Vorstellungen es wieder ans Licht ziehen. Diese unter
der Schwelle des Bewußtseins ruhenden Dinge bilden
aber nur die oberste Schicht dieses Sammelbeckens.
Wichtiger ist schon die Tatsache, daß viele Vorstel-
lungen und Gefühle, die in das Ünterbewußtsein hin-
absinken, sich durch mannigfache Assimilation mit dem
übrigen Seeleninhalt so verändern, daß sie in ihrer
ursprünglichen Beschaffenheit überhaupt nicht mehr
reproduziert werden können. Doch da keine Kraft,
auch keine seelische Kraft, verloren geht, haben sich
diese Vorstellungen und Gefühle in Erlebnisspu-
ren umgesetzt, die als solche ihre Wirksamkeit be-
halten. Das ist schon eine tiefere Schicht des Unter-
bewußtseins. — Weiter muß hervorgehoben werden,
daß viele Tageserlebnisse uns gar nicht erst zum Be-
wußtsein kommen, sondern sogleich in das Unter-
bewußtsein eingehen. Spurlos gehen sie aber nicht
an uns vorüber, denn gelegentlich merken wir, wie
unser Unterbewußtsein manches „gesehen" hat, was
unser waches Auge nicht sah. Überhaupt müssen wir
uns vor der Überschätzung unserer Augenerlebnisse
hüten. Wir „sehen", d. h. wir erleben mit unserm gan-
zen Körper. Vom Ohr und den übrigen Sinnesorganen
zu schweigen, müssen wir sagen, daß lediglich durch
den Muskelsinn so viele Erlebnisse in uns eingehen,
daß sie sich nicht nur nach ihrer Menge, sondern auch
nach ihrem Wert als seelenformende Momente getrost
den Gesichtssihneserlebnissen an die Seite stellen
können. Aber gerade dieses durch das allgemeine
Körpergefühi Erworbene entzieht sich zum größten
Teil dem wachen Bewußtsein (weshalb es auch so
unterschätzt wird), während es im Unterbewußtsein
augenscheinlich eine große Rolle spielt. Davon zeu-
gen z. B. auch die Zeichnungen, in denen Jugendliche
unbeeinflußt ihre Erlebnisse darstellen.*
Endlich kommt dann die tiefste Schicht des Unter-
bewußtseins, die weniger erworben als ererbt ist. In
meinem Aufsatz vom „Erleben" (Kunst und Jugend,
1929, 6) ist schon darauf hingewiesen worden, daß sich
die „Erlebnisengramme" von Generation zu Gene-
ration vererben. Bei Tieren und Pflanzen sind sie die
Grundlage sowohl für die Erhaltung der Art als auch
für deren Variation. Auch im Menschen sind trotz sei-
ner hohen Kultur und Zivilisation diese tierhaften Reste
noch vorhanden. Nicht nur, weil der Mensch körper-
lich der Tierreihe angehört, hat sich vieles vom tieri-
schen Instinkt in ihm erhalten, sondern auch, weil seine
Seele sich, wie unsere Tierpsychologen sagen, aus
der Tierseele allmählich emporgebildet hat. Was aber
als stärkstes Kriterium zwischen der Menschen- und
Tierseele immer gestanden hat, war eben der sog.
Instinkt, von dem man annahm, daß er im Grunde die
ganze Tierseele ausmache und ausschließlich dieser
angehöre. Der Mensch sei vermöge seiner höheren
Geistigkeit von solchem Instinkt frei. Diese Annahme
ist unhaltbar. Weder das Tier, insbesondere das
höhere Tier, wird ausschließlich vom Instinkt be-
herrscht, noch ist der Mensch davon ausgenommen.
Was ist überhaupt Instinkt? Nach unserer heutigen
Naturwissenschaft ist er nichts anderes als das im
Unterbewußtsein wirksame seelische Erbe einer un-
endlich langen Ahnenreihe. Im Menschen kann der
Instinkt durch das Tagesbewußtsein ausgeschaltet er-
scheinen, obwohl er dennoch vorhanden und wirksam
ist. Denn gerade auf den beiden Hauptgebieten des
menschlichen Seins, nämlich denen der Ernährung und
Fortpflanzung tritt er dauernd und manchmal sehr stark
in Erscheinung. Vieles im Verhalten der Geschlechter,
insbesondere der Frau; kann nur als instinktmäßig ge-
dacht werden. Ist das wache Bewußtsein abgeblen-
det, sei es durch Krankheit oder durch Gifte, so kommt
die Herrschaft des Unterbewußtseins, also das Instinkt-
Jt-Z. B. zeichnen Jugendliche. die Sport treiben, viele Dinge, die sie
kaum gesellen, um so mehr aber mit dem eigenen Körper erfühlt
haben.
und Triebhafte, zur Geltung. Dann zeigt sich zuweilen,
wie bei Irren und Verbrechern, das Bestialische im
Menschen in erschrecklicher Weise. Trotz dieser oft
so abstoßenden Äußerung ist nicht zu verkennen, daß
es gerade der Instinkt ist, der das Menschengeschlecht
als solches erhält. — Hier im instinkthaften Unter-
bewußtsein wird das Urmenschliche im Menschen be-
wahrt. Dieses Urerbe ist die tiefste Schicht des Unter-
bewußtseins.
Der bekannte Stettiner Arzt und Schriftsteller Karl
Ludwig Schleich setzt sich in seinem Buch „Von der
Seele" auch mit dem Verhältnis des Bewußtseins zum
Unterbewußtsein auseinander. Uber den Sitz der Seele
sagt er u. a.: „Es ist ganz hinfällig, der Seele einen
bestimmten Wohnort im Leibe zuzusprechen, denn sie
ist überall zu Haus, in den Nerven, im Blut, in den
Drüsen, im Sonnengeflecht, und wird von unendlich
vielen Dingen mehr beherrscht als von der Intaktheit
des Gehirns. — Die menschliche Seele ist der Mensch
als Ganzes." — Dagegen weist Schleich als Anatom
und Chirurg dem Bewußtsein einen bestimmten Platz
im Gehirn an, indem er sagt: „Eines ist das Gehirn
aber ganz gewiß: es ist der Träger alles dessen, was
wir Bewußtsein nennen . . . Dort an der Oberseite
des Gehirns ein weichlicher, weißlich-grauer Brei,
ohne Linie und scharfe Form (die Gehirnrinde), und
hier an der Basis Zeichnungen und Gebilde . . .! Dort
an der Wölbung der Kuppe waltet Willkür, Irrtum,
Wahn, Streben nach Umwandlung, Neugestaltung, und
hier in der Tiefe festgefügt das Unabänderliche, das
fest Erworbene, das Irrtumlose. Da haben wir den
anatomischen Ausdruck für das Doppelbild, den Janus-
kopf unserer Seele (Bewußtsein und Unterbewußt-
sein)." Schleich gibt manches treffliche Beispiel für
das Mitspielen des Unterbewußtseins im Leben. Hier
sei nur eines angeführt: „Ich stand an der Ausgangs-
tür der elektrischen Bahn, die nächste Haltestelle er-
wartend. Leise zogen mir Bilder aus meiner Jugend-
zeit auf dem Gute meines alten Onkels durch den
Sinn. Der gute, alte Onkel, wie lebhaft ich ihn vor
mir sah! Da drehte ich mich von ungefähr in das
Wageninnere, das ich soeben passiert hatte, zurück.
Wahrhaftig, welche Ähnlichkeit — der gute, alte On-
kel— da sitzt sein leibhaftiges Ebenbild in einer Ecke.
Es ist gewiß, daß seine Züge im Unterbewußtsein, als
ich durch den Wagen ging, abzufangen, das Motiv
meiner Gedanken wurden."
Überhaupt ist unsere Literatur reich an Hinweisen
auf die mannigfachen Erscheinungen des Unterbewußt-
seins. Goethe berichtet im elften Buch von „Dichtung
und Wahrheit", nachdem er von seinem Abschied von
Friederike gesprochen, folgendes: „Nun ritt ich auf
dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich
eine der sonderbarsten Ahnungen. Ich sah näm-
lich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des
Geistes, mich mir selbst denselben Weg zu Pferde
wieder entgegenkommen, und zwar in einem Kleide,
wie ich es nie getragen, es war hechtgrau mit etwas
Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte,
war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch,
daß ich nach acht Jahren, in dem Kleide, das mir ge-
träumt hatte und das ich nicht aus Wahl, sondern aus
Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand,
um Friederike noch einmal zu besuchen." — Desglei-
chen sei mir eine Stelle aus unserer Romanliteratur
anzuführen hier noch gestattet: Gustav Meyrinck läßt
in seinem Buche „Der Golem" einen Verbrecher be-
kennen: „Als ich die Tat beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen klarem Bewußt-
sein handelte, so hatte ich dennoch keine Wahl. Ir-
gend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nicht
geahnt hatte, wachte auf und war stärker als ich." —
Der vorhin angeführte C. L. Schleich schreibt über den
gleichen Gegenstand: „Es erscheint fast so, als wenn
der Verbrecher im epileptoiden Anfall durch Abblen-
70
der Schwelle des Bewußtseins ruhenden Dinge bilden
aber nur die oberste Schicht dieses Sammelbeckens.
Wichtiger ist schon die Tatsache, daß viele Vorstel-
lungen und Gefühle, die in das Ünterbewußtsein hin-
absinken, sich durch mannigfache Assimilation mit dem
übrigen Seeleninhalt so verändern, daß sie in ihrer
ursprünglichen Beschaffenheit überhaupt nicht mehr
reproduziert werden können. Doch da keine Kraft,
auch keine seelische Kraft, verloren geht, haben sich
diese Vorstellungen und Gefühle in Erlebnisspu-
ren umgesetzt, die als solche ihre Wirksamkeit be-
halten. Das ist schon eine tiefere Schicht des Unter-
bewußtseins. — Weiter muß hervorgehoben werden,
daß viele Tageserlebnisse uns gar nicht erst zum Be-
wußtsein kommen, sondern sogleich in das Unter-
bewußtsein eingehen. Spurlos gehen sie aber nicht
an uns vorüber, denn gelegentlich merken wir, wie
unser Unterbewußtsein manches „gesehen" hat, was
unser waches Auge nicht sah. Überhaupt müssen wir
uns vor der Überschätzung unserer Augenerlebnisse
hüten. Wir „sehen", d. h. wir erleben mit unserm gan-
zen Körper. Vom Ohr und den übrigen Sinnesorganen
zu schweigen, müssen wir sagen, daß lediglich durch
den Muskelsinn so viele Erlebnisse in uns eingehen,
daß sie sich nicht nur nach ihrer Menge, sondern auch
nach ihrem Wert als seelenformende Momente getrost
den Gesichtssihneserlebnissen an die Seite stellen
können. Aber gerade dieses durch das allgemeine
Körpergefühi Erworbene entzieht sich zum größten
Teil dem wachen Bewußtsein (weshalb es auch so
unterschätzt wird), während es im Unterbewußtsein
augenscheinlich eine große Rolle spielt. Davon zeu-
gen z. B. auch die Zeichnungen, in denen Jugendliche
unbeeinflußt ihre Erlebnisse darstellen.*
Endlich kommt dann die tiefste Schicht des Unter-
bewußtseins, die weniger erworben als ererbt ist. In
meinem Aufsatz vom „Erleben" (Kunst und Jugend,
1929, 6) ist schon darauf hingewiesen worden, daß sich
die „Erlebnisengramme" von Generation zu Gene-
ration vererben. Bei Tieren und Pflanzen sind sie die
Grundlage sowohl für die Erhaltung der Art als auch
für deren Variation. Auch im Menschen sind trotz sei-
ner hohen Kultur und Zivilisation diese tierhaften Reste
noch vorhanden. Nicht nur, weil der Mensch körper-
lich der Tierreihe angehört, hat sich vieles vom tieri-
schen Instinkt in ihm erhalten, sondern auch, weil seine
Seele sich, wie unsere Tierpsychologen sagen, aus
der Tierseele allmählich emporgebildet hat. Was aber
als stärkstes Kriterium zwischen der Menschen- und
Tierseele immer gestanden hat, war eben der sog.
Instinkt, von dem man annahm, daß er im Grunde die
ganze Tierseele ausmache und ausschließlich dieser
angehöre. Der Mensch sei vermöge seiner höheren
Geistigkeit von solchem Instinkt frei. Diese Annahme
ist unhaltbar. Weder das Tier, insbesondere das
höhere Tier, wird ausschließlich vom Instinkt be-
herrscht, noch ist der Mensch davon ausgenommen.
Was ist überhaupt Instinkt? Nach unserer heutigen
Naturwissenschaft ist er nichts anderes als das im
Unterbewußtsein wirksame seelische Erbe einer un-
endlich langen Ahnenreihe. Im Menschen kann der
Instinkt durch das Tagesbewußtsein ausgeschaltet er-
scheinen, obwohl er dennoch vorhanden und wirksam
ist. Denn gerade auf den beiden Hauptgebieten des
menschlichen Seins, nämlich denen der Ernährung und
Fortpflanzung tritt er dauernd und manchmal sehr stark
in Erscheinung. Vieles im Verhalten der Geschlechter,
insbesondere der Frau; kann nur als instinktmäßig ge-
dacht werden. Ist das wache Bewußtsein abgeblen-
det, sei es durch Krankheit oder durch Gifte, so kommt
die Herrschaft des Unterbewußtseins, also das Instinkt-
Jt-Z. B. zeichnen Jugendliche. die Sport treiben, viele Dinge, die sie
kaum gesellen, um so mehr aber mit dem eigenen Körper erfühlt
haben.
und Triebhafte, zur Geltung. Dann zeigt sich zuweilen,
wie bei Irren und Verbrechern, das Bestialische im
Menschen in erschrecklicher Weise. Trotz dieser oft
so abstoßenden Äußerung ist nicht zu verkennen, daß
es gerade der Instinkt ist, der das Menschengeschlecht
als solches erhält. — Hier im instinkthaften Unter-
bewußtsein wird das Urmenschliche im Menschen be-
wahrt. Dieses Urerbe ist die tiefste Schicht des Unter-
bewußtseins.
Der bekannte Stettiner Arzt und Schriftsteller Karl
Ludwig Schleich setzt sich in seinem Buch „Von der
Seele" auch mit dem Verhältnis des Bewußtseins zum
Unterbewußtsein auseinander. Uber den Sitz der Seele
sagt er u. a.: „Es ist ganz hinfällig, der Seele einen
bestimmten Wohnort im Leibe zuzusprechen, denn sie
ist überall zu Haus, in den Nerven, im Blut, in den
Drüsen, im Sonnengeflecht, und wird von unendlich
vielen Dingen mehr beherrscht als von der Intaktheit
des Gehirns. — Die menschliche Seele ist der Mensch
als Ganzes." — Dagegen weist Schleich als Anatom
und Chirurg dem Bewußtsein einen bestimmten Platz
im Gehirn an, indem er sagt: „Eines ist das Gehirn
aber ganz gewiß: es ist der Träger alles dessen, was
wir Bewußtsein nennen . . . Dort an der Oberseite
des Gehirns ein weichlicher, weißlich-grauer Brei,
ohne Linie und scharfe Form (die Gehirnrinde), und
hier an der Basis Zeichnungen und Gebilde . . .! Dort
an der Wölbung der Kuppe waltet Willkür, Irrtum,
Wahn, Streben nach Umwandlung, Neugestaltung, und
hier in der Tiefe festgefügt das Unabänderliche, das
fest Erworbene, das Irrtumlose. Da haben wir den
anatomischen Ausdruck für das Doppelbild, den Janus-
kopf unserer Seele (Bewußtsein und Unterbewußt-
sein)." Schleich gibt manches treffliche Beispiel für
das Mitspielen des Unterbewußtseins im Leben. Hier
sei nur eines angeführt: „Ich stand an der Ausgangs-
tür der elektrischen Bahn, die nächste Haltestelle er-
wartend. Leise zogen mir Bilder aus meiner Jugend-
zeit auf dem Gute meines alten Onkels durch den
Sinn. Der gute, alte Onkel, wie lebhaft ich ihn vor
mir sah! Da drehte ich mich von ungefähr in das
Wageninnere, das ich soeben passiert hatte, zurück.
Wahrhaftig, welche Ähnlichkeit — der gute, alte On-
kel— da sitzt sein leibhaftiges Ebenbild in einer Ecke.
Es ist gewiß, daß seine Züge im Unterbewußtsein, als
ich durch den Wagen ging, abzufangen, das Motiv
meiner Gedanken wurden."
Überhaupt ist unsere Literatur reich an Hinweisen
auf die mannigfachen Erscheinungen des Unterbewußt-
seins. Goethe berichtet im elften Buch von „Dichtung
und Wahrheit", nachdem er von seinem Abschied von
Friederike gesprochen, folgendes: „Nun ritt ich auf
dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich
eine der sonderbarsten Ahnungen. Ich sah näm-
lich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des
Geistes, mich mir selbst denselben Weg zu Pferde
wieder entgegenkommen, und zwar in einem Kleide,
wie ich es nie getragen, es war hechtgrau mit etwas
Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte,
war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch,
daß ich nach acht Jahren, in dem Kleide, das mir ge-
träumt hatte und das ich nicht aus Wahl, sondern aus
Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand,
um Friederike noch einmal zu besuchen." — Desglei-
chen sei mir eine Stelle aus unserer Romanliteratur
anzuführen hier noch gestattet: Gustav Meyrinck läßt
in seinem Buche „Der Golem" einen Verbrecher be-
kennen: „Als ich die Tat beging, da hatte ich keine
Wahl. Wenn ich auch bei vollkommen klarem Bewußt-
sein handelte, so hatte ich dennoch keine Wahl. Ir-
gend etwas, dessen Vorhandensein in mir ich nicht
geahnt hatte, wachte auf und war stärker als ich." —
Der vorhin angeführte C. L. Schleich schreibt über den
gleichen Gegenstand: „Es erscheint fast so, als wenn
der Verbrecher im epileptoiden Anfall durch Abblen-
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