bildsamen Werkstoffen. Welch große Möglichkeiten
in diesem Neuland stecken, deuten die voran-
gegangenen Untersuchungen ja nur an. Wie wichtig
das Herausholen des plastischen Raumgefühls auch
durch die rhythmische Gymnastik unterstützt werden
kann, wie viel Klarheit in andere Unterrichtsfächer
(Geometrie, Naturwissenschaft) hineinfließen wird,
wurde ja an anderer Stelle schon angeregt. Die Welt
der Linie ist geistige Kraft, aber sie sollte nicht ge-
trennt werden vom Plastischen, denn sie wird reicher
und beweglicher und klarer dadurch. Die Welt der
Farben ist seelische Kraft, aber sie führt durch die
tiefsten Räume wieder In die Gestalt hinein, kehrt
wieder im Plastischen und klärt die Ausdruckskraft
der Sprache, — wird zuletzt Musik. Alles lebt im
Raum. Laßt uns auch einmal so ganz allgemein den-
ken, so daß ich reden kann von dem blumigen Wachs
und der mütterlich nachgiebigen Ton-Erde, dem Erden-
kloß. Sie wollen wir unseren Schülern nicht enthalten.
Wir haben im Ton Erde und Wasser beisammen, trock-
net er an der Luft, so hat er wohl seine Bildsamkeit
verloren (der Gips aber ist, wenn er ab-gebunden
hat, erledigt). Aber nun wartet das vierte Element,
das Feuer. Ist kein Töpfer im Ort, so läßt sich in ton-
erdigem, lehmhaltigem Grund ein Brennofen ausheben,
wie's schon die alten Römer bei uns im Lande taten.
Dann kommt die Läuterung!
+ + t
An irgend einem Baustein der Stadtkirche in Din-
kelsbühl fand ich zufällig beim Suchen nach Steinmetz-
zeichen diesen Spruch in gotischen Lettern des 15. Jahr-
hunderts:
„der grünt ligt in der erden „such"
ERICH PARNITZKE:
VOM „GOLDENEN SCHNITT“ UND
Diese neue Sinndeutung einer alten (fast verstaub-
ten) Frage geht davon aus, daß an der Regel, die so
lange herumgespukt hat und in oft verschrobenster
Art bildnerische Fragen mit mathematischen Spekula-
tionen verquickte, immerhin etwas „daran sein" könnte.
Versuchen wir es mit einer Klärung!
Die Schemata tragen zusammen, was zur Deutung
helfen kann. Sie sind nicht gemeint als Ansätze
einer neuaufzupollerenden Formenlehre (wovon es
heute schon wieder bedenkliche Beispiele gibt), son-
dern ausschließlich als Zeichen, die der Besinnung
über ein nicht uninteressantes Grenzproblem (zwi-
schen bildnerischem und mathematischem Denken)
dienen sollen. Ein weiteres wäre z. B. die leidige
Frage der „Perspektive". Davon mag ein andermal die
Rede sein. Das Problem des „Goldenen Schnittes"
führt zurück bis zu den Gründen einer vor-wissen-
schaftlichen Verwurzelung von Bild-maßen (d. h. Augen-
maßen) und Zahlmaßen (d. h. technischer Überlegung).
Diese gemeinsame Wurzel besteht. Das Kind „zählt"
bereits, ordnet vorstellig Dinge, zeichnet gegenständ-
liche Ordnungen, die „additive" Gefüge sind, bevor
von Addieren als rechnerischem Denkvorgang die
Rede (wörtlich: die Sprache) ist. Gewiß trennt sich
im selben Maße, wie die Wort-Denkvorgänge mählich
selbständig werden, schließlich unanschaulich, die
mathematische Überlegung von der bildnerisch-intui-
tiven Logik. Wenn sich der rechnerische Intellekt den-
noch die Kontrolle anmaßt über ein Gebiet, auf dem
er nicht mehr zuständig sein kann, dann fällt die Kunst-
übung (wie genugsam bekannt) der Mechanisierung
anheim. Dann kann es erziehlich nötig werden, einen
absoluten Schnitt zu machen zwischen den beiden
Denkwelten, kann es von höchstem Verdienst sein,
die Eigenwelt des Augenmaßes, die bildnerische Logik,
zu befreien von falschen Voraussetzungen. Insofern
ist meine Deutung eigentlich unzeitgemäß, enthält
sie doch das Zugeständnis, daß es Grenzprobleme
gibt. Allerdings fällt mir keinesfalls bei, bei den ver-
schiedenen interessanten Fällen des Wach- und Be-
wußtwerdens, die das Abzweigen nach hie bild-
nerischem, hie rechnerischem Maßnehmen belegen
können, dem Zahlwissen einen Vorrang zuzugestehen.
Es wird zum Nach-denken und zu einem, das je
ausgeprägter, je mehr wegführt vom Bild-bilden. Es
geht aber letzthin auf eine gemeinsame Ansatzstelle
zurück, auf ein „Auge" am sprossenden Reis der
Erkenntnis. Auf das Auge, Schau-fenster aller An-
schauungsbildung---_—
„GEOMETRISCHER PROGRESSION“
Zur Sache selber! — Aus dem Quartapensum (me-
chanisch-unerquicklicher Erinnerung) sei nachge-
schlagen:
Wenn eine Strecke so geteilt wird, daß der kleinere
Teil (a), sich zum größeren (b) verhält, wie dieser
größere Teil zum Ganzen (a + b — c), so ist die Teilung
im Verhältnis des „Goldenen Schnitts" erfolgt. (Sche-
ma 1.)
Aus dem Sekundapensum (einem ebenso lebens-
fremden Biestern durch den Wald sperriger Begriffe)
ersehe ich:
Wird diese Teilung fortgesetzt, so ergibt sich das
Bild einer Streckenreihe, deren Teile in geometrischer
Progression an Größe zunehmen, bzw. abnehmen: 8.
Der Vermerk im Heft heißt noch: Die Strecken wach-
sen. Konstruktiv (mit Lineal und Zirkel) bekommt man
begrenzte Strecken; rechnerisch irrationale Zahlen. —
„Wachsen"? Hier liegt ein tieferer Sinn in der Meta-
pher: Es ist ein merkwürdiges Leben und Anschwellen
darin, ein dynamisches Geschehen. Von einer arith-
metischen Reihe wie 2 kann man das nicht sagen.
Darin herrscht gleichaktige Statik. — „Begrenzt"?
Beim Ausrechnen der geometrischen Reihe gibt
es keine grenzhaften Zahlen, keine rationalen (im
Griechischen: logischen) Streckenzeichen, sondern
„grenzlose Übergänge" ins irrationale (alogische), in
ein geheimnisvolles fast „organisches" Leben der
Mathematik. Die Formel a zu b wie b zu c (= a -|- bl)
— nebenbei eine „Überschneidung" rechnerischer Art
— ergibt beim Einsetzen von Zahlen eine Kette „un-
endlicher" Brüche — „grenzlose" Ubergängel —, die
In Annäherungswerten etwa ergeben: 1 zu 1 wie 1 zu 2;
1 zu 2 wie 2 zu 3; usw. Die noch grob ungenaue Kette
der„Goldenen-Schnitt"verhältnisse ginge weiter 3 zu 5,
5 zu 8 (hier beginnt die praktische Maß-Regel), 8 zu 13,
13 zu 21 usw., usw. —
Um deutlich zu machen, was vorliegt, habe ich rechts
einige „additive Proportionen" gegenübergestellt.
Die Teilung 2 liegt klar, ebenso in 4, 5, 7, 9: gleich-
wertige Einzelbestände sind gereiht. Scheinbar kann
man auch bei 11 überhaupt nicht von Proportion reden.
Indes liegt hier der Fall vor, der bei gegebenen Werk-
beständen eine bedeutende Rolle spielt. Im Schema
sind c und a als feste Grenzen gegeben; b kennzeich-
net die „archaische" Logik der Weiterbeurteilung:
Mitte. B ist also im wörtlichsten Sinne „mittlere
Proportionale" zwischen c und a! — Anders bei 10:
jede Dreiergruppe von Grenzlinien zeigt das Abwei-
chen von der wörtlichen Mittel Es ist jedesmal in be-
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in diesem Neuland stecken, deuten die voran-
gegangenen Untersuchungen ja nur an. Wie wichtig
das Herausholen des plastischen Raumgefühls auch
durch die rhythmische Gymnastik unterstützt werden
kann, wie viel Klarheit in andere Unterrichtsfächer
(Geometrie, Naturwissenschaft) hineinfließen wird,
wurde ja an anderer Stelle schon angeregt. Die Welt
der Linie ist geistige Kraft, aber sie sollte nicht ge-
trennt werden vom Plastischen, denn sie wird reicher
und beweglicher und klarer dadurch. Die Welt der
Farben ist seelische Kraft, aber sie führt durch die
tiefsten Räume wieder In die Gestalt hinein, kehrt
wieder im Plastischen und klärt die Ausdruckskraft
der Sprache, — wird zuletzt Musik. Alles lebt im
Raum. Laßt uns auch einmal so ganz allgemein den-
ken, so daß ich reden kann von dem blumigen Wachs
und der mütterlich nachgiebigen Ton-Erde, dem Erden-
kloß. Sie wollen wir unseren Schülern nicht enthalten.
Wir haben im Ton Erde und Wasser beisammen, trock-
net er an der Luft, so hat er wohl seine Bildsamkeit
verloren (der Gips aber ist, wenn er ab-gebunden
hat, erledigt). Aber nun wartet das vierte Element,
das Feuer. Ist kein Töpfer im Ort, so läßt sich in ton-
erdigem, lehmhaltigem Grund ein Brennofen ausheben,
wie's schon die alten Römer bei uns im Lande taten.
Dann kommt die Läuterung!
+ + t
An irgend einem Baustein der Stadtkirche in Din-
kelsbühl fand ich zufällig beim Suchen nach Steinmetz-
zeichen diesen Spruch in gotischen Lettern des 15. Jahr-
hunderts:
„der grünt ligt in der erden „such"
ERICH PARNITZKE:
VOM „GOLDENEN SCHNITT“ UND
Diese neue Sinndeutung einer alten (fast verstaub-
ten) Frage geht davon aus, daß an der Regel, die so
lange herumgespukt hat und in oft verschrobenster
Art bildnerische Fragen mit mathematischen Spekula-
tionen verquickte, immerhin etwas „daran sein" könnte.
Versuchen wir es mit einer Klärung!
Die Schemata tragen zusammen, was zur Deutung
helfen kann. Sie sind nicht gemeint als Ansätze
einer neuaufzupollerenden Formenlehre (wovon es
heute schon wieder bedenkliche Beispiele gibt), son-
dern ausschließlich als Zeichen, die der Besinnung
über ein nicht uninteressantes Grenzproblem (zwi-
schen bildnerischem und mathematischem Denken)
dienen sollen. Ein weiteres wäre z. B. die leidige
Frage der „Perspektive". Davon mag ein andermal die
Rede sein. Das Problem des „Goldenen Schnittes"
führt zurück bis zu den Gründen einer vor-wissen-
schaftlichen Verwurzelung von Bild-maßen (d. h. Augen-
maßen) und Zahlmaßen (d. h. technischer Überlegung).
Diese gemeinsame Wurzel besteht. Das Kind „zählt"
bereits, ordnet vorstellig Dinge, zeichnet gegenständ-
liche Ordnungen, die „additive" Gefüge sind, bevor
von Addieren als rechnerischem Denkvorgang die
Rede (wörtlich: die Sprache) ist. Gewiß trennt sich
im selben Maße, wie die Wort-Denkvorgänge mählich
selbständig werden, schließlich unanschaulich, die
mathematische Überlegung von der bildnerisch-intui-
tiven Logik. Wenn sich der rechnerische Intellekt den-
noch die Kontrolle anmaßt über ein Gebiet, auf dem
er nicht mehr zuständig sein kann, dann fällt die Kunst-
übung (wie genugsam bekannt) der Mechanisierung
anheim. Dann kann es erziehlich nötig werden, einen
absoluten Schnitt zu machen zwischen den beiden
Denkwelten, kann es von höchstem Verdienst sein,
die Eigenwelt des Augenmaßes, die bildnerische Logik,
zu befreien von falschen Voraussetzungen. Insofern
ist meine Deutung eigentlich unzeitgemäß, enthält
sie doch das Zugeständnis, daß es Grenzprobleme
gibt. Allerdings fällt mir keinesfalls bei, bei den ver-
schiedenen interessanten Fällen des Wach- und Be-
wußtwerdens, die das Abzweigen nach hie bild-
nerischem, hie rechnerischem Maßnehmen belegen
können, dem Zahlwissen einen Vorrang zuzugestehen.
Es wird zum Nach-denken und zu einem, das je
ausgeprägter, je mehr wegführt vom Bild-bilden. Es
geht aber letzthin auf eine gemeinsame Ansatzstelle
zurück, auf ein „Auge" am sprossenden Reis der
Erkenntnis. Auf das Auge, Schau-fenster aller An-
schauungsbildung---_—
„GEOMETRISCHER PROGRESSION“
Zur Sache selber! — Aus dem Quartapensum (me-
chanisch-unerquicklicher Erinnerung) sei nachge-
schlagen:
Wenn eine Strecke so geteilt wird, daß der kleinere
Teil (a), sich zum größeren (b) verhält, wie dieser
größere Teil zum Ganzen (a + b — c), so ist die Teilung
im Verhältnis des „Goldenen Schnitts" erfolgt. (Sche-
ma 1.)
Aus dem Sekundapensum (einem ebenso lebens-
fremden Biestern durch den Wald sperriger Begriffe)
ersehe ich:
Wird diese Teilung fortgesetzt, so ergibt sich das
Bild einer Streckenreihe, deren Teile in geometrischer
Progression an Größe zunehmen, bzw. abnehmen: 8.
Der Vermerk im Heft heißt noch: Die Strecken wach-
sen. Konstruktiv (mit Lineal und Zirkel) bekommt man
begrenzte Strecken; rechnerisch irrationale Zahlen. —
„Wachsen"? Hier liegt ein tieferer Sinn in der Meta-
pher: Es ist ein merkwürdiges Leben und Anschwellen
darin, ein dynamisches Geschehen. Von einer arith-
metischen Reihe wie 2 kann man das nicht sagen.
Darin herrscht gleichaktige Statik. — „Begrenzt"?
Beim Ausrechnen der geometrischen Reihe gibt
es keine grenzhaften Zahlen, keine rationalen (im
Griechischen: logischen) Streckenzeichen, sondern
„grenzlose Übergänge" ins irrationale (alogische), in
ein geheimnisvolles fast „organisches" Leben der
Mathematik. Die Formel a zu b wie b zu c (= a -|- bl)
— nebenbei eine „Überschneidung" rechnerischer Art
— ergibt beim Einsetzen von Zahlen eine Kette „un-
endlicher" Brüche — „grenzlose" Ubergängel —, die
In Annäherungswerten etwa ergeben: 1 zu 1 wie 1 zu 2;
1 zu 2 wie 2 zu 3; usw. Die noch grob ungenaue Kette
der„Goldenen-Schnitt"verhältnisse ginge weiter 3 zu 5,
5 zu 8 (hier beginnt die praktische Maß-Regel), 8 zu 13,
13 zu 21 usw., usw. —
Um deutlich zu machen, was vorliegt, habe ich rechts
einige „additive Proportionen" gegenübergestellt.
Die Teilung 2 liegt klar, ebenso in 4, 5, 7, 9: gleich-
wertige Einzelbestände sind gereiht. Scheinbar kann
man auch bei 11 überhaupt nicht von Proportion reden.
Indes liegt hier der Fall vor, der bei gegebenen Werk-
beständen eine bedeutende Rolle spielt. Im Schema
sind c und a als feste Grenzen gegeben; b kennzeich-
net die „archaische" Logik der Weiterbeurteilung:
Mitte. B ist also im wörtlichsten Sinne „mittlere
Proportionale" zwischen c und a! — Anders bei 10:
jede Dreiergruppe von Grenzlinien zeigt das Abwei-
chen von der wörtlichen Mittel Es ist jedesmal in be-
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