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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 10 (Oktober 1931)
DOI article:
Parnitzke, Erich: Mappe für Zeichnungen: eine Wiederentdeckung bei den "Kleinen"
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Raabe, Wilhelm: Der Zeichenlehrer Victor Windwebel im "Horacker"
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0281

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„Tiger im Urwald" Kl. 5 (O III)




Zu Kluulj „Ddrslcllon und Gestellten" Heft 6 und Sprechsccl Heft 9 und 10

DER ZEICHENLEHRER VICTOR WINDWEBEL IM „HORACKER“. Von Wilh. Raabe

Am 8. September feierten wir den 100. Geburtstag
Wilhelm Raabes, der gewiß zu den eigenartigsten
Dichtern deutscher Zunge gehört. Leider ist der Zu-
gang zu seinen Werken nicht leicht. Er liebt es, die
köstlichen Schätze tiefsinniger Weisheit, an denen er
reicher ist, als alle unsere Romanschriftsteller zusam-
men, in einem krausen Geranke von Worten zu ver-
stecken. Dadurch kennzeichnet er sich aber als echt
deutschen Blutes. Mir ist er schon seit vielen Jahren
so ans Herz gewachsen, daß ich in Stunden der Muße
immer wieder zurückkomme auf seine Werke, von
denen ich die meisten wiederholt, verschiedene schon
viermal und noch öfter gelesen habe.
Wilhelm Raabe war ein Menschenschilderer ersten
Ranges. Seine Charakterfiguren gehören den verschie-
densten Lebensaltern, Gesellschaftsschichten und Be-
rufsständen an. Einmal, in dem humoristischen Roman
„Horacker", hat er auch einen Zeichenlehrer geschil-
dert und ihm einen Philologen gegenübergestellt.
Beide sind so lebenswahr charakterisiert, daß man
sie leibhaftig vor sich sieht. Man spürt es jedem Zuge
an, daß sie dem Leben unmittelbar abgelauscht sind.
Der Zeichenlehrer Victor Windwebel kommt gut
weg, der Oberlehrer Dr. Neubauer dagegen herzlich
schlecht. Und wenn nicht ein zweiter Philologe, der
prächtige alte Konrektor Dr. Eckerbusch, dazwischen-
stünde, so hätte der Philologenstand keinen Grund,
sich von Wilhelm Raabe geschmeichelt zu fühlen.

Unser Kollege Windwebel war schon ein gut Stück
in der Welt herumgekommen, bevor er am Gymnasium
der mitteldeutschen Kleinstadt landete und heiratete.
Seinem Freund Eckerbusch antwortet er, als dieser ihn
fragt: „Sie waren in England?"—: „Als Drawingsmaster
an einem Erziehungsinstitut in Leeds. Das Vergnügen
hätten Sie mal kennen lernen sollen."
Das Vergnügen an seinem jetzigen Wirkungskreis
ist aber auch nicht fleckenlos. Er kennzeichnet es
selbst mit folgenden Worten: „Er, Victor Windwebel
gehört gleichfalls zu den Leuten, über die man sich
„königlich amüsiert", und zwar bei Gelegenheiten, wo
ihm gar nicht lächerlich zumute ist." Und an andeier
Stelle seufzt er im Gedenken an seine ihm vor kurzem
angetraute Frau: „O Hedwig, was haben wir beide
umeinander ausgehalten. Mein armes kleines Mädchen,
v/ie hat das Fatum uns den Weg in unser Behagen
und unsere vier Pfähle mit Dornen besteckt! Was
würde noch heute aus uns in dem nichtswürdigen
Neste da hinter dem Busche werden, ohne den alten
Eckerbusch? Dem Kegelklub würde es heute noch
den allergrößten Spaß machen, uns in die Wildnis
hinaus zu lachen, mich als Rinaldo und dich als meine
Rosal"
Aber unser Kollege Windwebel ist ein ganzer Kerl:
frisch, unverstaubt, alles nur nicht sentimental, ein
draufgängerischer Naturbursche. Stets ist er bereit,
mit dem Zeichenstift ein Stück Leben einzufangen.

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