Aufgabe zu erfüllen hat, fast alle Lebensmöglich-
keiten.
Für mich besteht kein Zweifel: Sachliche Erwägun-
gen über die Erziehungsaufgaben und den Bildungs-
wert der einzelnen Schulfächer, die doch allein hätten
maßgebend sein dürfen, haben bei diesen Maßnah-
men nicht mitgewirkt. Die kunsterziehungsfeindlichen
Philologen, von denen Richert ehedem urteilte, sie
hätten den Sinn der Schulreform nicht erkannt, wurden
in der heutigen Verwirrung und Bedrängnis, unter der
alle verantwortlichen Stellen in der Regierung und
Schulverwaltung zu leiden haben, eben Herr der Lage.
Nun war auf einmal die „Zeitstimmung'' da, auf die
sie schon lange gewartet haben,, um dem Zeichen-
und Kunstunterricht den Todesstoß zu versetzen. Denn:
„Kunst ist ganz nett, aber..."
Damit ist jedoch, meines Erachtens, das letzte Wort
nicht gesprochen. Dieser kultur- und lebensfeindliche
Schlag, der unserer Jugenderziehung versetzt wurde,
ist zu unerhört, ist allem neuzeitlichen erziehungs-
wissenschaftlichen und erziehungspraktischen Denken
zu sehr entgegengesetzt, als daß seine Wirkung Dauer
haben könnte. Ich nehme an: Sobald wieder ruhigere
Zeiten eintreten, wird man auch in der Schulverwal-
tung wieder klarer sehen und den Schaden erkennen,
der verursacht wurde.
Bis dahin gilt es aber für uns, wieder einmal
zu kämpfenl
Es gilt die Öffentlichkeit aufzurütteln, sich nach
Freunden unseres Erziehungsgutes umzusehen. Umfra-
gen bei Hochschullehrern, Männern der Technik und
Wirtschaft, wie sie vor dem Krieg wiederholt erfolg-
reich in die Wege geleitet worden waren, werden
ergeben, daß das Sehen, Gestalten und Darstellen
anschaulicher Formzusammenhänge in Natur, Technik
und Kunst, tatsächlich nicht nur ein unentbehrliches
Stück der menschlichen Persönlichkeitsbildung, son-
dern auch der wissenschaftlichen und technischen
Hochschulreife bedeutet und zudem für das praktische
Leben vielfältigen Nutzwert besitzt. Und eine sachliche
Nachprüfung der Unterrichtserfahrungen wird erwei-
sen, daß diese Aufgabe der Jugenderziehung mit
dem fortschreitenden Lebensalter un-
serer Jugend immer dringlicher wird,weil
der junge Mensch vom Eintritt in die Ge-
schlechtsreife erst die geistige Reife
erlangt, die zum räumlichen Vorstellen,zum bewuß-
ten sachlichen Formstudium, sowie zum selbständigen
Erfassen und Verarbeiten der künstlerischen Kultur-
werte notwendig ist. Damit wird die Notwendigkeit
gerade des Zeichen- und Kunstunterrichts in den
Oberklassen aufs Neue erwiesen werden.
Diese von mir angedeutete Aktion muß meines Er-
achtens in allen Ländern sofort mit Nachdruck ein-
setzen, aber vom Reichsverband aus einheitlich und
planmäßig geleitet werden.
ALFRED ZACHARIAS-MÜNCHEN: GESCHMACK
Über den Geschmack kann man nicht streiten",
„der Geschmack ist verschieden", sind Entgeg-
nungen, die man immer wieder zu hören bekommt,
besonders wenn man versucht, den Unterschied von
Kunstwerken und Kitsch begreiflich zu machen. Es gibt
einen Geschmack, der sich innerhalb der Kunst be-
wegt; einer liebt das Rokoko besonders, während
ein anderer den Ernst einer gotischen Kirche für die
ihm angemessene Umgebung hält, einer empfindet
eine ägyptische Plastik als höchstes künstlerisches
Erlebnis, andere hat Manet in Bann geschlagen. Hier
ist wirklich der Geschmack verschieden, aber alle
diese Liebhaber werden einig sein, daß es sich in
jedem dieser Fälle um Werke hoher und echter Kunst
handelt. Anders liegt die Sache, wenn jemand er-
klärt, dieses Bild von Grützner gefällt mir besser, als
jener Rembrandt, dieser Roman der Courths Mahler
ist schöner als der Wilhelm Meister von Goethe oder
das Lied „Wenn die Elisabeth nicht so hübsche Beine
hält", bedeute einen künstlerischen Fortschritt unserer
Zeit, verglichen mit den Melodien Mozarts. Nun wird
man schon lachen, aber ich habe dicke Beispiele ge-
bracht, damit wir schneller zum Ziele kommen. Es ist
natürlich auch ein Unterschied zu sagen „das gefällt
mir" oder aber „das ist schön". Er besteht darin,
daß man im letzteren Fall ein einmaliges sachliches
Fehlurteil abgibt, im andern seine gesamte Person
als „fehl" aufzeigt. Auch die Ausrede „alles zu seiner
Zeit, einmal ist dies angebracht, ein andermal das
andere vorzuziehen", kann nicht gelten.
Sehen wir von der Kunst ab, unser ganzes Leben
ist auf sachliche Urteile aufgebaut. Wir wissen genau,
gut und schlecht zu unterscheiden, wer etwas leistet
und wer nichts, auch wenn sich die Grenzen manch-
mal verwischen mögen. Wir haben ein sehr feines
Empfinden für Takt (oder sollen es wenigstens haben),
und über Taktlosigkeiten anderer haben wir ein aus-
geprägtes Gefühl. Endlich wissen wir auch sehr gut
auszusagen, daß diese oder jene Handlung „einfach
geschmacklos" sei.
Was wir einsehen wollen ist dies, daß es in der
bildenden Kunst, mit der wir uns ja hier beschäftigen,
ebensolche untrügliche, klare, objektive Scheidung
von gut und schlecht gibt, wie auf allen übrigen Ge-
bieten. Doch ist es hier nicht ganz einfach zu einem
sachlichen Urteil zu gelangen. Sehr gebildete Leute,
die sich verwahren würden, sollte man ihnen zumuten
einen Schundroman zu lesen oder schlechte Musik
schön zu empfinden, bevorzugen mitunter Gemälde,
deren künstlerischer Wert sehr anrüchig ist oder um-
geben sich in ihren Wohnungen mit Einrichtungen und
Gegenständen, die gebildeten Augen ein ebensol-
cher Greuel sind, als gebildeten Ohren verstimmte
Klaviere. Auch in der Welt der Augen gibt es „ver-
stimmte Klaviere"; diese von den gut gestimmten
unterscheiden zu lernen, ist unsere Aufgabe. Nicht
nur Gemälde, die wohl am schwersten zu bewerten
sind, gilt es zu beurteilen, vieles, was uns umgibt,
die Bauten, die Möbel, die Vasen, die Bücher, ja auch
die Kleidung sind Dinge, die neben ihrem Gebrauchs-
zweck, in Form und Farbe uns menschlich heben und
bilden können oder aber uns herabziehen und schä-
digen. Was beweist uns nun, daß es in der bildenden
Kunst wirklich ein allgemein gültiges Urteil gibt, daß
nicht eben das gut ist, was jeder einzelne als gut
ansieht? Wir dürfen behaupten, daß uns in der Lite-
ratur und in der Musik geläufiger ist, Schund vom
Guten zu unterscheiden, und das sind doch auch
künstlerische Dinge. Der Grund liegt darin, daß die
meisten Menschen eben mit Literatur und Musik mehr
umgehen, daß sie sich damit mehr beschäftigen, daß
die stillere Welt der Augenbildung im Gesamtleben
mehr zurücktritt, daß in der Erziehung bisher viel zu
wenig Wert darauf gelegt wurde. Dies ist an sich
verwunderlich, da das Sehen unser vornehmster Sinn
ist. Heute sehen wir jedoch eine wichtige Aufgabe
darin, den Augen der heranwachsenden Generation
die Welt des Sichtbaren zu erschließen. Nehmen wir
aber in den andern Künsten ein objektives Urteil an,
so steht dieses auch der bildenden Kunst zu. Wie
können wir aber den Grund zu einem solchen sach-
lichen Urteil legen? Aus den Jahrtausenden, in denen
der Mensch Kunstwerke schuf, ist ein Besitz von Kunst-
werken aller Art auf uns gekommen, die über die
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keiten.
Für mich besteht kein Zweifel: Sachliche Erwägun-
gen über die Erziehungsaufgaben und den Bildungs-
wert der einzelnen Schulfächer, die doch allein hätten
maßgebend sein dürfen, haben bei diesen Maßnah-
men nicht mitgewirkt. Die kunsterziehungsfeindlichen
Philologen, von denen Richert ehedem urteilte, sie
hätten den Sinn der Schulreform nicht erkannt, wurden
in der heutigen Verwirrung und Bedrängnis, unter der
alle verantwortlichen Stellen in der Regierung und
Schulverwaltung zu leiden haben, eben Herr der Lage.
Nun war auf einmal die „Zeitstimmung'' da, auf die
sie schon lange gewartet haben,, um dem Zeichen-
und Kunstunterricht den Todesstoß zu versetzen. Denn:
„Kunst ist ganz nett, aber..."
Damit ist jedoch, meines Erachtens, das letzte Wort
nicht gesprochen. Dieser kultur- und lebensfeindliche
Schlag, der unserer Jugenderziehung versetzt wurde,
ist zu unerhört, ist allem neuzeitlichen erziehungs-
wissenschaftlichen und erziehungspraktischen Denken
zu sehr entgegengesetzt, als daß seine Wirkung Dauer
haben könnte. Ich nehme an: Sobald wieder ruhigere
Zeiten eintreten, wird man auch in der Schulverwal-
tung wieder klarer sehen und den Schaden erkennen,
der verursacht wurde.
Bis dahin gilt es aber für uns, wieder einmal
zu kämpfenl
Es gilt die Öffentlichkeit aufzurütteln, sich nach
Freunden unseres Erziehungsgutes umzusehen. Umfra-
gen bei Hochschullehrern, Männern der Technik und
Wirtschaft, wie sie vor dem Krieg wiederholt erfolg-
reich in die Wege geleitet worden waren, werden
ergeben, daß das Sehen, Gestalten und Darstellen
anschaulicher Formzusammenhänge in Natur, Technik
und Kunst, tatsächlich nicht nur ein unentbehrliches
Stück der menschlichen Persönlichkeitsbildung, son-
dern auch der wissenschaftlichen und technischen
Hochschulreife bedeutet und zudem für das praktische
Leben vielfältigen Nutzwert besitzt. Und eine sachliche
Nachprüfung der Unterrichtserfahrungen wird erwei-
sen, daß diese Aufgabe der Jugenderziehung mit
dem fortschreitenden Lebensalter un-
serer Jugend immer dringlicher wird,weil
der junge Mensch vom Eintritt in die Ge-
schlechtsreife erst die geistige Reife
erlangt, die zum räumlichen Vorstellen,zum bewuß-
ten sachlichen Formstudium, sowie zum selbständigen
Erfassen und Verarbeiten der künstlerischen Kultur-
werte notwendig ist. Damit wird die Notwendigkeit
gerade des Zeichen- und Kunstunterrichts in den
Oberklassen aufs Neue erwiesen werden.
Diese von mir angedeutete Aktion muß meines Er-
achtens in allen Ländern sofort mit Nachdruck ein-
setzen, aber vom Reichsverband aus einheitlich und
planmäßig geleitet werden.
ALFRED ZACHARIAS-MÜNCHEN: GESCHMACK
Über den Geschmack kann man nicht streiten",
„der Geschmack ist verschieden", sind Entgeg-
nungen, die man immer wieder zu hören bekommt,
besonders wenn man versucht, den Unterschied von
Kunstwerken und Kitsch begreiflich zu machen. Es gibt
einen Geschmack, der sich innerhalb der Kunst be-
wegt; einer liebt das Rokoko besonders, während
ein anderer den Ernst einer gotischen Kirche für die
ihm angemessene Umgebung hält, einer empfindet
eine ägyptische Plastik als höchstes künstlerisches
Erlebnis, andere hat Manet in Bann geschlagen. Hier
ist wirklich der Geschmack verschieden, aber alle
diese Liebhaber werden einig sein, daß es sich in
jedem dieser Fälle um Werke hoher und echter Kunst
handelt. Anders liegt die Sache, wenn jemand er-
klärt, dieses Bild von Grützner gefällt mir besser, als
jener Rembrandt, dieser Roman der Courths Mahler
ist schöner als der Wilhelm Meister von Goethe oder
das Lied „Wenn die Elisabeth nicht so hübsche Beine
hält", bedeute einen künstlerischen Fortschritt unserer
Zeit, verglichen mit den Melodien Mozarts. Nun wird
man schon lachen, aber ich habe dicke Beispiele ge-
bracht, damit wir schneller zum Ziele kommen. Es ist
natürlich auch ein Unterschied zu sagen „das gefällt
mir" oder aber „das ist schön". Er besteht darin,
daß man im letzteren Fall ein einmaliges sachliches
Fehlurteil abgibt, im andern seine gesamte Person
als „fehl" aufzeigt. Auch die Ausrede „alles zu seiner
Zeit, einmal ist dies angebracht, ein andermal das
andere vorzuziehen", kann nicht gelten.
Sehen wir von der Kunst ab, unser ganzes Leben
ist auf sachliche Urteile aufgebaut. Wir wissen genau,
gut und schlecht zu unterscheiden, wer etwas leistet
und wer nichts, auch wenn sich die Grenzen manch-
mal verwischen mögen. Wir haben ein sehr feines
Empfinden für Takt (oder sollen es wenigstens haben),
und über Taktlosigkeiten anderer haben wir ein aus-
geprägtes Gefühl. Endlich wissen wir auch sehr gut
auszusagen, daß diese oder jene Handlung „einfach
geschmacklos" sei.
Was wir einsehen wollen ist dies, daß es in der
bildenden Kunst, mit der wir uns ja hier beschäftigen,
ebensolche untrügliche, klare, objektive Scheidung
von gut und schlecht gibt, wie auf allen übrigen Ge-
bieten. Doch ist es hier nicht ganz einfach zu einem
sachlichen Urteil zu gelangen. Sehr gebildete Leute,
die sich verwahren würden, sollte man ihnen zumuten
einen Schundroman zu lesen oder schlechte Musik
schön zu empfinden, bevorzugen mitunter Gemälde,
deren künstlerischer Wert sehr anrüchig ist oder um-
geben sich in ihren Wohnungen mit Einrichtungen und
Gegenständen, die gebildeten Augen ein ebensol-
cher Greuel sind, als gebildeten Ohren verstimmte
Klaviere. Auch in der Welt der Augen gibt es „ver-
stimmte Klaviere"; diese von den gut gestimmten
unterscheiden zu lernen, ist unsere Aufgabe. Nicht
nur Gemälde, die wohl am schwersten zu bewerten
sind, gilt es zu beurteilen, vieles, was uns umgibt,
die Bauten, die Möbel, die Vasen, die Bücher, ja auch
die Kleidung sind Dinge, die neben ihrem Gebrauchs-
zweck, in Form und Farbe uns menschlich heben und
bilden können oder aber uns herabziehen und schä-
digen. Was beweist uns nun, daß es in der bildenden
Kunst wirklich ein allgemein gültiges Urteil gibt, daß
nicht eben das gut ist, was jeder einzelne als gut
ansieht? Wir dürfen behaupten, daß uns in der Lite-
ratur und in der Musik geläufiger ist, Schund vom
Guten zu unterscheiden, und das sind doch auch
künstlerische Dinge. Der Grund liegt darin, daß die
meisten Menschen eben mit Literatur und Musik mehr
umgehen, daß sie sich damit mehr beschäftigen, daß
die stillere Welt der Augenbildung im Gesamtleben
mehr zurücktritt, daß in der Erziehung bisher viel zu
wenig Wert darauf gelegt wurde. Dies ist an sich
verwunderlich, da das Sehen unser vornehmster Sinn
ist. Heute sehen wir jedoch eine wichtige Aufgabe
darin, den Augen der heranwachsenden Generation
die Welt des Sichtbaren zu erschließen. Nehmen wir
aber in den andern Künsten ein objektives Urteil an,
so steht dieses auch der bildenden Kunst zu. Wie
können wir aber den Grund zu einem solchen sach-
lichen Urteil legen? Aus den Jahrtausenden, in denen
der Mensch Kunstwerke schuf, ist ein Besitz von Kunst-
werken aller Art auf uns gekommen, die über die
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