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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

DOI Heft:
Heft 3 (März 1931)
DOI Artikel:
Müller, F.: Das Unbewusste
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0073

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Kunst und Jugend
Deutsche Bläffer für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Stuttgart, Ameisenbergsfr. 65
Druck, Expedition und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestralje 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind t Schreibt sachlich klar und einfach! Meidet alle entbehrlichen Fremdwörter

11. Jahrgang März 1931 Heft 3

F. MÜLLER: DAS UNBEWUSSTE
Nicht um eine„Philosophie des Unbewußten''imSlnne
Eduard v. Hartmanns handelt es sich hier, sondern
um Beobachtungen und Erfahrungen über den Ein-
fluß des Unbewußten auf unser Seelenleben. Das
Gebiet des Unbewußten ist unserer wachen Erkenntnis
nur wenig zugänglich, und die Philosophen lehnen es
darum in der Regel ab, darüber zu sprechen oder zu
schreiben. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß
unbewußte Dinge oder Vorgänge in unserm Seelen-
leben eine große Rolle spielen. 3a, man kann sagen,
daß sie es eigentlich sind, die unser Leben in seinem
tiefsten Grunde gestalten. Es ist darum auch die Er-
kenntnis, daß neben unserm Bewußtsein noch ein
Unterbewußtsein vorhanden ist, das bei unserm Den-
ken und Handeln mehr oder weniger mitspricht, be-
reits fest begründet. Gibt es doch viele Lebensäuße-
rungen, die ohne die Annahme dieses Unterbewußt-
seins schlechterdings nicht zu erklären sind, und drän-
gen sich doch im allergewöhnlichsten Lebensablauf
uns gewisse Dinge auf, die auf ein Mitspielen des
Unterbewußtseins schließen lassenl Wer hat nicht
schon, wenn er am anderen Morgen verreisen wollte,
sich vor dem Schlafengehen fest vorgenommen, früh um
eine bestimmte Zeit aufzuwachen und ist tatsächlich
um diese Zeit aufgewachtl Oder wer hat nicht schon
in einer Gesellschaft das Gefühl gehabt, daß er von
jemand scharf beobachtet wurdo und nachher fost-
gestelll, daß dies tatsächlich der Fall warl
Wenn ich in der Überschrift schlechthin „Das Unbe-
wußte" sagte und nun vom „Unterbewußtsein''spreche,
so folge ich damit dem Sprachgebrauch, der diese
beiden Begriffe, obwohl sie sich zum Teil decken, mit
Recht unterscheidet. Das Unbewußte wird als allge-
meiner Begriff genommen, unter dem man auch das
erfaßt, was unserer Seele so fern liegt, daß es sie
nicht beeinflussen kann. Dagegen bezeichnet der Be-
griff „Unterbewußtsein" nur dasjenige Unbewußte,
das in unserer Seele auf irgend eine Art wirksam ist.
Die älteie Psychologie hat die unbewußten Seelen-
tätigkeiten so gut wie gar nicht beachtet und erst
durch Prof. Dessoir ist meines Wissens etwa um 1896
der Begriff „Unterbewußtsein'' in die Psychologie ein-
geführt worden. Er vers.tand darunter ein „zweites
Ich", das unabhängig vom eigentlichen Ich bestehen
soll. Zu dieser Annahme veranlaßten ihn hauptsäch-
lich die damals stark in Erscheinung tretenden Tat-
sachen der Hypnose und Suggestion, die unabweis-
llch,.das Nachdenken herausförderten. Neuerdings

stellen nun Mediumismus, Hellsehen und ähnliche Dinge
weitere Rätsel. Wenn wir zu ihrer Erklärung ein Un-
terbewußtsein annehmen, so sind wir meines Erach-
tens aber nicht genötigt, dessen Unabhängigkeit vom
wachen Bewußtsein zu behaupten; vielmehr weisen
viele Erscheinungen auf ihre gegenseitige Abhängig-
keit von einander hin. Man hat die okkulten Erschei-
nungen mit der Einrede abtun wollen, daß es sich bei
ihnen um seltene und ganz besondere menschliche
Fähigkeiten handle, was aber die Tatsachen an sich
nicht erklärt. Eher müssen wir nach Analogie unserer
sonstigen seelischen Kräfte sagen, daß diese Dinge
als Keim oder Uranlage jeder Menschenscple inne-
wohnen. Wie jedem Menschen, welcher Kulturstufe
er immer angehören möge, nachweislich die Fähigkeit
bildgestaltenden Ausdrucks innewohnt, auch wenn er
sie nie betätigt, so sind denknotwendig auch alle an-
dern Kräfte in seiner Seele als Spuren vorhanden,
und wir werden ihre schwachen Äußerungen gelegent-
lich auch an „ganz normalen" Menschen wahrnehmen.
In neuerer Zeit hat Siegmund Freud bekanntlich in
seiner Psychoanalyse dem Unterbewußtsein große Be-
deutung beigelegt, und er hat — von einigen Über-
treibungen abgesehen — viele Tatsachen an das Licht
gezogen, die uns trotz ihrer Neuheit wohlbekannt
Vorkommen. Er hat uns Unbewußtes bewußt gemacht,
wie er es in seiner Heilweise als Nervenarzt tut. So
erinnert er an gewisse „Fehlhandlungen" wie Verspre-
chen, Verschreiben, Verlegen, Versehen und zeigt,
wie der Mensch, wenn er sich z. B. verspricht, dadurch
erst recht die Richtung seiner Gedanken offenbart,
die vom Unterbewußtsein getragen werden. Freud
weist nach, wie das Unbewußte die Seele beunruhigen,
ja krank machen kann und wie man diese Seelen-
störungen beseitigt, wenn man die betreffenden Un-
terbewußtseinsmomente ins Tagesbewußtsein empor-
hebt. Besonders wichtig aber ist für uns der Hinweis
darauf, daß viele Dinge des Unterbewußtseins auf den
Urzustand des Menschen, ja sogar auf die Tierreihe
zurückgehen.
Gewöhnlich stellt man sich das Unlerbewußtsein
als eine Art Sammelbecken vor, in welchem alles das
aufbewahrt wird, was uns einmal bewußt war oder
doch von uns aufgenommen wurde und nun für unser
Denken entbehrlich oder lästig ist. Wir erleben oft,
daß das Vergessene oder gänzlich verschwunden Ge-
glaubte plötzlich und anscheinend unvermittelt im
Tagesbewußtsein wieder auftaucht oder daß neue

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