in die entferntesten, kleinsten, aber wesensverwand-
ten Äderchen des Volksganzen. Heute ist der Bestand
der von den vergangenen Zeiten auf uns gekom-
menen Kunstwerke der unanfechtbare und wahre
Zeuge ihrer Größe, ihrer Gesinnung und des Standes
ihrer Kulturen. Das aber, was die Menschengeschlech-
ter und Jahrtausende in Stein, Farbe, Melodie und
Schrift überdauert, kann nicht Luxus sein, nicht entbehr-
licher Überfluß, auch nicht in den Zeiten wirtschaft-
licher Not. Wir aber glauben nur zu bereitwillig, in
unserer wirtschaftlichen Not einen Freibrief für jeg-
liche Dürftigkeit, auch für die Geistige zu besitzen.
Als ob ein rheinischer Töpfer, ein ammergauer Schnit-
zer, oder ein Münchner Schreiner in den Kriegs- und
Pestzeiten der vergangenen Jahrhunderte auf Rosen
gebettet gewesen wäre, als ob nicht die Dome ge-
wachsen wären, trotz Not und Tod.
Unsere Zeit sieht die Kunst zu gerne als Luxus an.
Was ist Luxus? Drei Zylinderhüte zu besitzen statt
einen, das ist Luxus. Die Kunst ist nicht Luxus, aber
sie fordert, wie alle großen Dinge, wie Liebe oder
Religion, Hingabe und Opfer. Geistige Hingabe und
wirtschaftliche Opfer. Wir sind ein armes Volk ge-
worden. Das sagen wir uns jeden Tag. Blicken wir
aber um uns: Radio, Staubsauger, Photoapparate,
Zeißglas, Schreibmaschine, Heizsonne versammeln sich
heute in allen besseren Haushaltungen, vom Auto und
von der Kosmetika .ganz zu schweigen. Auch der gute
Wille kann da für die Kunst nicht viel Geld mehr ha-
ben, auch der freie Geist, muß sich irgendwie in diese
Dinge verwickeln. Viel Liebe können wir auch der
dienstwilligsten Maschine nicht zuwenden, wohl aber
einem Bild, einem Buch, einer Plastik; die können
Wärme in unsere Umgebung bringen. Viel haben wir
unseren Kindern auch an den modernsten heutigen
Apparaten nicht zu vererben, wohl aber den ge-
schnitzten Stuhl, den uns schon Großvater und Ur-
großvater hinterlassen haben. Schaffen wir uns we-
nige, schöne Dinge des guten alten oder modernen
Kunsthandwerkes oder der Malerei und Plastik an, so
schaffen wir Inseln für die Kunst, und unsere Kinder
wachsen darin auf. Ohne Opfer wird es nicht gehen.
Dann muß eben die Hausfrau noch ein Jahr länger mit
der Hand, anstatt mit dem Apparat staubwischen, zu-
gunsten einer kleinen Plastik. Mindern wir unsere
Maschinenbedürfnisse herab, so werden Kräfte frei
werden. Es ist nicht das Überangebot der billigen
Industrieware, die auf rasche Abnützung eingestellt
ist allein, die uns Schwierigkeit bereitet, unsere An-
schaffung auf jedem Gebiet nach Güte und Dauer zu
richten, schwieriger noch ist die geistige Not, die der
Mißbrauch der Maschine über das Volk gebracht hat.
Der Umgang mit der Maschine fordert jedoch mehr
moralische Kraft eines jeden einzelnen, als das Leben
ohne sie. Die Volksverdummung, durch Film-und Radio-
kitsch, durch Schunddruck und Musikmechanik einer-
seits, durch Übertreibung von Sport und Mode-
getriebe andrerseits, in unerhörtes Tempo gebracht,
stellt der geistigen Hingabe an die Kunst, dem Inter-
esse an den Werken des öffentlichen Kunstbesitzes,
mehr als ein Bein. Dem Volk ist die Kunst verloren
gegangen, es hat den Kitsch dafür eingetauscht. Den
Warenkitsch und den Kitsch für Geist und Seele. Nicht
die Kunst ist Luxus, der Kitsch ist Luxus. Der Kitsch
ist wirtschaftlicher und geistiger Luxus, der unser Geld
verschwendet und unser Blut aussaugt. Ihm ist in
Wort und Bild, in Melodie, Kleid, Gerät, Wohnung und
Lebensform das breite Volk verfallen. So steht es
jetzt. Untergang und notwendiges Ende? Nein. Die
Maschine, die dem auswahl- und urteilsfähigen Teil
des Volkes ebensolche Wohltaten erweist, wie dem
andern Teil Verderbliches, die willig und wahllos Ed-
les und Schund erzeugt, können wir nicht verantwort-
lich machen. Wohl aber die, welche sie verunreinigen
und um des Geldes willen das Volk verelenden. Es
ist gefährlicher, sich an der Maschine zu berauschen
als an Alkohol. Sport und Mode sind von sich aus
auch nicht kunstfeindlich, des Volkes Unmäßigkeit hat
sie übermächtig gemacht. Das kann sich ändern. Denn
die Kräfte quellen heute wie je. Die Kunst lebt, lebt
auch das Volksganze zurzeit nicht in ihr. In den Kin-
dern quillt sie, in den Großen ist sie oft nur über-
deckt. Malen unsere Maler auch nach Belieben in
allen Stilen, die die Kunstgeschichte kennt, vor fünf-
zig Jahren hat man auch in allen Stilen gebaut, so
wie es dem einzelnen gefiel. Heute aber haben wir
eine stolze, starke Baukunst, die ein Neues, allen Stilen
gegenüber darstellt, einem jungen Frühstil vergleich-
bar. Die Kräfte quellen, auch der Dreißigjährige Krieg
vermochte die Kunst nicht zu vernichten, hat er sie
auch schwer geschlagen, die Maschine und die mo-
derne Zivilisation werden sie nicht vernichten können.
Rembrandt aber malte, als er ein reiches Haus und
alle Herrlichkeit besaß, Rembrandt malte, als er nur
mehr ein paar Stoffetzen am Leibe hatte, so daß er
nicht mehr unter die Leute gehen konnte; die Bilder
dieser Zeit haben den berühmten Goldton.
Der Zeichenunterricht eine herrliche, eine
menschen-freundliche und nationale Auf-
gabe. Wird sie von den wissenschaftlichen
Lehrern der höheren Schulen als eine
solche anerkannt?
Diese Frage, zu der ich in meinen Ausführungen: „Zum
inneren Ausbau" in diesem Heft Stellung nehme, ist
schon oft aufgeworfen, doch niemals in einem für uns
befriedigenden Sinne beantwortet worden. Wir geben
hier eine Äußerung Dr. Georg Hirth's aus seinem
1887 erschienenen Buch: „Ideen über den Zeichen-
unterricht und künstlet isch ©Berufsbildung"
wieder.Wir wissen, das Buch dieses genialen Organisators
auf dem Gebiete der Kunsterziehung (man denke nur an
die Herausgabe des „Formenschaßes"!) war bahnbre-
chend. Mit ihm und mit „Rembrandt als Erzieher" beginnt
die Kunsterziehungsbewegung in Deutschland. G. K-
Dr. Georg Hirth leitete sein Buch mit den bekann-
ten Worten Goethes ein: „Die wenigen Linien, die
ich aufs Papier ziehe, oft übereilt, selten richtig, er-
leichtern mir jede Vorstellung von sinnlichen Dingen.
„Daß ich zeichne und die Kunst studiere, hilft dem
Dichtungsvermögen auf, statt es zu hindern; denn schrei-
ben muß man wenig, zeichnen viel." Und er schließt
sein Buch ab mit folgenden Ausführungen, die auch
heute noch für die Stellung des Zeichenunterrichts
und des Zeichenlehrers innerhalb der höheren Schule
kennzeichnenden Wert haben.
„Wenn ich aber den jetzt üblichen geschniegelten
und gebügelten „Schulausstellungen", diesen Massen-
gräbern der Natürlichkeit und des Talents, den Krieg
erkläre, wenn ich jetzt das gebräuchliche Rüstzeug
an Gipsvorlagen und dgl. in die Rumpelkammer ver-
bannt wissen möchte, so bitte ich dringend, mir keine
Feindschaft gegen den ehrenwerten und nützlichen
Stand der Zeichenlehrer zutrauen zu wollen. Im Ge-
genteil, ich möchte deren Stellung gehoben und ge-
stärkt sehen. Denn wenn auch die letzten Jahrzehnte
manches gebessert haben, so wird doch auch heute
noch der Zeichenlehrer meistens als Vertreter eines
angeblich „untergeordneten, technischen Lehrfaches"
betrachtet und, sagen wir's grade heraus, etwas über
die Achsel angesehen. Der Philologe, der geistliche
und weltliche Schulrat, der Herr Direktor — sie schrei-
ten zwar mit herablassendem Schmunzeln durch die
mühsam zusammengebrachte Ausstellung des Kolle-
gen vom Reißbrett, — aber einen wirklichen Respekt
191
ten Äderchen des Volksganzen. Heute ist der Bestand
der von den vergangenen Zeiten auf uns gekom-
menen Kunstwerke der unanfechtbare und wahre
Zeuge ihrer Größe, ihrer Gesinnung und des Standes
ihrer Kulturen. Das aber, was die Menschengeschlech-
ter und Jahrtausende in Stein, Farbe, Melodie und
Schrift überdauert, kann nicht Luxus sein, nicht entbehr-
licher Überfluß, auch nicht in den Zeiten wirtschaft-
licher Not. Wir aber glauben nur zu bereitwillig, in
unserer wirtschaftlichen Not einen Freibrief für jeg-
liche Dürftigkeit, auch für die Geistige zu besitzen.
Als ob ein rheinischer Töpfer, ein ammergauer Schnit-
zer, oder ein Münchner Schreiner in den Kriegs- und
Pestzeiten der vergangenen Jahrhunderte auf Rosen
gebettet gewesen wäre, als ob nicht die Dome ge-
wachsen wären, trotz Not und Tod.
Unsere Zeit sieht die Kunst zu gerne als Luxus an.
Was ist Luxus? Drei Zylinderhüte zu besitzen statt
einen, das ist Luxus. Die Kunst ist nicht Luxus, aber
sie fordert, wie alle großen Dinge, wie Liebe oder
Religion, Hingabe und Opfer. Geistige Hingabe und
wirtschaftliche Opfer. Wir sind ein armes Volk ge-
worden. Das sagen wir uns jeden Tag. Blicken wir
aber um uns: Radio, Staubsauger, Photoapparate,
Zeißglas, Schreibmaschine, Heizsonne versammeln sich
heute in allen besseren Haushaltungen, vom Auto und
von der Kosmetika .ganz zu schweigen. Auch der gute
Wille kann da für die Kunst nicht viel Geld mehr ha-
ben, auch der freie Geist, muß sich irgendwie in diese
Dinge verwickeln. Viel Liebe können wir auch der
dienstwilligsten Maschine nicht zuwenden, wohl aber
einem Bild, einem Buch, einer Plastik; die können
Wärme in unsere Umgebung bringen. Viel haben wir
unseren Kindern auch an den modernsten heutigen
Apparaten nicht zu vererben, wohl aber den ge-
schnitzten Stuhl, den uns schon Großvater und Ur-
großvater hinterlassen haben. Schaffen wir uns we-
nige, schöne Dinge des guten alten oder modernen
Kunsthandwerkes oder der Malerei und Plastik an, so
schaffen wir Inseln für die Kunst, und unsere Kinder
wachsen darin auf. Ohne Opfer wird es nicht gehen.
Dann muß eben die Hausfrau noch ein Jahr länger mit
der Hand, anstatt mit dem Apparat staubwischen, zu-
gunsten einer kleinen Plastik. Mindern wir unsere
Maschinenbedürfnisse herab, so werden Kräfte frei
werden. Es ist nicht das Überangebot der billigen
Industrieware, die auf rasche Abnützung eingestellt
ist allein, die uns Schwierigkeit bereitet, unsere An-
schaffung auf jedem Gebiet nach Güte und Dauer zu
richten, schwieriger noch ist die geistige Not, die der
Mißbrauch der Maschine über das Volk gebracht hat.
Der Umgang mit der Maschine fordert jedoch mehr
moralische Kraft eines jeden einzelnen, als das Leben
ohne sie. Die Volksverdummung, durch Film-und Radio-
kitsch, durch Schunddruck und Musikmechanik einer-
seits, durch Übertreibung von Sport und Mode-
getriebe andrerseits, in unerhörtes Tempo gebracht,
stellt der geistigen Hingabe an die Kunst, dem Inter-
esse an den Werken des öffentlichen Kunstbesitzes,
mehr als ein Bein. Dem Volk ist die Kunst verloren
gegangen, es hat den Kitsch dafür eingetauscht. Den
Warenkitsch und den Kitsch für Geist und Seele. Nicht
die Kunst ist Luxus, der Kitsch ist Luxus. Der Kitsch
ist wirtschaftlicher und geistiger Luxus, der unser Geld
verschwendet und unser Blut aussaugt. Ihm ist in
Wort und Bild, in Melodie, Kleid, Gerät, Wohnung und
Lebensform das breite Volk verfallen. So steht es
jetzt. Untergang und notwendiges Ende? Nein. Die
Maschine, die dem auswahl- und urteilsfähigen Teil
des Volkes ebensolche Wohltaten erweist, wie dem
andern Teil Verderbliches, die willig und wahllos Ed-
les und Schund erzeugt, können wir nicht verantwort-
lich machen. Wohl aber die, welche sie verunreinigen
und um des Geldes willen das Volk verelenden. Es
ist gefährlicher, sich an der Maschine zu berauschen
als an Alkohol. Sport und Mode sind von sich aus
auch nicht kunstfeindlich, des Volkes Unmäßigkeit hat
sie übermächtig gemacht. Das kann sich ändern. Denn
die Kräfte quellen heute wie je. Die Kunst lebt, lebt
auch das Volksganze zurzeit nicht in ihr. In den Kin-
dern quillt sie, in den Großen ist sie oft nur über-
deckt. Malen unsere Maler auch nach Belieben in
allen Stilen, die die Kunstgeschichte kennt, vor fünf-
zig Jahren hat man auch in allen Stilen gebaut, so
wie es dem einzelnen gefiel. Heute aber haben wir
eine stolze, starke Baukunst, die ein Neues, allen Stilen
gegenüber darstellt, einem jungen Frühstil vergleich-
bar. Die Kräfte quellen, auch der Dreißigjährige Krieg
vermochte die Kunst nicht zu vernichten, hat er sie
auch schwer geschlagen, die Maschine und die mo-
derne Zivilisation werden sie nicht vernichten können.
Rembrandt aber malte, als er ein reiches Haus und
alle Herrlichkeit besaß, Rembrandt malte, als er nur
mehr ein paar Stoffetzen am Leibe hatte, so daß er
nicht mehr unter die Leute gehen konnte; die Bilder
dieser Zeit haben den berühmten Goldton.
Der Zeichenunterricht eine herrliche, eine
menschen-freundliche und nationale Auf-
gabe. Wird sie von den wissenschaftlichen
Lehrern der höheren Schulen als eine
solche anerkannt?
Diese Frage, zu der ich in meinen Ausführungen: „Zum
inneren Ausbau" in diesem Heft Stellung nehme, ist
schon oft aufgeworfen, doch niemals in einem für uns
befriedigenden Sinne beantwortet worden. Wir geben
hier eine Äußerung Dr. Georg Hirth's aus seinem
1887 erschienenen Buch: „Ideen über den Zeichen-
unterricht und künstlet isch ©Berufsbildung"
wieder.Wir wissen, das Buch dieses genialen Organisators
auf dem Gebiete der Kunsterziehung (man denke nur an
die Herausgabe des „Formenschaßes"!) war bahnbre-
chend. Mit ihm und mit „Rembrandt als Erzieher" beginnt
die Kunsterziehungsbewegung in Deutschland. G. K-
Dr. Georg Hirth leitete sein Buch mit den bekann-
ten Worten Goethes ein: „Die wenigen Linien, die
ich aufs Papier ziehe, oft übereilt, selten richtig, er-
leichtern mir jede Vorstellung von sinnlichen Dingen.
„Daß ich zeichne und die Kunst studiere, hilft dem
Dichtungsvermögen auf, statt es zu hindern; denn schrei-
ben muß man wenig, zeichnen viel." Und er schließt
sein Buch ab mit folgenden Ausführungen, die auch
heute noch für die Stellung des Zeichenunterrichts
und des Zeichenlehrers innerhalb der höheren Schule
kennzeichnenden Wert haben.
„Wenn ich aber den jetzt üblichen geschniegelten
und gebügelten „Schulausstellungen", diesen Massen-
gräbern der Natürlichkeit und des Talents, den Krieg
erkläre, wenn ich jetzt das gebräuchliche Rüstzeug
an Gipsvorlagen und dgl. in die Rumpelkammer ver-
bannt wissen möchte, so bitte ich dringend, mir keine
Feindschaft gegen den ehrenwerten und nützlichen
Stand der Zeichenlehrer zutrauen zu wollen. Im Ge-
genteil, ich möchte deren Stellung gehoben und ge-
stärkt sehen. Denn wenn auch die letzten Jahrzehnte
manches gebessert haben, so wird doch auch heute
noch der Zeichenlehrer meistens als Vertreter eines
angeblich „untergeordneten, technischen Lehrfaches"
betrachtet und, sagen wir's grade heraus, etwas über
die Achsel angesehen. Der Philologe, der geistliche
und weltliche Schulrat, der Herr Direktor — sie schrei-
ten zwar mit herablassendem Schmunzeln durch die
mühsam zusammengebrachte Ausstellung des Kolle-
gen vom Reißbrett, — aber einen wirklichen Respekt
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