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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Böhmer, August: Ein Jahr Arbeitsgemeinschaft "Bildende Kunst"
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Geissler, Otto: "Waldgeister"
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0020

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im einzelnen war, eins machten wir uns unwillkürlich
zum Grundsatz: non multa, sed multum. Nicht vieler-
lei, sondern viel. Es kam uns nicht darauf an, in zwei
Stunden 500 Bilder „gesehen" zu haben, in der linken
Hand den Baedeker, in der rechten Hand den Blei-
stift, um nach jedem besichtigten Bilde durch einen
Haken mit dem Bleistift zu bekräftigen, daß man Kunst-
genossen habe, sondern wir beschränkten uns mei-
stens, wenn es sich nicht gerade um eine kurzfristige
Wanderausstellung handelte, auf einige wenige Bil-
der oder Plastiken und versuchten, daran das Wesent-
liche zu erfassen. So sammelten wir uns einen Schatz
von Schönheiten, und ich glaube, wir werden einen
Teil davon mit Ins Leben nehmen. Uns allen ist klar
geworden, daß die Kunst kein überflüssiger Luxus ist,
sondern der sichtbare Ausdruck eines Gefühlserleb-

nisses, das geistige Gesicht einer Zeil, daß Kunst,
„die Sprache des Unaussprechlichen", wie Goethe
einmal von ihr sagte, erst da beginnt, wo sie zu
anderen spricht. Wenn die Kunst so zu uns gespro-
chen hat, daß wir uns unseres schönen Namens einer
Arbeitsgemeinschaft bewußt geworden sind, dann
hat sie uns gebildet. — Wir waren die erste Arbeits-
gemeinschaft für Kunst an unserer Anstalt. Ich hoffe,
daß sich immer wieder Jungen der Krupp-Oberreal-
schule zu neuen Kunstgemeinschaften vereinigen wer-
den, so daß dieser schöne Zweig der Schulbildungs-
arbeit nicht wieder abstirbt, sondern noch reiche
Früchte trägt. Die Leitung einer Kunstgemeinde von
Schülern der Oberstufe wird auch dem Lehrer immer
aufs neue große Freude bereiten. Bei unserem Lehrer
war das wenigstens der Fall.

OTTO GEISSLER-DANZIG-LANGFUHR: „WA LD G EISTE R“


Das war einmal ein Ehrentag der 19. Oktober 1930
— den Zeichen- und Kunstunterricht im allgemeinen
— und für den im Kronprinz Wilhelm-Realgymnasium in
Danzig-Langfuhr im besonderen. Und wer uns ihn be-
schert hatte, das waren die Waldgeister. Dieselben
Waldgeister aus Wurzeln und Astwerk, die Kollege
Erhard K o c h - Schwäb. Gmünd, uns im vorigen Heft
in Wort und Bild vorgeführt hat. Zu gleicher Zeit hatte
es uns gepackt — dieses urdeutsche Thema — im
Südwesten und Nordosten unseres Vaterlandes und
so die enge seelische und geistige Verbundenheit
bekundet, die uns über alle haß- und neidgeborenen
hölzernen und gedanklichen Grenzpfähle hinweg eint.
Mit gleicher Lust, Findigkeit und gleichem Erfolg ha-
ben wir diesen Gesellen nachgespürt, und nach
einigen Wochen konnten wir unsere Tische zu Pyra-
midenaufbauen, mit Packpapier umkleiden und unsere
Herrlichkeiten aufstellen. Der Tag der Eröffnung sah
unsern Kultussenator und unsern Staatsrat, Presse,
Fachkollegen und -kolleginnen, Kollegium und Eltern
bei uns versammelt, und ich konnte ihnen nach der
Begrüßung etwa folgendes sagen:
Gerade wir Zeichner sind — gleich der hohen Kunst:
im öffentlichen Leben, auf kulturellem Gebiete —
Schritlmacher den übrigen Fächern gegenüber in Fra-
gen erkenntnistheoretischer, also auch methodischer
Art. In immer steigenderem Maße werden die übrigen
Fächer ihre mechanistische Einstellung verlassen und
zum Ausdrucksunterricht werden müssen — zu einem
Unterricht, der ein im Kinde lebendig Gewordenes
zum Ausdruck drängen macht. In einem beherzigens-
werten, sehr aufschlußreichen Buche von Leo Fro-
benius, dem vielseitig bekannten Kulturmorphologen,
wird auf das Mechanistische unseres heutigen Zeit-

geschehens hingewiesen, und im besonderen vom
Lehrer gesagt: er sei heute noch gezwungen, durch
Logik, Grammatik und mechanisches Wissen das See-
lenhafte, das Kindlich-Dämonische, das aus dem
Unbewußten-Schaffende im Kinde zu töten, Genies
im Keime zu ersticken, Greisenseelen in Kinderkör-
pern zu züchten. Das bildhafte Gestalten nun unseres
Zeichen- und Kunstunterrichts ist ein solches Wächsern
und Strömenlassen aus dem Unbewußten, aus den
Tiefen der Seele heraus. Und bildnerisches Gestalten
ist auch das, was wir Ihnen, meine Damen und Her-
ren, heute zeigen wollen — und es ist ein solches
Strömen in einem seltsam doppelten Sinne; denn durch
diese Wurzeln und Ästchen ist ja schon einmal der
Saft der Natur geströmt und hat seine Spuren hinter-
lassen in all dem Sichdrehen und -winden, in dem
Sichverästeln und -Verknollen. Dieses unheimlich erd-
haft Lebendige ist wohl der erste Grund für den un-
gemein starken Anstoß, der zum Weiterbilden in die-
sem Material geradezu antrieb. Das Kind steht ja
allem Lebendigen viel näher als der Erwachsene. So
sagt mein Siebenjähriger bei Herstellung eines Wald-
geisterplakates und Benutzung der Blockschrift: „Va-
ter, das L kann ich machen; einer liegt auf der Erde,
der andere steht." Der Erwachsenenintellekt hätte er-
klärenderweise hier vielleicht — unter Angleichung
an die Wirklichkeit, nicht an das Leben, gefunden —:
„Der eine Balken liegt, der andere steht." Das Kind
packt das Leben selber, legt einen Menschen hin oder
stellt ihn auf. „Auf dem T kann „man" schaukeln."
Wir Erwachsenen hätten sicher gesagt: „Der linke
Balken ist so lang wie der rechte, der linke ist darum
so schwer wie der rechte usw." Das Kind greift wie-
der zum „man", zum Leben, am liebsten mimt es, mit
den Armen schaukelnd, das Leben selbst. — Als Ge-


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