düng seines Bewußtseins geradezu in eine entwick-
lungsgeschichtlich frühere Daseinsperiode zurückgewor-
fen wird, in welcher in der Tat die brutalen Instinkte,
wie beim Raubtier, herrschten . . . Dem widerspricht
nicht, daß solche Verbrechen lange vorbereitet und
oft versucht sind, ehe es zur eigentlichen Ausführung
kam. Der Verbrecher ist „im Anfall" nicht fähig, seine
Handlung logisch und kausal zu begreifen, er steht
ihr oft ebenso hilflos gegenüber wie der nach Motiven
suchende Kriminalist. Daher begreift man wohl die
Neigung der Verbrecher, um den Ort der Tat zu krei-
sen: „sie suchen sich selbst und ihre Tat näher zu
begreifen".
Nach diesem letzten Beispiel möchte es scheinen,
als wenn das Unterbewußtsein in der zivilisierten
Menschheit eitel Unheil anrichtet. Dem ist aber nicht
so. Wenn wir genauer zusehen, werden wir erkennen,
daß auch die grausamen Handlungen, die aus dem
Unterbewußtsein entspringen, nichts weiter sind als
Spuren des Kampfes, den einst der Urmensch rück-
sichtslos um sein Dasein führen mußte. Wenn sie das
sind, dann gehören sie zu der großen Gruppe der-
jenigen instinktmäßigen Handlungen, die der Erhaltung
der Art dienten, indem sie jeweilig den Stärksten der
Art zur Herrschaft brachten. — Merkwürdigerweise
entspringt aus demselben Urgrund des Unterbewußt-
seins auch ein Gefühl, das sich der bösen Tat ent-
gegenstellt. Noch heute packt es den Menschen, wenn
er eine Tat begangen hat oder zu begehen unter-
nimmt, die geeignet ist, den Bestand des mensch-
lichen Erbgutes oder der menschlichen Gesellschaft
als solcher zu gefährden, was insbesondere auf se-
xuellem Gebiet vorkommt. Wir nennen dieses Ur-
gefühl „das Gewissen". So entstammen zwei anschei-
nend entgegengesetzte Dinge derselben Quelle: Der
Trieb zu einer tierhaften Handlung und das Gewissen
das eine allgemein-schädliche Tat verurteilt.
Neben dem, was das Leben erhält, entspringt aus
dem Unterbewußtsein zum Teil auch das, was die
Lebensfreude erhöht: Wissenschaft, Technik und Kunst.
Wohl wissen wir, daß das Unterbewußtsein nicht die
einzige Wurzel dieser Blüten menschlicher Kultur ist,
daß vielmehr alle seelischen Kräfte auch des wachen
Bewußtseins daran teilnehmen; aber einige ihrer stärk-
sten Wurzeln gehen sicherlich bis in das Unterbewußt-
sein hinab. Hierzu gehört erstlich der sog. „Einfall”,
die Inspiration oder Intuition, wie man immer sagen
will. Es kann nicht bestritten werden, daß der Ein-
fall oft plötzlich und scheinbar unvermittelt aufsteigt,
wenn wir auch anerkennen, daß er vielleicht durch
lange geistige oder künstlerische Arbeit „vorbereitet"
war. Jedenfalls läßt er sich durch den Willen oder
durch bloßes Denken nicht erzwingen. So hat Du
Bois-Reymond einmal von sich berichtet: „Ich habe in
meinem Leben einige gute Einfälle gehabt und mich
manchmal dabei beobachtet. Sie kamen völlig unwill-
kürlich, ohne daß ich einmal an die Dinge dachte."
Ähnliche Selbstzeugnisse von Gelehrten und Künstlern
ließen sich in großer Zahl anführen. Es hat sich ge-
zeigt, daß das Emportauchen dieser inneren Schau
leichter geschieht, wenn das wache Bewußtsein et-
was abgeblendet ist. Manche Menschen sind so organi-
siert, daß dieser Zustand, den man in stärkerer Ausprä-
gung auch „Wachtraum" nennt, leicht von selbst eintritt,
während andere ihn durch Rauschgifte herbeizuführen
suchen. Es scheint, als wenn das logische Denken den
„Einfall" niederhält, und daß er erst, wenn diese Hem-
mung ein wenig gelockert ist, frei emporsteigen kann.
Übrigens sehen wir auch an dem Kunstunterricht der
Schule, daß reine Denkarbeit die schöpferischen Kräfte
freizumachen wenig geeignet ist.
Wenn wir uns nun im folgenden auf den Kunstunter-
richt der Schule beschränken, so wollen wir zwar den
Begriff des künstlerischen Einfalls hier nicht anwenden,
aber-doch von „Erfindung" sprechen. Erfindung,
die in Schülerzeichnungen eine große Rolle spielt,
kommt ganz wesentlich aus dem Unterbewußtsein,
und zwar wirken bei ihr die „Erlebnisspuren", die wir
als in der mittleren Schicht liegend annahmen. Sie
reißen in ihrer Triebkraft die Bilder empor, die nach
herkömmlichem Ausdruck der schöpferischen Phan-
tasie angehören. Zu den Erlebnisspuren rechnen wir
nicht nur die ehemaligen Gesichtssinneserlebnisse,
sondern auch alles das, was aus dem allgemeinen
Körpergefühl geflossen ist. Alles das ist mit Gefühls-
komplexen assoziiert, die sich an neue, die Seele er-
regende verwandte Gefühle anheften und dadurch in
die Höhe steigen. Ein starkes Erlebnis, eine seelische
Wallung, ist es also, das die Idee, die Intuition, die
Erfindung fördert.
Was beim Schaffensvorgang aus dem Unterbewußt-
sein aufsteigt, ist nicht nur diese „Erfindung der schöp-
ferischen Phantasie", wie man gewöhnlich sagt, son-
dern zweitens auch ihr Ausdruck. Der Ausdruck ist
an sich unbewußt und in der Regel auch unwillkürlich.
Er ist ganz und gar Erscheinungsbild der Seele, wie
Klages so trefflich ausgeführt hat. Er ist dem wissen-
den Verstände abgewendet und im übrigen durchaus
individuell, auch in seiner graphischen oder bildge-
staltenden Ausprägung. Aus dem letzteren, der eigen-
persönlichen Prägung des Ausdrucks, ergibt sich für
den Kunstunterricht u. a. als naturgemäßes Erfordernis,
jeden Schüler in seiner eigenen, ihm gemäßen Weise
seelisch wachsen zu lassen. Denn ebenso wie sich iq
seiner Handschrift seine spezifische Wesensart, d. h.
sein Charakter kundgibt, so auch in seiner Zeichnung,
in seiner Malerei, überhaupt in seiner bildgestalten-
den Arbeit. Mancher jugendliche Schüler (um nicht
immer nur von „Kindern" zu reden) ist zart in seinen
Strichen, setzt sie vorsichtig und bedachtsam hin, wie
seine ganze Natur etwas Zurückhaltendes und Abwä-
gendes hat. Ein anderer geht „forsch" heran, faßt sei-
nen Stift energisch, drückt fest zu und gibt seinen
Formen einen großen Schwung. Man wird dieselben
Merkmale auch in seiner Handschrift finden und sich
nicht täuschen, wenn man in Ihm einen jungen Drauf-
gänger vermutet, mit rascher Entschlußkraft, Energie
und Großzügigkeit. Wieder ein anderer spitzt oft sei-
nen Bleistift und zeichnet alles scharf und sachlich
genau. Er bevorzugt wahrscheinlich auch in seiner
Schrift eine spitze Feder und ist in seinem Wesen
überhaupt etwas Pedant. Noch ein anderer arbeitet
mit grobem Stift, benutzt auch eine dicke Feder und
bevorzugt schmierige, plastische Striche, wie saftige
Farbenklekse, er liebt starke sinnliche Eindrücke und
ist eine lebenbejahende, vielleicht etwas leichtsinnige
Natur. So zeigt jeder Schüler, zumal der ältere, in sei-
nem bildschaffenden Ausdruck seine persönliche Eigen-
art. Es hieße etwas Naturgemäßes zerstören, wollte
man von allen diesen Schülern die gleiche Ausdrucks-
weise verlangen, wollte man ihnen etwa verbieten zu
schmieren und zu klecksen oder wollte man im Gegen-
teil die zarte Ausdrucksart ablehnen. Ein Erzieher,
der seine eigene, ihm gemäße Ausdrucksform den Schü-
lern aufzwingen wollte, würde etwas Naturgemäßes
im Wachstum hemmen. Jede Darstellungsweise ist be-
rechtigt, wenn sie dazu führt, wozu sie angewendet
wird, das persönliche Erlebnis bildhaft zu gestalten.
Man sieht aber aus dem Gesagten, wie gefährlich ein
Revisor sein kann, wenn er einen einseitigen Stand-
punkt hinsichtlich der Ausdrucksart einnimmt.
Aus dem Unterbewußtsein kommt drittens zum großen
Teil auch, was dargestellt wird, also die Vorstellungs-
inhalte, die inneren Bilder. Es handelt sich aber hier-
bei nicht um diese an sich, da sie doch meist dem
wachen Bewußtsein angehören, wenn nicht eben
Traumbilder in Frage kommen, sondern es handelt sich
um ihr Zustandekommen. Geschähe der Wahrnehmungs-
prozeß allein durch das Auge und wäre dieser Vor-
gang nur ein optischer, etwa wie in der photogra-
71
lungsgeschichtlich frühere Daseinsperiode zurückgewor-
fen wird, in welcher in der Tat die brutalen Instinkte,
wie beim Raubtier, herrschten . . . Dem widerspricht
nicht, daß solche Verbrechen lange vorbereitet und
oft versucht sind, ehe es zur eigentlichen Ausführung
kam. Der Verbrecher ist „im Anfall" nicht fähig, seine
Handlung logisch und kausal zu begreifen, er steht
ihr oft ebenso hilflos gegenüber wie der nach Motiven
suchende Kriminalist. Daher begreift man wohl die
Neigung der Verbrecher, um den Ort der Tat zu krei-
sen: „sie suchen sich selbst und ihre Tat näher zu
begreifen".
Nach diesem letzten Beispiel möchte es scheinen,
als wenn das Unterbewußtsein in der zivilisierten
Menschheit eitel Unheil anrichtet. Dem ist aber nicht
so. Wenn wir genauer zusehen, werden wir erkennen,
daß auch die grausamen Handlungen, die aus dem
Unterbewußtsein entspringen, nichts weiter sind als
Spuren des Kampfes, den einst der Urmensch rück-
sichtslos um sein Dasein führen mußte. Wenn sie das
sind, dann gehören sie zu der großen Gruppe der-
jenigen instinktmäßigen Handlungen, die der Erhaltung
der Art dienten, indem sie jeweilig den Stärksten der
Art zur Herrschaft brachten. — Merkwürdigerweise
entspringt aus demselben Urgrund des Unterbewußt-
seins auch ein Gefühl, das sich der bösen Tat ent-
gegenstellt. Noch heute packt es den Menschen, wenn
er eine Tat begangen hat oder zu begehen unter-
nimmt, die geeignet ist, den Bestand des mensch-
lichen Erbgutes oder der menschlichen Gesellschaft
als solcher zu gefährden, was insbesondere auf se-
xuellem Gebiet vorkommt. Wir nennen dieses Ur-
gefühl „das Gewissen". So entstammen zwei anschei-
nend entgegengesetzte Dinge derselben Quelle: Der
Trieb zu einer tierhaften Handlung und das Gewissen
das eine allgemein-schädliche Tat verurteilt.
Neben dem, was das Leben erhält, entspringt aus
dem Unterbewußtsein zum Teil auch das, was die
Lebensfreude erhöht: Wissenschaft, Technik und Kunst.
Wohl wissen wir, daß das Unterbewußtsein nicht die
einzige Wurzel dieser Blüten menschlicher Kultur ist,
daß vielmehr alle seelischen Kräfte auch des wachen
Bewußtseins daran teilnehmen; aber einige ihrer stärk-
sten Wurzeln gehen sicherlich bis in das Unterbewußt-
sein hinab. Hierzu gehört erstlich der sog. „Einfall”,
die Inspiration oder Intuition, wie man immer sagen
will. Es kann nicht bestritten werden, daß der Ein-
fall oft plötzlich und scheinbar unvermittelt aufsteigt,
wenn wir auch anerkennen, daß er vielleicht durch
lange geistige oder künstlerische Arbeit „vorbereitet"
war. Jedenfalls läßt er sich durch den Willen oder
durch bloßes Denken nicht erzwingen. So hat Du
Bois-Reymond einmal von sich berichtet: „Ich habe in
meinem Leben einige gute Einfälle gehabt und mich
manchmal dabei beobachtet. Sie kamen völlig unwill-
kürlich, ohne daß ich einmal an die Dinge dachte."
Ähnliche Selbstzeugnisse von Gelehrten und Künstlern
ließen sich in großer Zahl anführen. Es hat sich ge-
zeigt, daß das Emportauchen dieser inneren Schau
leichter geschieht, wenn das wache Bewußtsein et-
was abgeblendet ist. Manche Menschen sind so organi-
siert, daß dieser Zustand, den man in stärkerer Ausprä-
gung auch „Wachtraum" nennt, leicht von selbst eintritt,
während andere ihn durch Rauschgifte herbeizuführen
suchen. Es scheint, als wenn das logische Denken den
„Einfall" niederhält, und daß er erst, wenn diese Hem-
mung ein wenig gelockert ist, frei emporsteigen kann.
Übrigens sehen wir auch an dem Kunstunterricht der
Schule, daß reine Denkarbeit die schöpferischen Kräfte
freizumachen wenig geeignet ist.
Wenn wir uns nun im folgenden auf den Kunstunter-
richt der Schule beschränken, so wollen wir zwar den
Begriff des künstlerischen Einfalls hier nicht anwenden,
aber-doch von „Erfindung" sprechen. Erfindung,
die in Schülerzeichnungen eine große Rolle spielt,
kommt ganz wesentlich aus dem Unterbewußtsein,
und zwar wirken bei ihr die „Erlebnisspuren", die wir
als in der mittleren Schicht liegend annahmen. Sie
reißen in ihrer Triebkraft die Bilder empor, die nach
herkömmlichem Ausdruck der schöpferischen Phan-
tasie angehören. Zu den Erlebnisspuren rechnen wir
nicht nur die ehemaligen Gesichtssinneserlebnisse,
sondern auch alles das, was aus dem allgemeinen
Körpergefühl geflossen ist. Alles das ist mit Gefühls-
komplexen assoziiert, die sich an neue, die Seele er-
regende verwandte Gefühle anheften und dadurch in
die Höhe steigen. Ein starkes Erlebnis, eine seelische
Wallung, ist es also, das die Idee, die Intuition, die
Erfindung fördert.
Was beim Schaffensvorgang aus dem Unterbewußt-
sein aufsteigt, ist nicht nur diese „Erfindung der schöp-
ferischen Phantasie", wie man gewöhnlich sagt, son-
dern zweitens auch ihr Ausdruck. Der Ausdruck ist
an sich unbewußt und in der Regel auch unwillkürlich.
Er ist ganz und gar Erscheinungsbild der Seele, wie
Klages so trefflich ausgeführt hat. Er ist dem wissen-
den Verstände abgewendet und im übrigen durchaus
individuell, auch in seiner graphischen oder bildge-
staltenden Ausprägung. Aus dem letzteren, der eigen-
persönlichen Prägung des Ausdrucks, ergibt sich für
den Kunstunterricht u. a. als naturgemäßes Erfordernis,
jeden Schüler in seiner eigenen, ihm gemäßen Weise
seelisch wachsen zu lassen. Denn ebenso wie sich iq
seiner Handschrift seine spezifische Wesensart, d. h.
sein Charakter kundgibt, so auch in seiner Zeichnung,
in seiner Malerei, überhaupt in seiner bildgestalten-
den Arbeit. Mancher jugendliche Schüler (um nicht
immer nur von „Kindern" zu reden) ist zart in seinen
Strichen, setzt sie vorsichtig und bedachtsam hin, wie
seine ganze Natur etwas Zurückhaltendes und Abwä-
gendes hat. Ein anderer geht „forsch" heran, faßt sei-
nen Stift energisch, drückt fest zu und gibt seinen
Formen einen großen Schwung. Man wird dieselben
Merkmale auch in seiner Handschrift finden und sich
nicht täuschen, wenn man in Ihm einen jungen Drauf-
gänger vermutet, mit rascher Entschlußkraft, Energie
und Großzügigkeit. Wieder ein anderer spitzt oft sei-
nen Bleistift und zeichnet alles scharf und sachlich
genau. Er bevorzugt wahrscheinlich auch in seiner
Schrift eine spitze Feder und ist in seinem Wesen
überhaupt etwas Pedant. Noch ein anderer arbeitet
mit grobem Stift, benutzt auch eine dicke Feder und
bevorzugt schmierige, plastische Striche, wie saftige
Farbenklekse, er liebt starke sinnliche Eindrücke und
ist eine lebenbejahende, vielleicht etwas leichtsinnige
Natur. So zeigt jeder Schüler, zumal der ältere, in sei-
nem bildschaffenden Ausdruck seine persönliche Eigen-
art. Es hieße etwas Naturgemäßes zerstören, wollte
man von allen diesen Schülern die gleiche Ausdrucks-
weise verlangen, wollte man ihnen etwa verbieten zu
schmieren und zu klecksen oder wollte man im Gegen-
teil die zarte Ausdrucksart ablehnen. Ein Erzieher,
der seine eigene, ihm gemäße Ausdrucksform den Schü-
lern aufzwingen wollte, würde etwas Naturgemäßes
im Wachstum hemmen. Jede Darstellungsweise ist be-
rechtigt, wenn sie dazu führt, wozu sie angewendet
wird, das persönliche Erlebnis bildhaft zu gestalten.
Man sieht aber aus dem Gesagten, wie gefährlich ein
Revisor sein kann, wenn er einen einseitigen Stand-
punkt hinsichtlich der Ausdrucksart einnimmt.
Aus dem Unterbewußtsein kommt drittens zum großen
Teil auch, was dargestellt wird, also die Vorstellungs-
inhalte, die inneren Bilder. Es handelt sich aber hier-
bei nicht um diese an sich, da sie doch meist dem
wachen Bewußtsein angehören, wenn nicht eben
Traumbilder in Frage kommen, sondern es handelt sich
um ihr Zustandekommen. Geschähe der Wahrnehmungs-
prozeß allein durch das Auge und wäre dieser Vor-
gang nur ein optischer, etwa wie in der photogra-
71