird.
Leidei ist von der Auswirkung dieser Kräfte in der
Schule, oeim Schaffen der Jugendlichen im Unterricht,
selbst in Lehrerkreisen noch so wenig bekannt, daß
ich anregen möchte, eine Aussprache darüber in
Kunst und Jugend herbeizuführen, und daß Erfahrun-
gen gesammelt und mitgeteilt werden, die wieder
Anregung geben zu neuen Beobachtungen und Fest-
stellungen. Allerdings wird nur der seelenkundlich
bewanderte Lehrer dafür in Betracht kommen. Auch
IM BILDGESTALTENDEN UNTERRICHT
wird es nicht in allen Unterrichtsgebieten zugleich
möglich sein, derartige Beobachtungen zu machen,
wohl aber da und dort und sicherlich in allen künst-
lerischen Fächern, im Deutschunterricht, in den Zei-
chenstunden, in der Musik und vielleicht noch bei
der Werkarbeit.
Schüler, die wir von Anfang an haben, sind in dieser
Beziehung leicht zu führen, denn sie haben ja in der
Kindheit noch den Zusammenhang mit dem Unbewuß-
ten. S i e finden auch den Weg über die kritische
Zeit der Reifeentwicklung durch die Möglichkeit einer
harmonischen Entfaltung und Entwicklung ihrer Kräfte.
Schwierig und zum Problem wird diese Frage erst bei
verbildeten jungen Menschen, die nur einseitig ver-
standesmäßig geschult sind, und das Problem wird
schwieriger, je älter diese Schüler sind.
Vor dieses Problem bin ich in den Lietzschen Hei-
men immer wieder gestellt worden, und durch Beob-
achtung meiner Schüler und durch engeren Zusammen-
schluß mit ihnen habe ich die Art ihres Ringens und
die Wege, die der eine oder andere zur Befreiung
seiner unbewußten Kräfte fand, kennen und sie selbst
gehen gelernt. So kam ich zu den Phantasieanregun-
gen, den Befreiungs- und Konzentrationsübungen und
zu seelenkundiichen Erkenntnissen, die mir bisher für
die Arbeit mit der Jugend von hohem Wert waren.
Meine besten Erfahrungen auf diesem Gebiete habe
ich aber erst dann sammeln können, als ich gelernt
hatte, mich auf den jungen Menschen einzustellen
und bei meiner Erziehungsarbeit von ihm die Richtung
weisen zu lassen.
Das Zeichnen von einst in der Schule hat sich ja
stark gewandelt. Wir trennen heute scharf die natur-
wissenschaftlich gerichtete Darstellung nach der Natur
und aus dem Gedächtnis von der Gestaltung im künst-
lerischen Sinn, welch letztere eng zusammenhängt mit
der Mitarbeit unbewußter seelischer Kräfte.
Wie nur dann wahrhaft musiziert werden kann, wenn
im Musizierenden selbst alles klingt und singt, so kann
der Schüler auch nur dann bildhaft schaffen, wenn
er innerlich voller Bilder ist. Dieser Zustand des in-
neren Schauens kann erreicht werden durch Frei-
machen der dazu nötigen seelischen Kräfte, die frei-
werden und sich auswirken im Zustand der Konzen-
tration.
Da nun bildhafte Gestaltung eine Verwirklichung
innerer Bildgesichte ist, die durch die geistige Tätig-
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