Eine phantasiebildende Übung von E. REU PK E-FRAN KFU RT A.M.
DIE BLUME DES FAKIRS
Mein Jugendfreund war als Kadett eines Schul-
schiffes von seiner ersten größeren Seefahrt zu-
rückgekehrt. Nun saßen wir plaudernd beisammen
und er erzählte von seinen Erlebnissen.
Eines Tages hatte das Schiff im Hafen der indischen
Stadt Bombay angelegt. Die Mitglieder des Deutschen
Klubs daselbst waren hocherfreut, im fernen Lande
soviel hoffnungsvolle, frische deutsche Jugend be-
grüßen zu können, und nach einer feuchtfröhlichen
Besichtigung des Schiffes wurde die gesamte Besat-
zung desselben zu einem echt indischen Abendessen
ins Klubhaus eingeladen. Man saß an langen Tischen
und außer begeisterten Reden genoß man die merk-
würdigsten indischen Gerichte und Getränke. Nach
Tische blieb man bei edlem Rheinwein, den die Be-
satzung geliefert hatte, und gutem Rauchzeug noch
plaudernd sitzen. Da erhob sich der Vorsitzende und
teilte mit, daß er seinen jungen Landsleuten nun noch
etwas zeigen wolle, das sie in Europa wohl schwer-
lich zu sehen bekämen: einen echten indischen Zau-
berer. — Er öffnete eine Seitentür und herein trat ein
langer, hagerer Mann mit pechschwarzem Haar und
dunklen, tiefliegenden Augen in überaus phantasti-
schem Aufputz. Schweigend und gemessenen Schrit-
tes trat er an das Kopfende der langen Tafel und
aller Augen waren gespannt auf ihn gerichtet. Mit
verschränkten Armen verbeugte er sich zum Gruß
gegen die Gesellschaft und dann starrte er, unter
Zuckungen seines Gesichtes, die Sitzreihen entlang.
Plötzlich senkte sich sein Blick und haftete auf der
Tischplatte; unwillkürlich tat jeder der Gäste dasselbe.
Da sahen sie etwas Merkwürdiges: die halbgefüllten
Weingläser neigten sich nach vorn über, als müßten sie
jeden Augenblick umfallen und man griff bereits zu,
um sie aufzufangen. Da aber richteten sie sich lang-
sam und von selbst wieder auf. — Nun winkte er
einem schwarzen Boy, von dem er sich einen mit Erde
gefüllten Blumentopf reichen ließ. Die Nächstsitzenden
durften ihn untersuchen und stellten fest, daß nichts
Besonderes daran wahrzunehmen sei. Dann zeigte er
ein Samenkorn, welches er mit dem Zeigefinger in
die Erde des Topfes hineindrückte. Starr und unbe-
weglich schaute er eine Weile auf den Blumentopf in
seiner Hand. Da sahen die Gäste, wie sich die Erde
langsam hob und ein grünes Spitzchen zum Licht
drängte. Es hob sich weiter und wurde zum Stengel,
aus dem nun Blätter und Zweige sprießten, bis ein
richtiges Bäumchen dastand. In den Blattwinkeln bil-
deten sich Blütenknospen; sie schwollen an, brachen
auf und entfalteten sich zu leuchtenden Blüten. Doch
jetzt fielen die Blütenblätter ab; der Fruchtknoten
schwoll an und formte sich zu einer grünen Kugel;
sie verfärbte sich, wurde orangefarben und war reif.
Er nahm die Früchte ab und verteilte sie an die Gäste.
Es waren schöne, saftige Orangenl Sie wurden be-
trachtet, befühlt, berochen und endlich mit viel Be-
hagen verzehrt. Da kam einer der ältesten Offiziere
auf den Gedanken, die jungen Schlemmer zu photo-
graphieren. Als die Platte entwickelt wurde, sah man,
wie die jungen Leute wohl die Hände am Munde
hatten, ihre Hände aber waren leer. Sie alle aber
hätten geschworen, reife, saftige Orangen gegessen
zu haben. So erzählte mein Freund noch viele inter-
essante Begebenheiten.
Nun war mein Freund schon wieder lange auf der
Fahrt. Eines Tages bekam ich einen Brief von ihm, in
welchem er mir mitteilt, daß derselbe Fakir, Shubadra
Bikshon genannt, eine Europareise machen werde, um
seine Kunst zu zeigen. Dabei würde er auch unsere
Heimatstadt besuchen, und ich solle doch nicht ver-
säumen, mir seine Vorstellungen anzusehen. Richtig
fand ich auch bald eine Anzeige in der Zeitung und
am Abend der Vorstellung saß ich in vorderster Reihe,
um recht gut beobachten zu können. Er entsprach der
Beschreibung und seine Taten waren unbegreiflich,
wunderbar. Da warf er haarscharf geschliffene, riesige
Dolche über die Köpfe der Zuschauer hinweg in die
Luft, wo sie verschwanden. Auf den Fußboden der
Bühne zeichnete er nun Kreise und auf einen Wink
und Fingerzeig sausten die Dolche irgend woher aus
der Luft zischend heran und fuhren jeder mit Wucht
in den ihm bezeichneten Kreis, wo sie zitternd stecken
blieben. — Danach stellte er ein langes Bambusrohr
auf, an welchem ein brauner Bursche emporkletterte.
Oben angelangt, schoß der Fakir nach ihm mit einer
Pistole; man hörte einen markdurchdringenden Schrei
und der Bursche war spurlos verschwunden. Gleich
darauf betrat er durch eine Nebentür lachend die
Bühne. — Wiederum kletterte der Bursche die Bambus-
stange hinauf und legte sich waagerecht auf die
scharfe Spitze. Der Fakir setzte das schwankende
Rohr in drehende Bewegung und nun sah man voll
Entsetzen, wie sich die scharfe Spitze in den Körper
einbohrte, tiefer eindrang und am Rücken wieder zum
Vorschein kam. Blut floß herab und mit einem Schrei
sauste er an der Stange, durchbohrt, zu Boden. Der
Fakir zog die Stange heraus und lachend stand der
Bursche auf. — Unglaubliches bekam ich zu sehen.
Grausiges, das zu berichten, die Feder sich sträubt.
Am Schlüsse der Vorstellung winkte er mir und einigen
anderen Herren, und bedeutete uns, ihm in einen
Nebenraum zu folgen. Dort sagte er uns in gebro-
chenem Deutsch, wir seien Skeptiker und wir glaubten
nicht recht an seine Kunst. Er wolle uns noch durch
eine besondere Probe von seinem Können überzeu-
gen und er bat uns, auf den bereitgestellten Stühlen
Platz zu nehmen.
Der Fakir stand in der Mitte des Raumes. Kaum hat-
ten wir uns gesetzt, so fühlten wir, daß eine merkwür-
dige Veränderung mit uns verging. Unser Blick wurde
unsicher, unklar, die Wände schienen zu schwanken,
verschwammen und verschwanden im grauen Nebel,
und nun fühlten wir uns gehoben, entrückt, schwe-
bend. Fliegend wurden wir durch ein Nebelmeer ge-
waltsam irgendwo hingerissen, während schillernde
Kugeln und glitzernde Kristalle im Halbdunkel rollend,
kreiselnd und hüpfend an uns vorbeizogen. Wie lange
wir so flogen, vermag ich nicht anzugeben. Allmählich
wurde die Bewegung langsamer, wir sanken und plötz-
lich fühlten wir festen Boden unter unsern Füßen. Im
Nebel sahen wir einen Lichtfleck auf uns zuschweben;
er wurde größer und löste sich in wogende Ringe
auf, In deren Mitte wir nun den Fakir erblickten, an-
getan mit wallenden Kleidern und phantastischem
Kopfputz. Mit einer Handbewegung deutete er um
sich und nun sahen wir, wie aus dem Nebel gewaltige
Baumformen hervortraten, die sich zu einem dichten
Ur-Walde zusammenschlossen. Der Nebel sank, doch
das Halbdunkel blieb, und nun schoß die Sonne ihre
Strahlen blitzend, hart und scharf wie Schwerter durch
das dichte Laubwerk der Baumkronen. Nun sahen wir
auch Einzelheiten. Himmelhoch ragten die Baumstämme
und vom gewaltigen Geäst hingen riesige Schling-
pflanzen herab bis zum Boden, wo ihnen große Farn-
kräuter, Schirm- und Trichterpflanzen entgegenwuch-
sen. Dazwischen die merkwürdigsten Orchideen, schil-
lernde Falter, schießende Schwärmerl Buntfarbige,
dickschnäbelige Rabenvögel flogen kreischend auf
und aus tiefen Schatten glotzten uns fauchende Satans-
affen an. Da öffnete sich ein schmaler Fußpfad vor
uns; wir folgten ihm und gelangten zu einer kleinen
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DIE BLUME DES FAKIRS
Mein Jugendfreund war als Kadett eines Schul-
schiffes von seiner ersten größeren Seefahrt zu-
rückgekehrt. Nun saßen wir plaudernd beisammen
und er erzählte von seinen Erlebnissen.
Eines Tages hatte das Schiff im Hafen der indischen
Stadt Bombay angelegt. Die Mitglieder des Deutschen
Klubs daselbst waren hocherfreut, im fernen Lande
soviel hoffnungsvolle, frische deutsche Jugend be-
grüßen zu können, und nach einer feuchtfröhlichen
Besichtigung des Schiffes wurde die gesamte Besat-
zung desselben zu einem echt indischen Abendessen
ins Klubhaus eingeladen. Man saß an langen Tischen
und außer begeisterten Reden genoß man die merk-
würdigsten indischen Gerichte und Getränke. Nach
Tische blieb man bei edlem Rheinwein, den die Be-
satzung geliefert hatte, und gutem Rauchzeug noch
plaudernd sitzen. Da erhob sich der Vorsitzende und
teilte mit, daß er seinen jungen Landsleuten nun noch
etwas zeigen wolle, das sie in Europa wohl schwer-
lich zu sehen bekämen: einen echten indischen Zau-
berer. — Er öffnete eine Seitentür und herein trat ein
langer, hagerer Mann mit pechschwarzem Haar und
dunklen, tiefliegenden Augen in überaus phantasti-
schem Aufputz. Schweigend und gemessenen Schrit-
tes trat er an das Kopfende der langen Tafel und
aller Augen waren gespannt auf ihn gerichtet. Mit
verschränkten Armen verbeugte er sich zum Gruß
gegen die Gesellschaft und dann starrte er, unter
Zuckungen seines Gesichtes, die Sitzreihen entlang.
Plötzlich senkte sich sein Blick und haftete auf der
Tischplatte; unwillkürlich tat jeder der Gäste dasselbe.
Da sahen sie etwas Merkwürdiges: die halbgefüllten
Weingläser neigten sich nach vorn über, als müßten sie
jeden Augenblick umfallen und man griff bereits zu,
um sie aufzufangen. Da aber richteten sie sich lang-
sam und von selbst wieder auf. — Nun winkte er
einem schwarzen Boy, von dem er sich einen mit Erde
gefüllten Blumentopf reichen ließ. Die Nächstsitzenden
durften ihn untersuchen und stellten fest, daß nichts
Besonderes daran wahrzunehmen sei. Dann zeigte er
ein Samenkorn, welches er mit dem Zeigefinger in
die Erde des Topfes hineindrückte. Starr und unbe-
weglich schaute er eine Weile auf den Blumentopf in
seiner Hand. Da sahen die Gäste, wie sich die Erde
langsam hob und ein grünes Spitzchen zum Licht
drängte. Es hob sich weiter und wurde zum Stengel,
aus dem nun Blätter und Zweige sprießten, bis ein
richtiges Bäumchen dastand. In den Blattwinkeln bil-
deten sich Blütenknospen; sie schwollen an, brachen
auf und entfalteten sich zu leuchtenden Blüten. Doch
jetzt fielen die Blütenblätter ab; der Fruchtknoten
schwoll an und formte sich zu einer grünen Kugel;
sie verfärbte sich, wurde orangefarben und war reif.
Er nahm die Früchte ab und verteilte sie an die Gäste.
Es waren schöne, saftige Orangenl Sie wurden be-
trachtet, befühlt, berochen und endlich mit viel Be-
hagen verzehrt. Da kam einer der ältesten Offiziere
auf den Gedanken, die jungen Schlemmer zu photo-
graphieren. Als die Platte entwickelt wurde, sah man,
wie die jungen Leute wohl die Hände am Munde
hatten, ihre Hände aber waren leer. Sie alle aber
hätten geschworen, reife, saftige Orangen gegessen
zu haben. So erzählte mein Freund noch viele inter-
essante Begebenheiten.
Nun war mein Freund schon wieder lange auf der
Fahrt. Eines Tages bekam ich einen Brief von ihm, in
welchem er mir mitteilt, daß derselbe Fakir, Shubadra
Bikshon genannt, eine Europareise machen werde, um
seine Kunst zu zeigen. Dabei würde er auch unsere
Heimatstadt besuchen, und ich solle doch nicht ver-
säumen, mir seine Vorstellungen anzusehen. Richtig
fand ich auch bald eine Anzeige in der Zeitung und
am Abend der Vorstellung saß ich in vorderster Reihe,
um recht gut beobachten zu können. Er entsprach der
Beschreibung und seine Taten waren unbegreiflich,
wunderbar. Da warf er haarscharf geschliffene, riesige
Dolche über die Köpfe der Zuschauer hinweg in die
Luft, wo sie verschwanden. Auf den Fußboden der
Bühne zeichnete er nun Kreise und auf einen Wink
und Fingerzeig sausten die Dolche irgend woher aus
der Luft zischend heran und fuhren jeder mit Wucht
in den ihm bezeichneten Kreis, wo sie zitternd stecken
blieben. — Danach stellte er ein langes Bambusrohr
auf, an welchem ein brauner Bursche emporkletterte.
Oben angelangt, schoß der Fakir nach ihm mit einer
Pistole; man hörte einen markdurchdringenden Schrei
und der Bursche war spurlos verschwunden. Gleich
darauf betrat er durch eine Nebentür lachend die
Bühne. — Wiederum kletterte der Bursche die Bambus-
stange hinauf und legte sich waagerecht auf die
scharfe Spitze. Der Fakir setzte das schwankende
Rohr in drehende Bewegung und nun sah man voll
Entsetzen, wie sich die scharfe Spitze in den Körper
einbohrte, tiefer eindrang und am Rücken wieder zum
Vorschein kam. Blut floß herab und mit einem Schrei
sauste er an der Stange, durchbohrt, zu Boden. Der
Fakir zog die Stange heraus und lachend stand der
Bursche auf. — Unglaubliches bekam ich zu sehen.
Grausiges, das zu berichten, die Feder sich sträubt.
Am Schlüsse der Vorstellung winkte er mir und einigen
anderen Herren, und bedeutete uns, ihm in einen
Nebenraum zu folgen. Dort sagte er uns in gebro-
chenem Deutsch, wir seien Skeptiker und wir glaubten
nicht recht an seine Kunst. Er wolle uns noch durch
eine besondere Probe von seinem Können überzeu-
gen und er bat uns, auf den bereitgestellten Stühlen
Platz zu nehmen.
Der Fakir stand in der Mitte des Raumes. Kaum hat-
ten wir uns gesetzt, so fühlten wir, daß eine merkwür-
dige Veränderung mit uns verging. Unser Blick wurde
unsicher, unklar, die Wände schienen zu schwanken,
verschwammen und verschwanden im grauen Nebel,
und nun fühlten wir uns gehoben, entrückt, schwe-
bend. Fliegend wurden wir durch ein Nebelmeer ge-
waltsam irgendwo hingerissen, während schillernde
Kugeln und glitzernde Kristalle im Halbdunkel rollend,
kreiselnd und hüpfend an uns vorbeizogen. Wie lange
wir so flogen, vermag ich nicht anzugeben. Allmählich
wurde die Bewegung langsamer, wir sanken und plötz-
lich fühlten wir festen Boden unter unsern Füßen. Im
Nebel sahen wir einen Lichtfleck auf uns zuschweben;
er wurde größer und löste sich in wogende Ringe
auf, In deren Mitte wir nun den Fakir erblickten, an-
getan mit wallenden Kleidern und phantastischem
Kopfputz. Mit einer Handbewegung deutete er um
sich und nun sahen wir, wie aus dem Nebel gewaltige
Baumformen hervortraten, die sich zu einem dichten
Ur-Walde zusammenschlossen. Der Nebel sank, doch
das Halbdunkel blieb, und nun schoß die Sonne ihre
Strahlen blitzend, hart und scharf wie Schwerter durch
das dichte Laubwerk der Baumkronen. Nun sahen wir
auch Einzelheiten. Himmelhoch ragten die Baumstämme
und vom gewaltigen Geäst hingen riesige Schling-
pflanzen herab bis zum Boden, wo ihnen große Farn-
kräuter, Schirm- und Trichterpflanzen entgegenwuch-
sen. Dazwischen die merkwürdigsten Orchideen, schil-
lernde Falter, schießende Schwärmerl Buntfarbige,
dickschnäbelige Rabenvögel flogen kreischend auf
und aus tiefen Schatten glotzten uns fauchende Satans-
affen an. Da öffnete sich ein schmaler Fußpfad vor
uns; wir folgten ihm und gelangten zu einer kleinen
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