ZUM NACHDENKEN
Gibt Kunst Sinnbilder?
Da wir alles Leben und Erleben durch unsere Sinne
empfangen, muß die Verbesserung, Vervollkommnung
und Kultivierung der Gebrauchsfähigkeit unserer „Le-
bensinstrumente" die Voraussetzung sein für die
Höhergestaltung des Lebens und Erlebens überhaupt.
Alle Kunst dient solcher Lebenserhöhung. Gerade
mit ihren „Imponderabilien".
Also sind auch die Beziehungswerte reiner Kunst-
formen zum Menschen gerade das, was der Kunst
ihren tiefen „Sinn" gibt. Die bildenden Künste haben
also den „Sinn" ihrer Reizwirkungen auf die Sinne.
Und damit haben sie alles und mehr als genug. Sie
brauchen nicht Sinn zu haben, für den es des „Ver-
ständnisses" bedürfte.
„Sinn" haben heißt nicht nur verständig und ver-
ständlich sein. „Sinn" haben heißt nicht nur aus
geistigem Einfall oder aus Überlegungen stammen.
„Sinn" haben heißt nicht nur „Gedankliches"
lebendig geben. Gedankliches wird in Ton, Farbe und
Masse n i e lebendig. Sinngebilde in dieser Bedeu-
tung können und müssen tote Gleichnisse bleiben —
tot, auch wenn Ton, Farbe und Masse so tun, als ob
sie „denken" und Gedankliches ausdrücken könnten ...
Mutet man Ton, Farbe, Masse zu, Geistiges oder
Gedankliches zu vermitteln und zu übertragen, so
belastet man sie mit unmöglichen und sinnlosen Auf-
gaben ...
Aufgabe und Möglichkeit des Tones ist das „Klin-
gen", der Farbe das „Leuchten", der Masse das
„Sich-Strecken". — ...
Man verlangt von den bildenden Künsten neben
all Ihren Leistungen noch die Erfüllung der Aufgabe
der „Sage" und Dichtkunst. Sonst findet das Publikum
keine Beziehung zu ihnen.
Bilder müssen nicht gemalt, sie müssen „gedacht"
sein. (Nach den Gedanken hat sich die Farbe zu
richtenl) Plastiken nicht geformt, sie müssen schil-
dernd" sein. — (Nach der Idee hat das Material Ge-
dankliches zu „demonstrieren!)
Nur die Musik darf klingen ohne logischen Gedan-
kenausdruck; aber wie oft schon ging der „Sinn"
auch ihr zu Leibe..
Der wissende Geistsinn. —
Die Beziehung der Heutigen zur Kunst bestimmt
eben das Denken, Kritisieren, Besserwissen — der
wissenschaftliche und literarische Einschlag des Zeit-
geschmacks. Das aber sind völlig untaugliche Mittel
im Sinne der „bildenden Künste. S i e können nur mit
den „Sinnen" nacherlebt werden. Sie geben
keine Ideen, Anekdoten und Romane. Sie geben Ner-
venereignisse, Sinnenerlebnisse.
So gibt Kunst allerdings „Sinnbilder" — Sinnen-
gebilde des Lebens. William Wanner im „Kunstwart”
Verlag D. W. G. Callwey, München.
Dies Unvergleichliche ...
Damit ein Ding an sich selbst Wohlgefallen errege
(Kant nennt es mit einer leicht irreführenden Wen-
dung „interesselos"), muß es unfraglich ebenso der
sinnlichen Auffassungsgabe entsprechen, wie ein un-
sere Billigung heischendes Urteil den Erfordernissen
der Logik. Aber genau wie diese sind auch die ästhe-
tischen „Apperzeptionsbedingungen" immer die näm-
lichen und daher völlig außerstande, den beson-
deren Reiz konkreter Schönheit irgend verständlich
zu machen. Wir lieben ja auch sonst nicht Allgemein-
heiten, z. B. nicht den Menschen, sondern immer nur
einen bestimmten Menschen. Gleicherweise fes-
selt uns an einer menschlichen Schöpfung nicht ihre
Angemessenheit an das Aufnahmevermögen des Be-
wußtseins, wodurch sie mit jeder nur eben gelungenen
übereinstimmt, sondern gerade ihr Unvergleichliches.
Dies Unvergleichliche ist aber ferner nicht das schlecht-
hin Persönliche. Auch die Persönlichkeit zwar kann
als solche jenen Reiz bewähren, wie denn kein Er-
scheinendes von ihm ausgeschlossen ist. Sie bewährt
ihn jedoch offenbar durch ihre Teilhaberschaft an
etwas anderem, sonst müßte jeder die Macht der
Schönheit um sich verbreiten können. Weder der
Geist noch die Persönlichkeit vermag dem Gebilde
die eigentümliche Magie zu verleihen, durch die es
uns dem Zufälligen entrückt und wie von einer inne-
ren Notwendigkeit des Daseins getragen erscheint.
Aus „Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" von Dr, Ludwig Klages.
1923. (Leipzig. Verlag von Joh. Ambrosius Barth.)
Der Mensch und die Kunst.
Erstens. Der Mensch Ist seiner Gattung nach ein
Kunstgeschöpf. Auf den Gebrauch tätiger Ver-
nunft mittelst sinnlicher Organe, mithin auf Kunst,
ist das Sein und Wohlsein seines Geschlechts ge-
baut; nur durch Kunst ist er, was er ist, geworden.
Seine Bedürfnisse zwangen ihn; seine Fähigkeiten
und Kräfte luden ihn dazu ein; Kunst ist ihm
als Menschen natürlich.
Zweitens. Das Schöne und Häßliche, das Wohlgemeinte
und Abgeschmackte unterscheiden, ist dem Men-
schen kein Spiel müßiger Ideen, sondern das Gefühl
derselben ist sein Naturcharakter, sein inne-
res und äußeres Bedürfnis. Wenn allenthalben
in der Natur Schönheit nur der lebendige Ausdruck
des Wohlseins der Geschöpfe, jedes in seinem .Ele-
ment, ist, sofern diesen Ausdruck des Menschen
Sinne sich harmonisch empfinden: so ist auf dieser
vielsprossigen Leiter dem Menschen das Schöne
nirgend uninteressant, Angenehmes und Widriges
nirgend gleichgültig. Er lebt in der Natur, ihr har-
monisch gebaut, und muß mit ihr leben. Daher die
Geschichte seiner Kultur in Anerkennung und Übung
des Schönen, natur- und kunstmäßig.
Hinweg also jene falschen Prinzipien, zu denen man
die Künste des Schönen erniedrigt, „müßiges Spiel,
bedürfnis- und lohnfreie Übung, marktende Mitteilung
in der Gesellschaft"! Ohne Bedürfnis und Ernst ward
keine Kunst, keine läßt mit sich spielen, keine wird
ohne Lohn geübt... Je mehr die Vernunft des Men-
schen sich besinnt, desto mehr müssen auch ihre
Künste des Schönen vom Tändeln zum Ernst, vom
Zwecklosen zur Absicht zurückkehren. j.G.Herder.
Kunst ist wie die Sprache ein Mittel der seelischen
Entäußerung.
„Schöne" Kunst hat nur in den wenigsten und kür-
zesten Zeiten geblüht; selbst bei den Griechen, dann
in der hohen Gotik und Renaissance. Was vorher und
nachher entsanden, hat anderen Charakter, ist mehr
lieblich, schmuckhaft, geschmackvoll u. a.; dergleichen
aber meinen die meisten, wenn sie von „Schönheit"
in der Kunst sprechen. Gewiß ist das eine Aufgabe
der Kunst, aber nicht ihre stärkste und reichste.
Kunst ist im tiefsten, wie die Sprache, ein Mittel der
seelischen Entäußerung, eine wirksame Gestalt innerer
und äußerer Gesichte, Erkenntnisse, Erlebnisse des
Künstlers und durch ihn seines Volkes, seiner Zeit —
über die die Größten nicht selten hinauswachsen.
Alles das aber ist nur zum geringsten Teil „schön".
Ebensowenig ist es entscheidend, ob die Kunstformen
und -Situationen im naturwissenschaftlichen Sinne all-
seitig richtig, wohl aber, ob sie gehaltvoll und darin
verständlich sind. Jos. Popp, Kunslwart 1931, 5.
' Verlag D. W. Georg Callwey, München.
Er glaubt das Rätsel gelöst zu haben...
Nur aus der lebendigen Fülle aufgewühlter Augen-
blicke oder zum wenigstens aus entselbstender Ver-
tieftheit in schöpferisch Gestaltetes mögen wir ein
306
Gibt Kunst Sinnbilder?
Da wir alles Leben und Erleben durch unsere Sinne
empfangen, muß die Verbesserung, Vervollkommnung
und Kultivierung der Gebrauchsfähigkeit unserer „Le-
bensinstrumente" die Voraussetzung sein für die
Höhergestaltung des Lebens und Erlebens überhaupt.
Alle Kunst dient solcher Lebenserhöhung. Gerade
mit ihren „Imponderabilien".
Also sind auch die Beziehungswerte reiner Kunst-
formen zum Menschen gerade das, was der Kunst
ihren tiefen „Sinn" gibt. Die bildenden Künste haben
also den „Sinn" ihrer Reizwirkungen auf die Sinne.
Und damit haben sie alles und mehr als genug. Sie
brauchen nicht Sinn zu haben, für den es des „Ver-
ständnisses" bedürfte.
„Sinn" haben heißt nicht nur verständig und ver-
ständlich sein. „Sinn" haben heißt nicht nur aus
geistigem Einfall oder aus Überlegungen stammen.
„Sinn" haben heißt nicht nur „Gedankliches"
lebendig geben. Gedankliches wird in Ton, Farbe und
Masse n i e lebendig. Sinngebilde in dieser Bedeu-
tung können und müssen tote Gleichnisse bleiben —
tot, auch wenn Ton, Farbe und Masse so tun, als ob
sie „denken" und Gedankliches ausdrücken könnten ...
Mutet man Ton, Farbe, Masse zu, Geistiges oder
Gedankliches zu vermitteln und zu übertragen, so
belastet man sie mit unmöglichen und sinnlosen Auf-
gaben ...
Aufgabe und Möglichkeit des Tones ist das „Klin-
gen", der Farbe das „Leuchten", der Masse das
„Sich-Strecken". — ...
Man verlangt von den bildenden Künsten neben
all Ihren Leistungen noch die Erfüllung der Aufgabe
der „Sage" und Dichtkunst. Sonst findet das Publikum
keine Beziehung zu ihnen.
Bilder müssen nicht gemalt, sie müssen „gedacht"
sein. (Nach den Gedanken hat sich die Farbe zu
richtenl) Plastiken nicht geformt, sie müssen schil-
dernd" sein. — (Nach der Idee hat das Material Ge-
dankliches zu „demonstrieren!)
Nur die Musik darf klingen ohne logischen Gedan-
kenausdruck; aber wie oft schon ging der „Sinn"
auch ihr zu Leibe..
Der wissende Geistsinn. —
Die Beziehung der Heutigen zur Kunst bestimmt
eben das Denken, Kritisieren, Besserwissen — der
wissenschaftliche und literarische Einschlag des Zeit-
geschmacks. Das aber sind völlig untaugliche Mittel
im Sinne der „bildenden Künste. S i e können nur mit
den „Sinnen" nacherlebt werden. Sie geben
keine Ideen, Anekdoten und Romane. Sie geben Ner-
venereignisse, Sinnenerlebnisse.
So gibt Kunst allerdings „Sinnbilder" — Sinnen-
gebilde des Lebens. William Wanner im „Kunstwart”
Verlag D. W. G. Callwey, München.
Dies Unvergleichliche ...
Damit ein Ding an sich selbst Wohlgefallen errege
(Kant nennt es mit einer leicht irreführenden Wen-
dung „interesselos"), muß es unfraglich ebenso der
sinnlichen Auffassungsgabe entsprechen, wie ein un-
sere Billigung heischendes Urteil den Erfordernissen
der Logik. Aber genau wie diese sind auch die ästhe-
tischen „Apperzeptionsbedingungen" immer die näm-
lichen und daher völlig außerstande, den beson-
deren Reiz konkreter Schönheit irgend verständlich
zu machen. Wir lieben ja auch sonst nicht Allgemein-
heiten, z. B. nicht den Menschen, sondern immer nur
einen bestimmten Menschen. Gleicherweise fes-
selt uns an einer menschlichen Schöpfung nicht ihre
Angemessenheit an das Aufnahmevermögen des Be-
wußtseins, wodurch sie mit jeder nur eben gelungenen
übereinstimmt, sondern gerade ihr Unvergleichliches.
Dies Unvergleichliche ist aber ferner nicht das schlecht-
hin Persönliche. Auch die Persönlichkeit zwar kann
als solche jenen Reiz bewähren, wie denn kein Er-
scheinendes von ihm ausgeschlossen ist. Sie bewährt
ihn jedoch offenbar durch ihre Teilhaberschaft an
etwas anderem, sonst müßte jeder die Macht der
Schönheit um sich verbreiten können. Weder der
Geist noch die Persönlichkeit vermag dem Gebilde
die eigentümliche Magie zu verleihen, durch die es
uns dem Zufälligen entrückt und wie von einer inne-
ren Notwendigkeit des Daseins getragen erscheint.
Aus „Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft" von Dr, Ludwig Klages.
1923. (Leipzig. Verlag von Joh. Ambrosius Barth.)
Der Mensch und die Kunst.
Erstens. Der Mensch Ist seiner Gattung nach ein
Kunstgeschöpf. Auf den Gebrauch tätiger Ver-
nunft mittelst sinnlicher Organe, mithin auf Kunst,
ist das Sein und Wohlsein seines Geschlechts ge-
baut; nur durch Kunst ist er, was er ist, geworden.
Seine Bedürfnisse zwangen ihn; seine Fähigkeiten
und Kräfte luden ihn dazu ein; Kunst ist ihm
als Menschen natürlich.
Zweitens. Das Schöne und Häßliche, das Wohlgemeinte
und Abgeschmackte unterscheiden, ist dem Men-
schen kein Spiel müßiger Ideen, sondern das Gefühl
derselben ist sein Naturcharakter, sein inne-
res und äußeres Bedürfnis. Wenn allenthalben
in der Natur Schönheit nur der lebendige Ausdruck
des Wohlseins der Geschöpfe, jedes in seinem .Ele-
ment, ist, sofern diesen Ausdruck des Menschen
Sinne sich harmonisch empfinden: so ist auf dieser
vielsprossigen Leiter dem Menschen das Schöne
nirgend uninteressant, Angenehmes und Widriges
nirgend gleichgültig. Er lebt in der Natur, ihr har-
monisch gebaut, und muß mit ihr leben. Daher die
Geschichte seiner Kultur in Anerkennung und Übung
des Schönen, natur- und kunstmäßig.
Hinweg also jene falschen Prinzipien, zu denen man
die Künste des Schönen erniedrigt, „müßiges Spiel,
bedürfnis- und lohnfreie Übung, marktende Mitteilung
in der Gesellschaft"! Ohne Bedürfnis und Ernst ward
keine Kunst, keine läßt mit sich spielen, keine wird
ohne Lohn geübt... Je mehr die Vernunft des Men-
schen sich besinnt, desto mehr müssen auch ihre
Künste des Schönen vom Tändeln zum Ernst, vom
Zwecklosen zur Absicht zurückkehren. j.G.Herder.
Kunst ist wie die Sprache ein Mittel der seelischen
Entäußerung.
„Schöne" Kunst hat nur in den wenigsten und kür-
zesten Zeiten geblüht; selbst bei den Griechen, dann
in der hohen Gotik und Renaissance. Was vorher und
nachher entsanden, hat anderen Charakter, ist mehr
lieblich, schmuckhaft, geschmackvoll u. a.; dergleichen
aber meinen die meisten, wenn sie von „Schönheit"
in der Kunst sprechen. Gewiß ist das eine Aufgabe
der Kunst, aber nicht ihre stärkste und reichste.
Kunst ist im tiefsten, wie die Sprache, ein Mittel der
seelischen Entäußerung, eine wirksame Gestalt innerer
und äußerer Gesichte, Erkenntnisse, Erlebnisse des
Künstlers und durch ihn seines Volkes, seiner Zeit —
über die die Größten nicht selten hinauswachsen.
Alles das aber ist nur zum geringsten Teil „schön".
Ebensowenig ist es entscheidend, ob die Kunstformen
und -Situationen im naturwissenschaftlichen Sinne all-
seitig richtig, wohl aber, ob sie gehaltvoll und darin
verständlich sind. Jos. Popp, Kunslwart 1931, 5.
' Verlag D. W. Georg Callwey, München.
Er glaubt das Rätsel gelöst zu haben...
Nur aus der lebendigen Fülle aufgewühlter Augen-
blicke oder zum wenigstens aus entselbstender Ver-
tieftheit in schöpferisch Gestaltetes mögen wir ein
306