Kunst und Jugend
Deutsche Bläffer für Zeichen- Kunsf- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach 1 Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang Mai 1931 Heft 5
WILHELM FRANTZEN-HANNOVER, Mitarbeiter des Niederdeutschen (Hand) Puppenspiels:
WAS UNS ALS BILDNER UND KUNSTERZIEHER AM MARIONETTEN- UND
HANDPUPPENTHEATER BESONDERS FESSELT (Puppe, Bühnenraum und Bühnenbild*)
Die große Schaubühne ist immer ein Sammelplatz
der Künste gewesen. Niemals aber war sie es
anziehender und bewußter als heute. Schauspieler
und Sänger, Dichter und Musiker, Baumeister und Ma-
ler arbeiten hier mit einer Schar von Werkleuten und
versuchen gemeinsam von den Möglichkeiten des
spielenden Menschen aus eine Aufführung zu-
stande zu bringen, in der sich Ihre sämtlichen Arbeits-
ergebnisse zu einer höheren Einheit verbinden.
Die kleinere Puppenbühne sollte sich, soweit sie
das noch nicht getan hat, daran ein Beispiel nehmen.
Sie sollte, falls sie sich durchsetzen will, klar erken-
nen, daß sie dieselben Verpflichtungen hat, nur mit
dem Unterschied, daß s i e sich von den Gegeben-
heiten der Puppe aus einen eigengearteten Auf-
führungsstil erschaffen muß.
Wie lautet denn bisher das allgemeine Urteil? Pup-
pentheater ist etwas für kleine Kinder, allenfalls etwas
für die Schule, aber doch nichts für die „Matinee"
eines Stadttheaters von „Niveau". Marionette und
Handpuppe? Was sie im Grunde ihres Wesens sind?—-
Nun, tote Dinger, die nur lebendig erscheinen, weil
hinter einer Wand versteckte Menschen sie bewegen
und besprechen, und weil da ein plötzlicher Wechsel
von künstlichem Licht und Schatten auf der Oberfläche
des Puppenkörpers arbeitet. — Immerhinl Diese Er-
kenntnis ist schon ein erfreulicher Ansatz zum Ver-
ständnis des Puppentheaters, denn sie trifft im großen
und ganzen das, was die Marionetten- und Handpup-
penspiele gemeinsam besitzen. Es bedarf nur eines
kurzen Schrittes, um auch die Frage nach dem Tren-
nenden der beiden zu berühren. Diese Frage lautet:
worin liegt das besondere, mit dem Bau der Figuren
zusammenhängende Spielgesetz der Marionette und
der Handpuppe, und worin beruht die Eigentümlich-
keit in der Anlage des Bühnenraumes und des Büh-
nenbildes, die die beiden Puppenarten für ihr Spiel
benötigen?
Ich lasse in den folgenden Ausführungen die Stab-
marionette fort, einmal, weil sie eine weniger ge-
brauchte Puppe ist, zum andern, weil sich ihr Spiel-
gesetz in rhythmischer Hinsicht stark mit dem der
mehr benutzten und feineren Fadenmarionette deckt.
Zunächst: Die Fadenmarionette hat ein gewisses
Gewicht. Sie muß hängen, weil ihre Bewegung von
oben her, wie der Name schon sagt, vermittels Fäden
oder Drähten erfolgt. Diese selbst sind in wechseln-
der Zahl an den wichtigsten Gelenken des Puppen-
körpers befestigt und laufen unmittelbar oder mittel-
bar, d. h. über ein Hebelgestell, hinweg, in der Hand
des Spielers zusammen. Wird nun ein Faden hoch-
gezogen, so heben sich auch das daran befestigte
Gelenk und die damit wieder verbundenen Körper-
teile. Das Bestreben des Spielers muß darauf aus-
gehen, mit dem geringsten Aufwand an Handgriffen
und Zeit ein Höchstmaß an Bewegungen und Ge-
schwindigkeit der spielenden Puppe zu erzielen. Daß
dabei durch geschickte Verlagerungen des Schwer-
punktes der Figur viel gewonnen werden kann, sei
nebenbei erwähnt.
Wesentliche Folgerungen: die Marionette ist vom
Scheitel bis zur Sohle beweglich. Sie kann mit ihrem
ganzen Körper auf der Bühne erscheinen. Sie geht,
springt, tanzt und spielt Klavier. Sie fliegt gefahr-
los durch die Lüfte — ohne Motor, Flügel und Pro-
peller. Sie ist also durchaus nicht wie ihr mensch-
licher Berufsgenosse, der Schauspieler, an den Büh-
nenboden gebunden. Sie scheint vielmehr geradezu
mit Anmut und Gelassenheit dem Gesetz der Schwere
zu spotten. Sie bietet damit ihrem unsichtbaren Herrn
und Meister die schönsten Möglichkeiten zur Gestal-
tung einer übernatürlichen Welt.
Die Marionette macht ganz den Eindruck, als ob sie
mit übermenschlichen Kräften begabt sei. Sie ist aber,
was den wirklichen Bau ihres Körpers anbelangt, alles
andere als das. Ihre Bewegungen unterliegen nicht
den ungemein verfeinerten Gesetzen der Anatomie,
sondern den allereinfachsten Gesetzen der Mechanik.
Aus dieser Gebundenheit entwickelt sich denn auch
die besondere Ausdrucksform ihres Spiels. Während
die Bewegung des Menschen auf organische Weise
unmittelbar dem Innern seines Körpers entwächst,
wird die Bewegung der Marionette auf eine mittel-
bare und mechanische Weise von außen an sie heran-
geleitet. Die Form des Puppenkörpers und die Art
seiner Gesten ist wohl vom Menschen übernommen
worden. Aber die begrenzte Zahl ihrer Fäden und
die Art ihrer Bewegung hindert die Marionette doch
daran, diesen im Räuspern und Spucken „täuschend
* Die Druckstöcke für die dem Aufsatj beigegebenen Abbildungen
sind freundlicherweise vom Hinsforff-Verlag, Rostock, rur Verfügung
gestellt worden.
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Deutsche Bläffer für Zeichen- Kunsf- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestrafje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach 1 Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang Mai 1931 Heft 5
WILHELM FRANTZEN-HANNOVER, Mitarbeiter des Niederdeutschen (Hand) Puppenspiels:
WAS UNS ALS BILDNER UND KUNSTERZIEHER AM MARIONETTEN- UND
HANDPUPPENTHEATER BESONDERS FESSELT (Puppe, Bühnenraum und Bühnenbild*)
Die große Schaubühne ist immer ein Sammelplatz
der Künste gewesen. Niemals aber war sie es
anziehender und bewußter als heute. Schauspieler
und Sänger, Dichter und Musiker, Baumeister und Ma-
ler arbeiten hier mit einer Schar von Werkleuten und
versuchen gemeinsam von den Möglichkeiten des
spielenden Menschen aus eine Aufführung zu-
stande zu bringen, in der sich Ihre sämtlichen Arbeits-
ergebnisse zu einer höheren Einheit verbinden.
Die kleinere Puppenbühne sollte sich, soweit sie
das noch nicht getan hat, daran ein Beispiel nehmen.
Sie sollte, falls sie sich durchsetzen will, klar erken-
nen, daß sie dieselben Verpflichtungen hat, nur mit
dem Unterschied, daß s i e sich von den Gegeben-
heiten der Puppe aus einen eigengearteten Auf-
führungsstil erschaffen muß.
Wie lautet denn bisher das allgemeine Urteil? Pup-
pentheater ist etwas für kleine Kinder, allenfalls etwas
für die Schule, aber doch nichts für die „Matinee"
eines Stadttheaters von „Niveau". Marionette und
Handpuppe? Was sie im Grunde ihres Wesens sind?—-
Nun, tote Dinger, die nur lebendig erscheinen, weil
hinter einer Wand versteckte Menschen sie bewegen
und besprechen, und weil da ein plötzlicher Wechsel
von künstlichem Licht und Schatten auf der Oberfläche
des Puppenkörpers arbeitet. — Immerhinl Diese Er-
kenntnis ist schon ein erfreulicher Ansatz zum Ver-
ständnis des Puppentheaters, denn sie trifft im großen
und ganzen das, was die Marionetten- und Handpup-
penspiele gemeinsam besitzen. Es bedarf nur eines
kurzen Schrittes, um auch die Frage nach dem Tren-
nenden der beiden zu berühren. Diese Frage lautet:
worin liegt das besondere, mit dem Bau der Figuren
zusammenhängende Spielgesetz der Marionette und
der Handpuppe, und worin beruht die Eigentümlich-
keit in der Anlage des Bühnenraumes und des Büh-
nenbildes, die die beiden Puppenarten für ihr Spiel
benötigen?
Ich lasse in den folgenden Ausführungen die Stab-
marionette fort, einmal, weil sie eine weniger ge-
brauchte Puppe ist, zum andern, weil sich ihr Spiel-
gesetz in rhythmischer Hinsicht stark mit dem der
mehr benutzten und feineren Fadenmarionette deckt.
Zunächst: Die Fadenmarionette hat ein gewisses
Gewicht. Sie muß hängen, weil ihre Bewegung von
oben her, wie der Name schon sagt, vermittels Fäden
oder Drähten erfolgt. Diese selbst sind in wechseln-
der Zahl an den wichtigsten Gelenken des Puppen-
körpers befestigt und laufen unmittelbar oder mittel-
bar, d. h. über ein Hebelgestell, hinweg, in der Hand
des Spielers zusammen. Wird nun ein Faden hoch-
gezogen, so heben sich auch das daran befestigte
Gelenk und die damit wieder verbundenen Körper-
teile. Das Bestreben des Spielers muß darauf aus-
gehen, mit dem geringsten Aufwand an Handgriffen
und Zeit ein Höchstmaß an Bewegungen und Ge-
schwindigkeit der spielenden Puppe zu erzielen. Daß
dabei durch geschickte Verlagerungen des Schwer-
punktes der Figur viel gewonnen werden kann, sei
nebenbei erwähnt.
Wesentliche Folgerungen: die Marionette ist vom
Scheitel bis zur Sohle beweglich. Sie kann mit ihrem
ganzen Körper auf der Bühne erscheinen. Sie geht,
springt, tanzt und spielt Klavier. Sie fliegt gefahr-
los durch die Lüfte — ohne Motor, Flügel und Pro-
peller. Sie ist also durchaus nicht wie ihr mensch-
licher Berufsgenosse, der Schauspieler, an den Büh-
nenboden gebunden. Sie scheint vielmehr geradezu
mit Anmut und Gelassenheit dem Gesetz der Schwere
zu spotten. Sie bietet damit ihrem unsichtbaren Herrn
und Meister die schönsten Möglichkeiten zur Gestal-
tung einer übernatürlichen Welt.
Die Marionette macht ganz den Eindruck, als ob sie
mit übermenschlichen Kräften begabt sei. Sie ist aber,
was den wirklichen Bau ihres Körpers anbelangt, alles
andere als das. Ihre Bewegungen unterliegen nicht
den ungemein verfeinerten Gesetzen der Anatomie,
sondern den allereinfachsten Gesetzen der Mechanik.
Aus dieser Gebundenheit entwickelt sich denn auch
die besondere Ausdrucksform ihres Spiels. Während
die Bewegung des Menschen auf organische Weise
unmittelbar dem Innern seines Körpers entwächst,
wird die Bewegung der Marionette auf eine mittel-
bare und mechanische Weise von außen an sie heran-
geleitet. Die Form des Puppenkörpers und die Art
seiner Gesten ist wohl vom Menschen übernommen
worden. Aber die begrenzte Zahl ihrer Fäden und
die Art ihrer Bewegung hindert die Marionette doch
daran, diesen im Räuspern und Spucken „täuschend
* Die Druckstöcke für die dem Aufsatj beigegebenen Abbildungen
sind freundlicherweise vom Hinsforff-Verlag, Rostock, rur Verfügung
gestellt worden.
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