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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 8 (August 1931)
DOI Artikel:
Heckmann, Erwin: Die Mitarbeit unbewusster Kräfte im bildgestaltenden Unterricht
DOI Artikel:
Herrmann, Hans: Darstellendes und Gestaltendes Zeichnen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0214

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Die äußeren Gesichtssinneserlebnisse sind es übri-
gens nicht allein, die unsere Vorstellung mit Formen
erfüllen, sondern oft genug sind es innere Erlebnisse,
die mit dem geistigen Auge geschaut werden. Vor
allem ist es der künstlerisch befähigte junge Mensch,
der in sich hinein horcht und sieht, wobei jede Intui-
tion die Geburt einer Idee, eines seelischen Erleb-

nisses in das Bewußtsein, in unsere Vorstellung ist.
Natürlich können wir im Unterricht nicht darauf fußen,
denn nur wenige unserer Schüler sind Künstlernaturen.
Aber wir müssen um diese Dinge und Zusammenhänge
wissen, weil auf der Kindheitsstufe doch allerlei von
diesem seelischen Erleben und inneren Schauen zu
spüren ist. (Fortsetzung folgt.)

STUDIENASSESSOR HANS HERRMANN-BAMBERG:
darstellendes und gestaltendes zeichnen

Das Ziel des Zeichenunterrichts ist heute im allge-
meinen nicht mehr das der Darstellung, sondern
das der Gestaltung und man könnte mit gewissem
Recht fragen, ob es denn von Interesse sei, Sinn und
Absicht der alten Unterrichtsweise rückschauend zu
betrachten und in Gegensatz zu stellen zu jener an-
dern. Dieses Unternehmen aber ist leicht zu recht-
fertigen mit einem Hinweis auf die grundsätzliche Un-
klarheit, mit der in vielen Fällen das gestaltende
Zeichnen betrieben wird. Die Unsicherheit, die sich
in manchen Programmen, Lehrplänen und Richtlinien
zeigt, kommt eben davon her, daß man wohl mit dem
Herzen die Fruchtlosigkeit des Abzeichnens erkannte,
aber ohne klare Einsicht in die Notwendigkeiten des
schöpferischen Gestaltens blieb, daß die Furcht vor
dem alten Zwang, nicht die freudige Klarheit des
neuen Ziels die Schritte leitete.
Die Wendung zum gestaltenden Zeichnen ist auch
deswegen nicht mit der nötigen Entschiedenheit voll-
zogen worden, weil im Hintergründe immer noch das
ungelöste Problem des Abzeichnens drohte. Man
konnte es wohl in der ersten Aufwallung pädagogi-
schen Gefühls beiseite schieben, es mehren sich aber
schon die Anzeigen dafür, daß sich die allgemeine
Aufmerksamkeit, des unsichern Tastens müde, ihm
von neuem zuwenden wird.
Gewiß scheut man sich, aus der Richtigkeit
der Darstellung unmittelbar die Qualität eines
Bildwerks abzuleiten, aber man wagt es nicht, gegen-
ständliche „Unrichtigkeit“ zu übersehen, man empfin-
det sie in der primitiven Kunst als Mangel, weil die
Augen, im Irrtum über den Sinn der bildnerischen
Leistung und für die unmittelbaren Werte der Gestal-
tung abgestumpft, immerfort den heimlichen Vergleich
mit einem möglichen Naturgegenstand ziehen. Kon-
rad Fiedler und noch deutlicher Gustaf Britsch haben
in ihren kunstthoorotischen Untersuchungen gezeigt,
daß die Auffassung des Kunstwerks als Mittelglied
zwischen einem Gegenstand irgendwelcher Art und
unserer Empfindung und Wahrnehmung irrig ist. Das
Bild von Künstlerhand ist nicht Ersatz für den Gegen-
stand, weder in seiner Erscheinung, noch in den da-
mit verknüpften seelischen Inhalten.
Unbestreitbar sind alle Nebenbedeutungen vorhan-
den, sie betreffen aber nicht das Wesen der bild-
künstlerischen Leistung; sie werden auch vom
verständigen Betrachter wahrgenommen, aber nicht
mit der sinnwidrigen Wertbetonung belegt, der für
die unkünstlerische Beurteilung bezeichnend ist. Jene
Leute, die eine Betrachtungsweise oder eine Theorie
formalistisch schimpfen, wenn sie ihr Augenmerk auf
die Werte der Form richtet, begehen eben einen
Denkfehler; sie nehmen die Form gegenständlich ge-
wissermaßen als einen „Teil" des Kunstwerks, der
neben anderen, mögen sie „Stoff" oder „Inhalt" oder
sonstwie heißen, besteht. In Wirklichkeit ist sie eine
dem Stoff aufgeprägte, übergeordnete geistbestimmte
Beschaffenheit, deren Vorhandensein in keiner
Weise durch irgendwelche stofflich bestimmte Beur-
teilungsmaßstäbe festgestellt werden kann, sondern

nur durch unmittelbare Wertung. Es gibt keine Form
an sich, ohne stoffliche Gebundenheit, keine, die nicht
auch von seelischen Schwingungen durchpulst wäre,
wohl aber „Stoff" und „Erlebnis" aller Art, ohne den
geistigen Adel der Form.
Heute, wo noch die grundsätzlichen Dinge der Kunst
mißverstanden werden, scheut man sich fast, zuzu-
geben, daß durch die Entwicklung von den primitiven
zu den differenzierteren Zeiten, das Werk zu immer
mehr umfassender Einheit verwächst. Es liegt nämlich
die Gefahr nahe, daß der flüchtige und naive Beur-
teiler diese Entwicklung des Bildes zur Gesamtheit
als solche, eben formhafte, gar nicht wahrnimmt und
daß sie ihm nur als die zunehmende Naturrichtigkeit'
erscheint. Im Bewußtsein des möglichen Irrtums müs-
sen wir das Augenmerk umsomehr auf die Reinheit
der Formung innerhalb der durch die Entwicklung ge-
gebenen Stufe lenken und eine Betrachtungsweise,
die zuallererst nicht diese, die bildnerische Qualität
wahrnimmt, sondern den Mangel der von Spätwerken
der Kunst her gewohnten in sich verflochtenen Einheit,
die muß uns verdächtig erscheinen. Das frühe Bild-
werk also, die indische Miniatur oder die ägyptische
Wandmalerei, ist noch nicht in dem eigentlichen Sinn,
wie das späte, ein Bild von Rubens oder Rembrandt
etwa, untrennbare Einheit, es entspringt nicht aus der
Gesamtvorstellung, sondern setzt sich aus
einer Summe von Einzelvorstellungen zusam-
men. Es handelt sich aber bei der primitiven Zeichen-
weise nicht etwa um fehlerhafte oder ungenügende
Auffassung, sondern um die folgerichtige Äußerung
einer ganz bestimmten Stufe geistigen Vermögens
innerhalb einer theoretisch unendlichen Reihe ver-
schiedener Differenzierung. Nur wenn man unentwegt
das eigentliche Problem des Künstlers, das der Form
nämlich, im Auge behält, kann man die Lösung der
Frage in Angriff nehmen, die in der Gegensetzung
„Natur und K.u n s t" liegt.
Der innere Beweggrund des Künstlerischen ist eben,
wenn wir es im Umgangston ausdrücken wollen, die
Freude am Spiel der Form. Dabei ist der Ausdruck
„Form" nicht im Begriff des durch sinnliche Wahrneh-
mung schlechthin Feststellbaren zu nehmen, vielmehr
als die Bezeichnung einer hintersinnlichen, dennoch
unmittelbar sinnlich, ungedanklich erspürten, beglük-
kenden Ordnung des Sichtbaren.
Auch das Wort Ordnung darf man keineswegs in
alltäglichem Sinn auffassen, es handelt sich hier nicht
um ein vom Sinnlichen abgezogenes und willkürliches
Prinzip der Einteilung oder Zusammenfügung, das in
einigen Regeln auszudrücken ist, sondern um die
Durchdringung des sichtbar Stofflichen mit einer aus
dem Wesen des künstlerischen Sehens kommenden
Gesetzlichkeit.
Ein vergleichender Blick auf das Gebiet des Musika-
lischen, wo der Stoff nicht so sehr irrezuleiten ver-
mag, soll die Sache deutlicher machen: Wenn ein
musikalischer Mensch einen langsamen Satz von Beet-
hoven hört, dann ist es nicht der Gefühlsgrund aus
dem das Werk aufsteigt, nicht die besondere Art der

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