Kunst und Jugend
Deutsche Blätter für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Sfuftgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag; Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach I Meldet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang Oktober 1931 Heft 10
ERNST FRITZ-DORTMUND: EIN SCHWARZER TAG.
Durch den Ministerialerlaß vom 14. September 1931
— und II 1250 — ist das Dunkel gelichtet, das über
den Sparmaßnahmen an dem höheren Schulwesen Preu-
ßens lag. So einschneidend, so vernichtend hatte viel-
leicht niemand den Schlager wartet; unsere Befürchtun-
gen sind weit übertroffen. Mit einem Wort: Der Zei-
chen- und Kunstunterricht an den höhe-
ren Schulen Preußens ist zur völligen
Bedeutungslosigkeit verurteilt. Er hat auf
der Mittel- und Oberstufe 50 Prozent seiner Stunden-
zahl eingebüßt.
Das bedeutet für das Fach, daß es seine bildende
und erzieherische Aufgabe nicht mehr erfüllen kann,
daß es auf den Standpunkt vor 1900 und noch hinter
denselben zurückgeworfen wird. Das bedeutet für den
Kunsterzieher, daß er einen großen Teil seines Unter-
richtes verliert, daß er vielleicht an mehreren Schulen
seiner Stadt unterrichten oder andern Unterricht über-
nehmen muß, das bedeutet, daß viele Zeichenlehrer
(-innen) abgebaut werden und die Anstellungsmög-
lichkeiten für unseren Nachwuchs auf Jahre hinaus
erledigt sind. In andern deutschen Staaten liegen
die Verhältnisse ähnlich.
Und die Ursache? Dieser Frage nachgehen heißt auf
das Gebiet der Politik sich begeben. Eine Zeitschrift
für Kunsterziehung hat andere Aufgaben und Ziele,
als sich mit politischen Tagesmeinungen und ihren
Irrungen und Wirrungen zu beschäftigen; aber im vor-
liegenden Falle kann es trotzdem allen Amlsgenossen
und Amtsgenossinnen nicht dringend genug empfoh-
len werden, sich nach den innerpolitischen Ursachen
dieser Katastrophe umzusehen, damit sie wissen, wem
sie ihren Dank abzustatten haben.
Der preuß. Städtetag, wahrscheinlich unterstützt
durch andere kommunale Spitzenverbände, stellte dik-
tatorische Sparmaßnahmen für die Schule auf. Ob
diese Bremsforderungen auf kulturellem Gebiete im
Sinne des Schöpfers der preuß. Stadteordnung, des
Freiherrn vom Stein, liegen, dessen Gedächtnis in
diesem Jahre in allen preuß. Schulen gefeiert wurde,
ist zu bezweifeln. Die Verbindung von wirtschaftlichen
Maßnahmen mit kulturellen und ethischen Aufgaben
ist gefährlich.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Dr. Mulert,
schreibt in der „Dortmunder Zeitung" vom 7. Septem-
ber 1931: „Die Schule und die Bildungsarbeit für die
deutsche Jugend sollte von Sparmaßnahmen verschont
bleiben, weil der Kampf mit den geistigen Waffen,
nachdem die realen Waffen uns zerschlagen sind,
für unsere Zukunft entscheidend sein wird. Jeder
Abbau im Schulwesen muß sich unmittelbar auf unsere
geistige Rüstung schädlich auswirken. Wenn wir aber
vor der Entscheidung stehen, Arbeitslose hungern zu
lassen oder das Schulniveau zu verschlechtern, so
muß die Schule notwendig leiden. Zunächst muß man
leben, dann kann man lernen." — Gegen den lapi-
daren Schlußsatz ist nichts einzuwenden; Herr Dr.
Mulert scheint aber übersehen zu haben, daß durch
die vom Städtetag geforderten Sparmaßnahmen die
Zahl der Arbeitslosen vergrößert wird. — Die Berliner
Börsenzeitung spricht von „rigorosen Sparmaßnahmen,
die bis in das lebenerhaltende Mark unseres Schul-
wesens eingreifen und der „neuen Schule", die durch
das Reformwerk von 1925 in mühseliger und emsiger
Arbeit aufgebaut wurde, den Todesstoß versetzt." Es
ist keine Uberhebung, sondern eine Tatsache, daß
gerade die Kunsterziehung sich diesem Reformwerk
am begeistertsten hingab. Nun hat sie ihren Lohn:
sie ist von allen Fächern am grausam-
sten betroffen. Da taucht die Frage auf: Trotz
ihrer leidenschaftlichen Hingabe an die Reformricht-
linien oder vielleicht gar wegen derselben?
Der alte, naturbegründete Gegensatz zwischen Wis-
senschaft und Kunst treibt auch sein Wesen in der
Schule. Höchst überflüssiger Weise, denn der künst-
lerisch und der wissenschaftlich ausgebildete Lehrer
der höheren Schule sind in erster Linie Lehrer und
Erzieher und haben als solche gemeinsam die gleiche
Schul- und Erziehungsarbeit zu leisten, und ferner —
seien wir doch nüchtern und ehrlichl — handelt es
sich hier weder um Kunst noch um Wissenschaft,
sondern nur um das Einführen in das Verständnis für
Wissenschaft und Kunst und um das Wecken der Liebe
zu beiden. Das Unterschiedliche sollte nicht zum Tren-
nenden werden, sondern zum Sich-Ergänzen in fried-
vollem Neben- und Miteinander. Wir sind von diesem
Idealzustand weit entfernt, und gerade dies hat jeden-
falls mit dazu beigetragen, daß in so brutal einseitiger
Weise gegen die Kunstfächer vorgegangen wurde.
Es wäre sehr zu bedauern, wenn der Philologenstand
durch ein übertriebenes Betonen der Standesfragen
sich immer mehr von dem antiken Erziehungsideal,
der harmonisch allseitigen Ausbildung, Kalokagathia,
entfernte, einem Ideal, als dessen berufener Vertreter
der deutsche Philologe sich fühlt. Wir Zeichen- und
Musiklehrer wollen dem wissenschaftlich gebildeten
Lehrer und Erzieher nichts nehmen von seinen Rechten,
wir wollen vielmehr ihn nach unsern Kräften bei der
gemeinsamen Schularbeit unterstützen, weil das un-
sere Aufgabe ist, an der unser Herz hängt, und weil
249
Deutsche Blätter für Zeichen- Kunst- und Werkunterricht
Zeitschrift des Reichsverbandes akademisch gebildeter Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Verantwortlich für die Schriftleitung: Prof. Gustav Kolb, Sfuftgart, Ameisenbergstr. 65
Druck, Expedition und Verlag; Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
Für Besprechungsexemplare, Niederschriften oder andere Einsendungen irgendwelcher Art wird eine Verantwortlichkeit nur
dann übernommen, wenn sie erbeten worden sind ♦ Schreibt sachlich klar und einfach I Meldet alle entbehrlichen Fremdwörter
11. Jahrgang Oktober 1931 Heft 10
ERNST FRITZ-DORTMUND: EIN SCHWARZER TAG.
Durch den Ministerialerlaß vom 14. September 1931
— und II 1250 — ist das Dunkel gelichtet, das über
den Sparmaßnahmen an dem höheren Schulwesen Preu-
ßens lag. So einschneidend, so vernichtend hatte viel-
leicht niemand den Schlager wartet; unsere Befürchtun-
gen sind weit übertroffen. Mit einem Wort: Der Zei-
chen- und Kunstunterricht an den höhe-
ren Schulen Preußens ist zur völligen
Bedeutungslosigkeit verurteilt. Er hat auf
der Mittel- und Oberstufe 50 Prozent seiner Stunden-
zahl eingebüßt.
Das bedeutet für das Fach, daß es seine bildende
und erzieherische Aufgabe nicht mehr erfüllen kann,
daß es auf den Standpunkt vor 1900 und noch hinter
denselben zurückgeworfen wird. Das bedeutet für den
Kunsterzieher, daß er einen großen Teil seines Unter-
richtes verliert, daß er vielleicht an mehreren Schulen
seiner Stadt unterrichten oder andern Unterricht über-
nehmen muß, das bedeutet, daß viele Zeichenlehrer
(-innen) abgebaut werden und die Anstellungsmög-
lichkeiten für unseren Nachwuchs auf Jahre hinaus
erledigt sind. In andern deutschen Staaten liegen
die Verhältnisse ähnlich.
Und die Ursache? Dieser Frage nachgehen heißt auf
das Gebiet der Politik sich begeben. Eine Zeitschrift
für Kunsterziehung hat andere Aufgaben und Ziele,
als sich mit politischen Tagesmeinungen und ihren
Irrungen und Wirrungen zu beschäftigen; aber im vor-
liegenden Falle kann es trotzdem allen Amlsgenossen
und Amtsgenossinnen nicht dringend genug empfoh-
len werden, sich nach den innerpolitischen Ursachen
dieser Katastrophe umzusehen, damit sie wissen, wem
sie ihren Dank abzustatten haben.
Der preuß. Städtetag, wahrscheinlich unterstützt
durch andere kommunale Spitzenverbände, stellte dik-
tatorische Sparmaßnahmen für die Schule auf. Ob
diese Bremsforderungen auf kulturellem Gebiete im
Sinne des Schöpfers der preuß. Stadteordnung, des
Freiherrn vom Stein, liegen, dessen Gedächtnis in
diesem Jahre in allen preuß. Schulen gefeiert wurde,
ist zu bezweifeln. Die Verbindung von wirtschaftlichen
Maßnahmen mit kulturellen und ethischen Aufgaben
ist gefährlich.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Dr. Mulert,
schreibt in der „Dortmunder Zeitung" vom 7. Septem-
ber 1931: „Die Schule und die Bildungsarbeit für die
deutsche Jugend sollte von Sparmaßnahmen verschont
bleiben, weil der Kampf mit den geistigen Waffen,
nachdem die realen Waffen uns zerschlagen sind,
für unsere Zukunft entscheidend sein wird. Jeder
Abbau im Schulwesen muß sich unmittelbar auf unsere
geistige Rüstung schädlich auswirken. Wenn wir aber
vor der Entscheidung stehen, Arbeitslose hungern zu
lassen oder das Schulniveau zu verschlechtern, so
muß die Schule notwendig leiden. Zunächst muß man
leben, dann kann man lernen." — Gegen den lapi-
daren Schlußsatz ist nichts einzuwenden; Herr Dr.
Mulert scheint aber übersehen zu haben, daß durch
die vom Städtetag geforderten Sparmaßnahmen die
Zahl der Arbeitslosen vergrößert wird. — Die Berliner
Börsenzeitung spricht von „rigorosen Sparmaßnahmen,
die bis in das lebenerhaltende Mark unseres Schul-
wesens eingreifen und der „neuen Schule", die durch
das Reformwerk von 1925 in mühseliger und emsiger
Arbeit aufgebaut wurde, den Todesstoß versetzt." Es
ist keine Uberhebung, sondern eine Tatsache, daß
gerade die Kunsterziehung sich diesem Reformwerk
am begeistertsten hingab. Nun hat sie ihren Lohn:
sie ist von allen Fächern am grausam-
sten betroffen. Da taucht die Frage auf: Trotz
ihrer leidenschaftlichen Hingabe an die Reformricht-
linien oder vielleicht gar wegen derselben?
Der alte, naturbegründete Gegensatz zwischen Wis-
senschaft und Kunst treibt auch sein Wesen in der
Schule. Höchst überflüssiger Weise, denn der künst-
lerisch und der wissenschaftlich ausgebildete Lehrer
der höheren Schule sind in erster Linie Lehrer und
Erzieher und haben als solche gemeinsam die gleiche
Schul- und Erziehungsarbeit zu leisten, und ferner —
seien wir doch nüchtern und ehrlichl — handelt es
sich hier weder um Kunst noch um Wissenschaft,
sondern nur um das Einführen in das Verständnis für
Wissenschaft und Kunst und um das Wecken der Liebe
zu beiden. Das Unterschiedliche sollte nicht zum Tren-
nenden werden, sondern zum Sich-Ergänzen in fried-
vollem Neben- und Miteinander. Wir sind von diesem
Idealzustand weit entfernt, und gerade dies hat jeden-
falls mit dazu beigetragen, daß in so brutal einseitiger
Weise gegen die Kunstfächer vorgegangen wurde.
Es wäre sehr zu bedauern, wenn der Philologenstand
durch ein übertriebenes Betonen der Standesfragen
sich immer mehr von dem antiken Erziehungsideal,
der harmonisch allseitigen Ausbildung, Kalokagathia,
entfernte, einem Ideal, als dessen berufener Vertreter
der deutsche Philologe sich fühlt. Wir Zeichen- und
Musiklehrer wollen dem wissenschaftlich gebildeten
Lehrer und Erzieher nichts nehmen von seinen Rechten,
wir wollen vielmehr ihn nach unsern Kräften bei der
gemeinsamen Schularbeit unterstützen, weil das un-
sere Aufgabe ist, an der unser Herz hängt, und weil
249