JUPP BUSCH II AUSEN, CASTROP-RAUXEL:
die „REKLAME“ IM KUNSTUNTERRICHT
Wenn wir heute von Reklame sprechen hören,
so verbindet sich in uns der Klang dieses Wor-
tes mit einem vielbunten, kaleidoskop-artig bewegten
und drängenden Begriffsbilde, dessen Einzelkonturen,
so stark sie auch an und für sich sein mögen, doch
nur selten die Geschlossenheit einer Totalvorstellung
auslösen. Das hat seinen Grund darin, daß sich unter
der Sammelbezeichnung „Reklame" viele, ja außer-
ordentlich viele Arbeiten zusammenfinden, die In ihren
äußeren Erscheinungs- und Lebensformen jedoch so
verschieden voneinander sind, wie kaum in einem
anderen Arbeitsgebiet. Reklame im weitesten Sinne
ist eine der größten Gewalten, die auf Erden zur Herr-
schaft gelangt sind, ist ihr doch jeder Mensch, ob
bewußt oder nicht, untertan. Ihr Machtbereich erstreckt
sich schlechterdings auf alles: der ganze uns je-
mals bekannte Kosmos mit seinem gesamten lebenden
und toten Inventar, selbst irrationale Dinge und Be-
griffe werden zu Objekten, die verarbeitet, resp. be-
handelt werden. Der moderne Mensch ist leicht ge-
neigt, die Reklame als ein „hoch aktuelles" Problem
für eine Angelegenheit der neueren Zeit zu halten; er
begeht damit einen großen Irrtum. Reklame ist Immer
gewesen; angefangen bei den Völkern prähistorischer
Zeit, weiterentwickelt von späteren Kulturen und so
auf uns überkommen, die wir sie wieder überliefern
den nach uns kommenden Geschlechtern, hat die Re-
klame niemals eine Zeit völliger Untätigkeit, völligen
Versagens gekannt; sie ist ein ständiger Begleiter des
Menschen gewesen, — nur hat ihre Art sich gewan-
delt, sie hat sich der jeweiligen Physiognomie einer
Zeit angepaßt. Die Geschichte der Reklame ist eng
verbunden mit der Geschichte der Entwicklung der
Völker; sie ist ein Hauptteil dieser Entwicklung. Und
wenn in unseren Schulen von der Reklamekunst und
von ihrem großen Einfluß auf Kultur und Fortschritt
der Völker und Nationen fast nichts zu hören ist, so
liegt das an der „Einseitigkeit" der Beleuchtung, welche
die Geschichte als Unterrichtsfach erfährt. Die Re-
klamekunst ist so alt wie die Menschheit, denn sie ist
aus der Urpsyche des Menschen geboren. Der Mensch
und seine Lebensart sind ohne Reklame überhaupt nicht
denkbar, liegt doch im menschlichen Wesen die Not-
wendigkeit der Gemeinschaft, und Gemeinschaft, auch
die geringste, verlangt Werbung. Werbung aber ist
Reklame. Und letzten Endes sind Sauberkeit, Haar-
tracht, Schmuck, Kleidung, selbst in den primärsten
Formen, nichts anderes als Anpreisung, Propaganda
für die Vorzüge einer Person. In den Uranfängen der
menschlichen Kultur erstand somit die erste Form der
Reklame. Und zu dieser „Personen-Reklame" kam
später, als die einzelnen Glieder der menschlichen
Gesellschaft zum Warentausch miteinander in Verbin-
dung traten, die Warenanpreisung, eine Art,
die in der Reklame heute die weitaus beherrschende
geworden ist. (Eine Folge unserer kulturellen Entwick-
lung.) Es würde den Rahmen dieser Ausführungen weit
überschreiten, wollten wir uns länger mit der ge-
schichtlichen Entwicklung — so interessant sie auch
ist — beschäftigen.
Wenn frühere Zeiten die Reklame wohl gekannt
haben, so gaben sie ihr aber nicht die Stellung im
leben, die ihr heute zukommt. Heute ist sie ein nicht
mehr zu übersehender Faktor geworden. Die Sprache
des Tages wird diktiert von der nervösen Hast einer
Zeil, die nach immer neuem Geschehen giert, nach
Unerhörtem und also sich In Superlativen verliert, ohne
ru fragen, wie das Ende sein wird. Seufzend sprechen
wir bereits- (berechtigt!) von einem Reklame-Unwe-
sen, weil wir die Menge der aufrüttelnden Anprei-
sungen nicht mehr ertragen können.
Die heute fast allgemeine nervöse Reizbarkeit hat
eine rasche Übersättigung des Geistes im Gefolge,
und daraus ergibt sich zunächst Passivität und später
Gleichgültigkeit. Eine Folge der Erkenntnis dieser psy-
chologischen Kette ist die neuerdings gehobene Qua-
lität In der Reklame. Die Zeiten der „Reklame um
jeden Preis" sind vorbei. (Nachzügler soll man nicht
ernst nehmen.) Mehr und mehr gewinnt eine bessere
Reklame, die sowohl ästhetisch als auch ethisch wert-
voll ist, an Einfluß auf die Massen. An der Gegensätz-
lichkeit, der überragenden Stellung einer qualitativen
Leistung inmitten der wenigen guten und schlechten
Reklame hat sich die Urteilsfähigkeit breiter Volks-
schichtengebildet. Dringlicher und gewollter als jedes
andere Teilgebiet der Kunst stellt sich die Reklame-
kunst vor das Forum der Welt, fordert also das Urteil
der Menge direkt heraus. Und nichts ist so leicht ge-
eignet, an seinen eigenen Fehlern Fiasko zu erleiden
wie gerade die' Reklame, die im Augenblick anstatt
zu gewinnen, genau das Gegenteil erreichen kann.
Eine gute Reklame hat verschiedene Aufgaben zu
erfüllen: Erstens hat sie zu wissen, daß der neuzeit-
liche Mensch nicht lange suchen, sondern möglichst
schnell finden will. Die Reklame muß ihm entgegen-
kommen, sie muß seinen Blick einfangen und festhal-
ten („Blickfang" besitzen). Ein Wort, ein Zeichen, ein
klares und einfaches Bild muß die Aufmerksamkeit des
Vorübereilenden erregen, daß es ihn dazu verleitet,
sich mit ihm und seiner weiteren Darbietung eingehen-
der zu befassen. Mit der Auffälligkeit allein ist es aber
nicht getan; Form und Inhalt einer Anpreisung müssen
stilistisch und formal interessieren, damit beide mit-
einander verbunden sich dem Gedächtnis einprägen
und dort die erhoffte Wirkung auslösen: den Wunsch
nach der Ware. — Etwas über die Form: Eine gute
Form „schreit" nicht, weder in den Linien noch in den
Farben, sie ist trotz aller Auffälligkeit immer ästhetisch
erfreulich. Vornehme Schlichtheit, Vermeidung der
Unwesentlichkeiten, Sicherheit im Aufbau, Klarheit in
der Darstellung, das sind die Grundforderungen, die
wir an die Form stellen. Und zum Inhalt: Auch von
ihm verlangen wir mancherlei. Übertriebene Lobhym-
nen und Superlative sind ebenso verfehlt wie ins Ein-
zelne gehende Beschreibungen und andere lange Epi-
steln. Ein auffallendes Wort, das sofort Kunde gibt von
dem, worum es sich handelt, und von ihm ausgehend
in logischer Linie der notwendige Begleittext! Uber
Form und Inhalt (über Mnemotechnik, Witz, Reklame-
verse und andere Pointen) ließe sich noch vieles
sagen, es führt aber zu weit.
In kurzen Zügen haben wir einiges aus Vergangenem
und Heutigem in der Reklame gestreift. Das soll An-
regung geben, sich mit diesen Dingen eingehender
zu beschäftigen. Der Mensch muß die wichtigsten
Äußerungen seiner Zeit wissen, und er muß Stellung
zu ihnen nehmen. Und außerdem sind w i r in diesem
Falle nicht nur Privatmenschen, die für sich annehmen
oder ablehnen dürfen, wie es ihnen beliebt, — wir
haben als Kunstlehrer die Pflicht, alle Gebiete, auf
denen sich ein künstlerisches Leben und Treiben ab-
spielt, zu beobachten und zu erforschen. Um uns lebt
die Tugend, die ebenso wie wir, vielleicht (weil mit
unbeschwerterem Gemüt) noch genauer und eindring-
licher beobachtet als wir Erwachsene. Gewiß ist
es schon vielen von uns begegnet, daß Schüler — be-
sonders auf den Oberklassen — über diese und jene
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die „REKLAME“ IM KUNSTUNTERRICHT
Wenn wir heute von Reklame sprechen hören,
so verbindet sich in uns der Klang dieses Wor-
tes mit einem vielbunten, kaleidoskop-artig bewegten
und drängenden Begriffsbilde, dessen Einzelkonturen,
so stark sie auch an und für sich sein mögen, doch
nur selten die Geschlossenheit einer Totalvorstellung
auslösen. Das hat seinen Grund darin, daß sich unter
der Sammelbezeichnung „Reklame" viele, ja außer-
ordentlich viele Arbeiten zusammenfinden, die In ihren
äußeren Erscheinungs- und Lebensformen jedoch so
verschieden voneinander sind, wie kaum in einem
anderen Arbeitsgebiet. Reklame im weitesten Sinne
ist eine der größten Gewalten, die auf Erden zur Herr-
schaft gelangt sind, ist ihr doch jeder Mensch, ob
bewußt oder nicht, untertan. Ihr Machtbereich erstreckt
sich schlechterdings auf alles: der ganze uns je-
mals bekannte Kosmos mit seinem gesamten lebenden
und toten Inventar, selbst irrationale Dinge und Be-
griffe werden zu Objekten, die verarbeitet, resp. be-
handelt werden. Der moderne Mensch ist leicht ge-
neigt, die Reklame als ein „hoch aktuelles" Problem
für eine Angelegenheit der neueren Zeit zu halten; er
begeht damit einen großen Irrtum. Reklame ist Immer
gewesen; angefangen bei den Völkern prähistorischer
Zeit, weiterentwickelt von späteren Kulturen und so
auf uns überkommen, die wir sie wieder überliefern
den nach uns kommenden Geschlechtern, hat die Re-
klame niemals eine Zeit völliger Untätigkeit, völligen
Versagens gekannt; sie ist ein ständiger Begleiter des
Menschen gewesen, — nur hat ihre Art sich gewan-
delt, sie hat sich der jeweiligen Physiognomie einer
Zeit angepaßt. Die Geschichte der Reklame ist eng
verbunden mit der Geschichte der Entwicklung der
Völker; sie ist ein Hauptteil dieser Entwicklung. Und
wenn in unseren Schulen von der Reklamekunst und
von ihrem großen Einfluß auf Kultur und Fortschritt
der Völker und Nationen fast nichts zu hören ist, so
liegt das an der „Einseitigkeit" der Beleuchtung, welche
die Geschichte als Unterrichtsfach erfährt. Die Re-
klamekunst ist so alt wie die Menschheit, denn sie ist
aus der Urpsyche des Menschen geboren. Der Mensch
und seine Lebensart sind ohne Reklame überhaupt nicht
denkbar, liegt doch im menschlichen Wesen die Not-
wendigkeit der Gemeinschaft, und Gemeinschaft, auch
die geringste, verlangt Werbung. Werbung aber ist
Reklame. Und letzten Endes sind Sauberkeit, Haar-
tracht, Schmuck, Kleidung, selbst in den primärsten
Formen, nichts anderes als Anpreisung, Propaganda
für die Vorzüge einer Person. In den Uranfängen der
menschlichen Kultur erstand somit die erste Form der
Reklame. Und zu dieser „Personen-Reklame" kam
später, als die einzelnen Glieder der menschlichen
Gesellschaft zum Warentausch miteinander in Verbin-
dung traten, die Warenanpreisung, eine Art,
die in der Reklame heute die weitaus beherrschende
geworden ist. (Eine Folge unserer kulturellen Entwick-
lung.) Es würde den Rahmen dieser Ausführungen weit
überschreiten, wollten wir uns länger mit der ge-
schichtlichen Entwicklung — so interessant sie auch
ist — beschäftigen.
Wenn frühere Zeiten die Reklame wohl gekannt
haben, so gaben sie ihr aber nicht die Stellung im
leben, die ihr heute zukommt. Heute ist sie ein nicht
mehr zu übersehender Faktor geworden. Die Sprache
des Tages wird diktiert von der nervösen Hast einer
Zeil, die nach immer neuem Geschehen giert, nach
Unerhörtem und also sich In Superlativen verliert, ohne
ru fragen, wie das Ende sein wird. Seufzend sprechen
wir bereits- (berechtigt!) von einem Reklame-Unwe-
sen, weil wir die Menge der aufrüttelnden Anprei-
sungen nicht mehr ertragen können.
Die heute fast allgemeine nervöse Reizbarkeit hat
eine rasche Übersättigung des Geistes im Gefolge,
und daraus ergibt sich zunächst Passivität und später
Gleichgültigkeit. Eine Folge der Erkenntnis dieser psy-
chologischen Kette ist die neuerdings gehobene Qua-
lität In der Reklame. Die Zeiten der „Reklame um
jeden Preis" sind vorbei. (Nachzügler soll man nicht
ernst nehmen.) Mehr und mehr gewinnt eine bessere
Reklame, die sowohl ästhetisch als auch ethisch wert-
voll ist, an Einfluß auf die Massen. An der Gegensätz-
lichkeit, der überragenden Stellung einer qualitativen
Leistung inmitten der wenigen guten und schlechten
Reklame hat sich die Urteilsfähigkeit breiter Volks-
schichtengebildet. Dringlicher und gewollter als jedes
andere Teilgebiet der Kunst stellt sich die Reklame-
kunst vor das Forum der Welt, fordert also das Urteil
der Menge direkt heraus. Und nichts ist so leicht ge-
eignet, an seinen eigenen Fehlern Fiasko zu erleiden
wie gerade die' Reklame, die im Augenblick anstatt
zu gewinnen, genau das Gegenteil erreichen kann.
Eine gute Reklame hat verschiedene Aufgaben zu
erfüllen: Erstens hat sie zu wissen, daß der neuzeit-
liche Mensch nicht lange suchen, sondern möglichst
schnell finden will. Die Reklame muß ihm entgegen-
kommen, sie muß seinen Blick einfangen und festhal-
ten („Blickfang" besitzen). Ein Wort, ein Zeichen, ein
klares und einfaches Bild muß die Aufmerksamkeit des
Vorübereilenden erregen, daß es ihn dazu verleitet,
sich mit ihm und seiner weiteren Darbietung eingehen-
der zu befassen. Mit der Auffälligkeit allein ist es aber
nicht getan; Form und Inhalt einer Anpreisung müssen
stilistisch und formal interessieren, damit beide mit-
einander verbunden sich dem Gedächtnis einprägen
und dort die erhoffte Wirkung auslösen: den Wunsch
nach der Ware. — Etwas über die Form: Eine gute
Form „schreit" nicht, weder in den Linien noch in den
Farben, sie ist trotz aller Auffälligkeit immer ästhetisch
erfreulich. Vornehme Schlichtheit, Vermeidung der
Unwesentlichkeiten, Sicherheit im Aufbau, Klarheit in
der Darstellung, das sind die Grundforderungen, die
wir an die Form stellen. Und zum Inhalt: Auch von
ihm verlangen wir mancherlei. Übertriebene Lobhym-
nen und Superlative sind ebenso verfehlt wie ins Ein-
zelne gehende Beschreibungen und andere lange Epi-
steln. Ein auffallendes Wort, das sofort Kunde gibt von
dem, worum es sich handelt, und von ihm ausgehend
in logischer Linie der notwendige Begleittext! Uber
Form und Inhalt (über Mnemotechnik, Witz, Reklame-
verse und andere Pointen) ließe sich noch vieles
sagen, es führt aber zu weit.
In kurzen Zügen haben wir einiges aus Vergangenem
und Heutigem in der Reklame gestreift. Das soll An-
regung geben, sich mit diesen Dingen eingehender
zu beschäftigen. Der Mensch muß die wichtigsten
Äußerungen seiner Zeit wissen, und er muß Stellung
zu ihnen nehmen. Und außerdem sind w i r in diesem
Falle nicht nur Privatmenschen, die für sich annehmen
oder ablehnen dürfen, wie es ihnen beliebt, — wir
haben als Kunstlehrer die Pflicht, alle Gebiete, auf
denen sich ein künstlerisches Leben und Treiben ab-
spielt, zu beobachten und zu erforschen. Um uns lebt
die Tugend, die ebenso wie wir, vielleicht (weil mit
unbeschwerterem Gemüt) noch genauer und eindring-
licher beobachtet als wir Erwachsene. Gewiß ist
es schon vielen von uns begegnet, daß Schüler — be-
sonders auf den Oberklassen — über diese und jene
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