zeuge kann nur wieder auf physikalisch-mechanischem
Wege geschehen, aber niemals durch ein an sich un-
mögliches optisch genaues Abzeichnen von Naturge-
genständen. Weil also nicht das Netzhautbild, sondern
die durch einen seelischen Prozeß entstandene Vorstel-
lung geformt wird, kommt ein „Sehenlernen" in dieser
„Methodik" nicht in Frage und alle daraus gezogenen
Folgerungen müssen unrichtig sein. Geht man dieser,
den seelischen Umwandlungsprozeß ausschließenden
„Zeichenmethode" auf den Grund, so ist deren Wurzel
nichts anderes als eine Reihe von auswendig gelern-
ten Regeln und geometrischen Konstruktionen, eine
Darstellung von Linien und Winkeln, die wiederum auf
mechanischem Wege festgelegt werden. Verstand und
Gedächtnis helfen dem Schüler den Gegenstand kon-
struieren, es wird das Gegenteil erreicht von dem,
was man eigentlich will, nämlich „Sehfaulheit" und
Verschließung vor der heimlichen Eigenart der Dinge.
Daß im Gegensatz hierzu das Bildgestalten und das
gestaltende Zeichnen das Arbeiten vor der Natur vor-
züglich fördert, zeigten die Ausstellung des Reichs-
verbandes in Breslau an Pfingsten sehr deutlich.
Da auch im naturwissenschaftlichen Zeichnen, z. B.
im mikroskopischen Zeichnen, und wo es auch sonst
sein mag, nicht das Netzhautbild gezeichnet wird,
sondern erst das im Zentralnervensystem entstandene
Vorsteilungsbild, so ist auch dafür das gestaltende
Sachzeichnen, weil es eine ständige Klärung von Vor-
stellungen ist, eine gründliche Schulung.
Nicht eine im historisch gewordenen Boden wur-
zelnde Eigenwilligkeit darf uns bei unserer Arbeit
leiten, sondern das große Erziehungsziel, in unserer
uns anvertrauten Jugend die schöpferische Persönlich-
keit zu wecken und zu fördern, die imstande ist, ihre
Kräfte durch positives Neuschaffen dem so notwen-
digen Wiederaufbau von Volk und Vaterland zur Ver-
fügung zu stellen. Deshalb „gestaltendes Sach-
zeichnen" für die Erziehung der Jugend im Sinne
des Lehrgrundgedankensl
Als kleines Sinnbild dessen, was ich meine, sei fol-
gende Stelle aus: Gregor! „Das gesprochene Wort"
(bei H. Hessel, Leipzig) angeführt.
„Rudolf Hans Bartsch wollte mich einmal auf eine
besonders schöne Novelle von Hermann Hesse, die
er kurz vorher gelesen hatte, aufmerksam machen und
erzählte sie mir ganz kurz, na, wie eben Rudolf Hans
Bartsch erzählt. Hermann Hesse hörte lächelnd, die
Pfeife im Munde, zu und sagte dann bewundernd:
„D i e Novelle möchte ich geschrieben haben." E s
war, da der Stoff durch eine andere
Seele gegangen, etwas ganz anderes
daraus geworde n."
E. BISCHOFF-ULM A. D.:
„DAS KIND WILL NATUR RICHTIG ZEICHNEN»
Wie oft hört man diese meist fragend und un-
sicher, manchmal auch überzeugt vorgebrachte
Ansicht. Man darf sie im eifrigen Interesse für das Ge-
stalterische nicht ohne Weiteres verneinen. Das sach-
liche Interesse für alle Seiten unseres Fachs fordert
Überlegung und Erprobung jeder wichtigen Frage.
Auch dieser, die schon oft aufgetaucht ist und die
im folgenden auf Grund längerer Beobachtungen erör-
tert werden soll. Vorausgesetzt sei die Ablehnung
einer spekulativen Einstellung, die für vorgefaßte
Idealbegriffe in der Praxis einige Anhaltspunkte sucht;
und sich begnügt, mit diesen jene vorgefaßten An-
sichten unter allen Umständen zu beweisen. Aus
mehreren Beobachtungen sollen sich Namen und Be-
griffe bilden, die für die Darlegung notwendig sind.
Wie verhält es sich also mit der Absicht des Kindes,
naturrichtig zeichnen zu wollen?
Drei örtliche Beobachtungen sollen als Beispiele
dienen: Eine höhere Schule Oberschwabens wird
von städtischen, ländlichen und durch das nahegele-
gene Klosterinternai von Schülern aus dem Rhein-
land, Westfalen und aus Schlesien besucht. Letztere
kommen zum Teil aus Industriestädten, zum Teil aus
abgelegenen Dörfern des Landes. In drei Jahren beob-
achtete ich, daß die oberschwäbischen, rheinlän-
dischen und schlesischen Stadt schüler mehr und
gerne abzeichneten, als die Scnüler des flachen Lan-
des derselben Gegenden. In einem kleinen Dorf der
schwäbischen Alb entdeckte ich überhaupt keinen,
der nur abzeichnete, und in der Hauptstadt konnte der
Hang zuin naturrichtigen Zeichnenwollen am häufig-
sten beobachtet werden. Sollte es nicht umgekehrt
sein? Sollten die Landschüler angesichts der ihnen
täglich nahestehenden Natur nicht eher abzeichnen,
nachbilden wollen? Eine Deutung der beobachteten
Tatsache liegt nahe. Sie soll jedoch nicht vorweg
genommen werden.
Durch die feuchte Luft des Föhn entstanden all-
abendlich prachtvolle Sonnenuntergänge, die in ihrer
eindringlichen Leuchtkraft der Farbe selbst dem Gleich-
"gültigsten auffallerr mußten. ~Ohne nähere Einführung
ließ ich in allen Klassen, versuchshalber, Sonnenunter-
gänge, „farbige Himmel" malen. Die Landschüler ge-
stalteten Farberlebnisse, die Stadtschüler malten aus
dem Gedächtnis „Postkarten". Dies war vorauszu-
sehen, aber lag nicht der Gedanke nahe, daß die so
sehr aufs „Natürliche" erpichten Schüler nun in kind-
lichem Sinn echte Natur hätten malen müssen? Das
„Land" in dieser Gegend ist in abgelegene Höfe auf-
geteilt. Außer kirchlichen, sind sonstige bildliche An-
regungen selten. In der Stadt dagegen unterliegen
die Schüler den zahlreichen Vorbildern. Sie hät-
ten Gelegenheit gehabt, einen Natureindruck (sogar
einen ganz bestimmten!) wiederzugeben, aber ob-
wohl man dies hätte annehmen müssen, malten sie
Vorbilder ab. Die Tatsache, daß in der Großstadt
dieses „Natur-richtig-zeichnen-wollen" noch stärker
ist, beweist, daß die hier noch häufigeren Vorbilder
einen Einfluß auf diese Steigerung ausüben. Außer-
dem führen die intellektuell stärkeren Elternkreise der
Stadt ihre Kinder viel mehr auf das naturrichtige Zeich-
nen, als die des Landes. Das „Naturrichtig-zeichnen-wol-
len" des Schülers ist also zunächst nicht ursprünglich,
sondern das Ergebnis von Ermahnung und Vorbild.
Dieses Zeichnen setzt voraus, daß der Schüler die
Absicht hat, das Gesehene (ob Vorbild oder ab-
gezeichneter Gegenstand) so darzustellen, wie es ist.
Auf dem Weg zu diesem Ziel kann, selbst bei ein-
gehendem Nachdenken, kein anderer Trieb in Erschei-
nung treten, als der der Nachahmung. Wir ken-
nen ihn aus Gebärden und Sprache des Kindes. Er
muß kein trockener, begeisterungsloser seinl Mit
Freude und mit Stolz bildet der Schüler oft einen
Gegenstand nach. Besonders wenn er so gelingt, wie
irgend ein Vorbild. Und was ihn freut, ist die gelun-
gene — Nachahmung. Sie erwächst aus dem Verhält-
nis Auge — Gegenstand; umfaßt die intellektuellen
Begabungskräfte der Beobachtung, der Geschicklich-
keit des vergleichenden Urteils — des Gedächtnisses.
Das Interesse am Gegenstand gipfelt in dessen iso-
lierter („stummer") Form und Farbe. Die Phantasie
bleibt ausgeschlossen. Das Gegenständliche Zeichnen
116
Wege geschehen, aber niemals durch ein an sich un-
mögliches optisch genaues Abzeichnen von Naturge-
genständen. Weil also nicht das Netzhautbild, sondern
die durch einen seelischen Prozeß entstandene Vorstel-
lung geformt wird, kommt ein „Sehenlernen" in dieser
„Methodik" nicht in Frage und alle daraus gezogenen
Folgerungen müssen unrichtig sein. Geht man dieser,
den seelischen Umwandlungsprozeß ausschließenden
„Zeichenmethode" auf den Grund, so ist deren Wurzel
nichts anderes als eine Reihe von auswendig gelern-
ten Regeln und geometrischen Konstruktionen, eine
Darstellung von Linien und Winkeln, die wiederum auf
mechanischem Wege festgelegt werden. Verstand und
Gedächtnis helfen dem Schüler den Gegenstand kon-
struieren, es wird das Gegenteil erreicht von dem,
was man eigentlich will, nämlich „Sehfaulheit" und
Verschließung vor der heimlichen Eigenart der Dinge.
Daß im Gegensatz hierzu das Bildgestalten und das
gestaltende Zeichnen das Arbeiten vor der Natur vor-
züglich fördert, zeigten die Ausstellung des Reichs-
verbandes in Breslau an Pfingsten sehr deutlich.
Da auch im naturwissenschaftlichen Zeichnen, z. B.
im mikroskopischen Zeichnen, und wo es auch sonst
sein mag, nicht das Netzhautbild gezeichnet wird,
sondern erst das im Zentralnervensystem entstandene
Vorsteilungsbild, so ist auch dafür das gestaltende
Sachzeichnen, weil es eine ständige Klärung von Vor-
stellungen ist, eine gründliche Schulung.
Nicht eine im historisch gewordenen Boden wur-
zelnde Eigenwilligkeit darf uns bei unserer Arbeit
leiten, sondern das große Erziehungsziel, in unserer
uns anvertrauten Jugend die schöpferische Persönlich-
keit zu wecken und zu fördern, die imstande ist, ihre
Kräfte durch positives Neuschaffen dem so notwen-
digen Wiederaufbau von Volk und Vaterland zur Ver-
fügung zu stellen. Deshalb „gestaltendes Sach-
zeichnen" für die Erziehung der Jugend im Sinne
des Lehrgrundgedankensl
Als kleines Sinnbild dessen, was ich meine, sei fol-
gende Stelle aus: Gregor! „Das gesprochene Wort"
(bei H. Hessel, Leipzig) angeführt.
„Rudolf Hans Bartsch wollte mich einmal auf eine
besonders schöne Novelle von Hermann Hesse, die
er kurz vorher gelesen hatte, aufmerksam machen und
erzählte sie mir ganz kurz, na, wie eben Rudolf Hans
Bartsch erzählt. Hermann Hesse hörte lächelnd, die
Pfeife im Munde, zu und sagte dann bewundernd:
„D i e Novelle möchte ich geschrieben haben." E s
war, da der Stoff durch eine andere
Seele gegangen, etwas ganz anderes
daraus geworde n."
E. BISCHOFF-ULM A. D.:
„DAS KIND WILL NATUR RICHTIG ZEICHNEN»
Wie oft hört man diese meist fragend und un-
sicher, manchmal auch überzeugt vorgebrachte
Ansicht. Man darf sie im eifrigen Interesse für das Ge-
stalterische nicht ohne Weiteres verneinen. Das sach-
liche Interesse für alle Seiten unseres Fachs fordert
Überlegung und Erprobung jeder wichtigen Frage.
Auch dieser, die schon oft aufgetaucht ist und die
im folgenden auf Grund längerer Beobachtungen erör-
tert werden soll. Vorausgesetzt sei die Ablehnung
einer spekulativen Einstellung, die für vorgefaßte
Idealbegriffe in der Praxis einige Anhaltspunkte sucht;
und sich begnügt, mit diesen jene vorgefaßten An-
sichten unter allen Umständen zu beweisen. Aus
mehreren Beobachtungen sollen sich Namen und Be-
griffe bilden, die für die Darlegung notwendig sind.
Wie verhält es sich also mit der Absicht des Kindes,
naturrichtig zeichnen zu wollen?
Drei örtliche Beobachtungen sollen als Beispiele
dienen: Eine höhere Schule Oberschwabens wird
von städtischen, ländlichen und durch das nahegele-
gene Klosterinternai von Schülern aus dem Rhein-
land, Westfalen und aus Schlesien besucht. Letztere
kommen zum Teil aus Industriestädten, zum Teil aus
abgelegenen Dörfern des Landes. In drei Jahren beob-
achtete ich, daß die oberschwäbischen, rheinlän-
dischen und schlesischen Stadt schüler mehr und
gerne abzeichneten, als die Scnüler des flachen Lan-
des derselben Gegenden. In einem kleinen Dorf der
schwäbischen Alb entdeckte ich überhaupt keinen,
der nur abzeichnete, und in der Hauptstadt konnte der
Hang zuin naturrichtigen Zeichnenwollen am häufig-
sten beobachtet werden. Sollte es nicht umgekehrt
sein? Sollten die Landschüler angesichts der ihnen
täglich nahestehenden Natur nicht eher abzeichnen,
nachbilden wollen? Eine Deutung der beobachteten
Tatsache liegt nahe. Sie soll jedoch nicht vorweg
genommen werden.
Durch die feuchte Luft des Föhn entstanden all-
abendlich prachtvolle Sonnenuntergänge, die in ihrer
eindringlichen Leuchtkraft der Farbe selbst dem Gleich-
"gültigsten auffallerr mußten. ~Ohne nähere Einführung
ließ ich in allen Klassen, versuchshalber, Sonnenunter-
gänge, „farbige Himmel" malen. Die Landschüler ge-
stalteten Farberlebnisse, die Stadtschüler malten aus
dem Gedächtnis „Postkarten". Dies war vorauszu-
sehen, aber lag nicht der Gedanke nahe, daß die so
sehr aufs „Natürliche" erpichten Schüler nun in kind-
lichem Sinn echte Natur hätten malen müssen? Das
„Land" in dieser Gegend ist in abgelegene Höfe auf-
geteilt. Außer kirchlichen, sind sonstige bildliche An-
regungen selten. In der Stadt dagegen unterliegen
die Schüler den zahlreichen Vorbildern. Sie hät-
ten Gelegenheit gehabt, einen Natureindruck (sogar
einen ganz bestimmten!) wiederzugeben, aber ob-
wohl man dies hätte annehmen müssen, malten sie
Vorbilder ab. Die Tatsache, daß in der Großstadt
dieses „Natur-richtig-zeichnen-wollen" noch stärker
ist, beweist, daß die hier noch häufigeren Vorbilder
einen Einfluß auf diese Steigerung ausüben. Außer-
dem führen die intellektuell stärkeren Elternkreise der
Stadt ihre Kinder viel mehr auf das naturrichtige Zeich-
nen, als die des Landes. Das „Naturrichtig-zeichnen-wol-
len" des Schülers ist also zunächst nicht ursprünglich,
sondern das Ergebnis von Ermahnung und Vorbild.
Dieses Zeichnen setzt voraus, daß der Schüler die
Absicht hat, das Gesehene (ob Vorbild oder ab-
gezeichneter Gegenstand) so darzustellen, wie es ist.
Auf dem Weg zu diesem Ziel kann, selbst bei ein-
gehendem Nachdenken, kein anderer Trieb in Erschei-
nung treten, als der der Nachahmung. Wir ken-
nen ihn aus Gebärden und Sprache des Kindes. Er
muß kein trockener, begeisterungsloser seinl Mit
Freude und mit Stolz bildet der Schüler oft einen
Gegenstand nach. Besonders wenn er so gelingt, wie
irgend ein Vorbild. Und was ihn freut, ist die gelun-
gene — Nachahmung. Sie erwächst aus dem Verhält-
nis Auge — Gegenstand; umfaßt die intellektuellen
Begabungskräfte der Beobachtung, der Geschicklich-
keit des vergleichenden Urteils — des Gedächtnisses.
Das Interesse am Gegenstand gipfelt in dessen iso-
lierter („stummer") Form und Farbe. Die Phantasie
bleibt ausgeschlossen. Das Gegenständliche Zeichnen
116