Sie unterscheiden sich freilich vornehmlich darin, daß
der freischaffende Künstler sich darauf beschränken
kann, seine eigene Künstlerpersönlichkeit zur höchst-
möglichen Entwicklung zu bringen, während derKunst-
lehrer" die Aufgabe hat, anderen, werdenden Men-
schen zur Entfaltung ihrer bildnerischen Gestaltungs-
kräfte zu verhelfen. Und diese Erziehungsaufgabe
erfordert außer dem künstlerischen Können freilich
noch eine gewisse Befähigung im begrifflich
erkennenden Denken, damit er sie geistig zu durch-
dringen und dem Gesamterziehungsplan einzufügen
vermag.
(Wenn man von hier aus einen Gegensatz zwischen
beiden konstruiert, so muß man das folgerichtig auch
zwischen dem „freien" Wissenschaftler und dem wis-
senschaftlichen Lehrer tun. Das fällt der Denkschrift
aber nicht ein.)
Ausschlaggebend ist aber, daß der Kunstlehrer mit
seiner innersten, seelisch-geistigen Wesenheit und Ge-
sinnung, gewissermaßen „vom Blut aus", nicht der Wis-
senschaft, sondern der Kunst angehört. Und daß
schon mit der erziehungswissenschaftlichen Vorbil-
dung, die ihm freilich nicht erlassen werden kann,
eine Anforderung an ihn herantritt, die seiner gei-
stigen Struktur in der Regel entgegengesetzt ist.
Wenn die „Denkschrift" das übersieht, und dem
Studierenden der künstlerischen Fächer außer seinem
künstlerischem Kernfach, dessen Bewältigung erfah-
rungsgemäß allein schon ein mindestens vierjähriges
Fachstudium beansprucht, noch ein wissenschaftliches
Beifach auflädt, das die Einheit seines Studiums zer-
stört, so kann das nur begründet sein in einem Mangel
an Verständnis für die Eigengesetzlichkeit der Kunst
im Gegensatz zur Wissenschaft, und der Eigengesetz-
lichkeit der Erziehungsaufgabe, die dem „Kunstlehrer"
obliegt.
Oder sollten die genannten „prakti-
schen Bedürfnisse" allein maßgebend
gewesen sein? Und man verschwieg das, weil man
nicht zugestehen wollte, daß man die so scharfsinnig
aufgebauten Grundsätze über die „ungeheure Gefahr"
der Zersplitterung der Vorbildung hier nicht brauchen
konnte? Dann läge der merkwürdige Fall vor, daß man
die Studierenden der künstlerischen Fächer zu einer
Maßnahme zwingt, vor der man die Studierenden der
wissenschaftlichen Fächer eindringlich warnt, nämlich
„aus Rücksicht auf eine gesteigerte Verwendungsmög-
lichkeit" „sich von unsachlichen Gesichtspunkten
in der Wahl seiner Fächer bestimmen zu lassen".
Dann hätte man dem Kind aber den rechten Namen
geben müssen. Vielleicht hätten sich aber auch Wege
finden lassen, die den praktischen Bedürfnissen der
Schule auf eine andere Weise genügt hätten.
Mag dem nun sein, wie ihm wolle: Jedenfalls sieht
sich der preußische Student der künstlerischen Fächer
durch diese „Prüfungsordnung" in eine Ausnahme-
stellung- versetzt und — wie die „Denkschrift" nach-
gewiesen hat — vor eine nicht zu bewältigende Auf-
gabe gestellt.
Ich befürchte, daß damit weder der Kunst noch der
Wissenschaft, weder der Schule noch dem „Kunst-
lehrer" gedient wird,
ERICH PARNITZKE-KIEL:
MAPPE FÜR ZEICHNUNGEN. Eine Wiederentdeckung bei den „Kleinen"
Der Gebrauchswert eines festen Umschlags für fer-
tige Zeichnungen liegt klar. Ein augenfälliger
Eigentumsvermerk ist ebenso praktisches Bedürfnis.
Eine handschriftliche Namensnotiz — 4a — und der
Fall wäre also erledigt?
Kinder denken bekanntlich nicht so. Auch ohne be-
sondern Anstoß tun sie etwas hinzu und machen den
Deckel auf ihre Art „schön". Malen den Namen be-
sonders aus, betätigen sonst ihre Bildphantasie und
lassen sich den Anlaß nicht entgehen, das zweckvolle
Stück Eigentum mit Stift und Farbe gründlich zu kenn-
zeichnen.
Wohin sie dabei auch treiben — außer zu ent-
schieden sinnvollen Bildlösungen — ist genugsam be-
kannt. „Druckschriften", die ungefähr nachgeahmt und
kläglich verrutscht, Zutaten (Wappen, Kriegsbeile,
Pferdeköpfe, Blümchen), die alles andre, aber weder
in sich gestalthaft noch geordnet hingesetzt sind —
kurz: das gleiche Material, das schon Kerschensteiner
1905 an Ornamentierungsversuchen zürn Fall „Deckel"
beibrachte, kann man in andern Varianten, aber glei-
cher Haltungslosigkeit jederzeit entstehen sehen.
Wie reimt sich das mit der im freien Bilden sonst
bekundeten Fähigkeit zur Gestaltgebung? Man ist
versucht, die Folgerung nachzusprechen, daß die Auf-
gabe zu schwierig sei, um vom Durchschnitt der 10 bis
13 Jährigen aus eigenem Vermögen bewältigt zu
werden.
Es kann sich nicht reimen, sofern die Deckel mit
dem Bleislift angegangen werden und die Notwen-
digkeit zu einem werkhaft-architektonischem Anpak-
ken der Aufgabe nicht die Mittel wahrnimmt, die das
bauliche Empfinden auslösen. Zwei Wege bieten sich:
ich kann anregen, die Schrift — des Namens — als
Bauteile zu handhaben (bis zum greifbarsten Setz-
spiel mit ausgeschnittenen Buchstaben); ich kann vom
Deckelgrund ausgehen und Möglichkeiten schmücken-
der Durchgestaltung aufweisen (wiederum mit sub-
stanzhaften Mitteln, die Naturalismen usw. fernhalten).
Reimt sich, was solchermaßen erziehlich vorbereitet
wird, mit den Gestaltneigungen und dem Vermögen
der Schüler?
Alle Einwirkungen bestehen — bewußt oder nicht —
aus Begünstigungen und Verhinderungen. Und zwar
kraft des Urteilsvermögens, über das der Lehrer ver-
fügt. Jeder Gang des Lehrers durch die Tischreihen —
während die Klasse an der Arbeit ist — bezeugt das.
Hier Kopfnicken, leise oder laute Zustimmung, die
Nuance im Vorbeigehen, die dem Schüler fühlbar
macht: in Ordnung. Dort Kopfschütteln, Verhalten, Ein-
greifen in allen Phasen, fragend, hinweisend, Sehend-
machen dieses oder jenes Mangels, die Nuancen der
Güte, des Unwillens, des Tadels, die dem Schüler
fühlbar machen, daß sich der Lehrer diese Lösung
anders vorstellt.
Die Einwirkung kann sich von arbeitsunterrichtlicher
Haltung glatt entfernen, wenn förmlich diktiert wird:
das mußt du so machenl Das liegt besonders nahe
bei Arbeiten, die mehr werkmäßig-gegenständlich
liegen. Wobei die Arbeitsfolge nach erstens, zwei-
tens, drittens nur zu oft abdrosselt, was an Eigenbil-
dung. bereit ist. Es liegt aber auch nahe bei der Ein:
führung besonderer Mittel. Der Klasse wird eine
scheinbar neutrale „Technik" angeboten und unver-
sehens und stillschweigend eine bestimmte Form-
gebung, eine „Kunstform" mitgereicht. Wobei über-
sehen wird, daß vielleicht ganz andre Formen der
Verwirklichung mit dem betreffenden Mittel von den
Schülern gesucht, gewollt, gefunden und gekonnt
werden könnten.
Das Arbeiten mit Kartoffelstempeln ist ein ebenso
einfaches wie entschiedenes Mittel, um unangebrachte
Geschicklichkeiten im „Verzierungsentwerfen" zu ver-
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der freischaffende Künstler sich darauf beschränken
kann, seine eigene Künstlerpersönlichkeit zur höchst-
möglichen Entwicklung zu bringen, während derKunst-
lehrer" die Aufgabe hat, anderen, werdenden Men-
schen zur Entfaltung ihrer bildnerischen Gestaltungs-
kräfte zu verhelfen. Und diese Erziehungsaufgabe
erfordert außer dem künstlerischen Können freilich
noch eine gewisse Befähigung im begrifflich
erkennenden Denken, damit er sie geistig zu durch-
dringen und dem Gesamterziehungsplan einzufügen
vermag.
(Wenn man von hier aus einen Gegensatz zwischen
beiden konstruiert, so muß man das folgerichtig auch
zwischen dem „freien" Wissenschaftler und dem wis-
senschaftlichen Lehrer tun. Das fällt der Denkschrift
aber nicht ein.)
Ausschlaggebend ist aber, daß der Kunstlehrer mit
seiner innersten, seelisch-geistigen Wesenheit und Ge-
sinnung, gewissermaßen „vom Blut aus", nicht der Wis-
senschaft, sondern der Kunst angehört. Und daß
schon mit der erziehungswissenschaftlichen Vorbil-
dung, die ihm freilich nicht erlassen werden kann,
eine Anforderung an ihn herantritt, die seiner gei-
stigen Struktur in der Regel entgegengesetzt ist.
Wenn die „Denkschrift" das übersieht, und dem
Studierenden der künstlerischen Fächer außer seinem
künstlerischem Kernfach, dessen Bewältigung erfah-
rungsgemäß allein schon ein mindestens vierjähriges
Fachstudium beansprucht, noch ein wissenschaftliches
Beifach auflädt, das die Einheit seines Studiums zer-
stört, so kann das nur begründet sein in einem Mangel
an Verständnis für die Eigengesetzlichkeit der Kunst
im Gegensatz zur Wissenschaft, und der Eigengesetz-
lichkeit der Erziehungsaufgabe, die dem „Kunstlehrer"
obliegt.
Oder sollten die genannten „prakti-
schen Bedürfnisse" allein maßgebend
gewesen sein? Und man verschwieg das, weil man
nicht zugestehen wollte, daß man die so scharfsinnig
aufgebauten Grundsätze über die „ungeheure Gefahr"
der Zersplitterung der Vorbildung hier nicht brauchen
konnte? Dann läge der merkwürdige Fall vor, daß man
die Studierenden der künstlerischen Fächer zu einer
Maßnahme zwingt, vor der man die Studierenden der
wissenschaftlichen Fächer eindringlich warnt, nämlich
„aus Rücksicht auf eine gesteigerte Verwendungsmög-
lichkeit" „sich von unsachlichen Gesichtspunkten
in der Wahl seiner Fächer bestimmen zu lassen".
Dann hätte man dem Kind aber den rechten Namen
geben müssen. Vielleicht hätten sich aber auch Wege
finden lassen, die den praktischen Bedürfnissen der
Schule auf eine andere Weise genügt hätten.
Mag dem nun sein, wie ihm wolle: Jedenfalls sieht
sich der preußische Student der künstlerischen Fächer
durch diese „Prüfungsordnung" in eine Ausnahme-
stellung- versetzt und — wie die „Denkschrift" nach-
gewiesen hat — vor eine nicht zu bewältigende Auf-
gabe gestellt.
Ich befürchte, daß damit weder der Kunst noch der
Wissenschaft, weder der Schule noch dem „Kunst-
lehrer" gedient wird,
ERICH PARNITZKE-KIEL:
MAPPE FÜR ZEICHNUNGEN. Eine Wiederentdeckung bei den „Kleinen"
Der Gebrauchswert eines festen Umschlags für fer-
tige Zeichnungen liegt klar. Ein augenfälliger
Eigentumsvermerk ist ebenso praktisches Bedürfnis.
Eine handschriftliche Namensnotiz — 4a — und der
Fall wäre also erledigt?
Kinder denken bekanntlich nicht so. Auch ohne be-
sondern Anstoß tun sie etwas hinzu und machen den
Deckel auf ihre Art „schön". Malen den Namen be-
sonders aus, betätigen sonst ihre Bildphantasie und
lassen sich den Anlaß nicht entgehen, das zweckvolle
Stück Eigentum mit Stift und Farbe gründlich zu kenn-
zeichnen.
Wohin sie dabei auch treiben — außer zu ent-
schieden sinnvollen Bildlösungen — ist genugsam be-
kannt. „Druckschriften", die ungefähr nachgeahmt und
kläglich verrutscht, Zutaten (Wappen, Kriegsbeile,
Pferdeköpfe, Blümchen), die alles andre, aber weder
in sich gestalthaft noch geordnet hingesetzt sind —
kurz: das gleiche Material, das schon Kerschensteiner
1905 an Ornamentierungsversuchen zürn Fall „Deckel"
beibrachte, kann man in andern Varianten, aber glei-
cher Haltungslosigkeit jederzeit entstehen sehen.
Wie reimt sich das mit der im freien Bilden sonst
bekundeten Fähigkeit zur Gestaltgebung? Man ist
versucht, die Folgerung nachzusprechen, daß die Auf-
gabe zu schwierig sei, um vom Durchschnitt der 10 bis
13 Jährigen aus eigenem Vermögen bewältigt zu
werden.
Es kann sich nicht reimen, sofern die Deckel mit
dem Bleislift angegangen werden und die Notwen-
digkeit zu einem werkhaft-architektonischem Anpak-
ken der Aufgabe nicht die Mittel wahrnimmt, die das
bauliche Empfinden auslösen. Zwei Wege bieten sich:
ich kann anregen, die Schrift — des Namens — als
Bauteile zu handhaben (bis zum greifbarsten Setz-
spiel mit ausgeschnittenen Buchstaben); ich kann vom
Deckelgrund ausgehen und Möglichkeiten schmücken-
der Durchgestaltung aufweisen (wiederum mit sub-
stanzhaften Mitteln, die Naturalismen usw. fernhalten).
Reimt sich, was solchermaßen erziehlich vorbereitet
wird, mit den Gestaltneigungen und dem Vermögen
der Schüler?
Alle Einwirkungen bestehen — bewußt oder nicht —
aus Begünstigungen und Verhinderungen. Und zwar
kraft des Urteilsvermögens, über das der Lehrer ver-
fügt. Jeder Gang des Lehrers durch die Tischreihen —
während die Klasse an der Arbeit ist — bezeugt das.
Hier Kopfnicken, leise oder laute Zustimmung, die
Nuance im Vorbeigehen, die dem Schüler fühlbar
macht: in Ordnung. Dort Kopfschütteln, Verhalten, Ein-
greifen in allen Phasen, fragend, hinweisend, Sehend-
machen dieses oder jenes Mangels, die Nuancen der
Güte, des Unwillens, des Tadels, die dem Schüler
fühlbar machen, daß sich der Lehrer diese Lösung
anders vorstellt.
Die Einwirkung kann sich von arbeitsunterrichtlicher
Haltung glatt entfernen, wenn förmlich diktiert wird:
das mußt du so machenl Das liegt besonders nahe
bei Arbeiten, die mehr werkmäßig-gegenständlich
liegen. Wobei die Arbeitsfolge nach erstens, zwei-
tens, drittens nur zu oft abdrosselt, was an Eigenbil-
dung. bereit ist. Es liegt aber auch nahe bei der Ein:
führung besonderer Mittel. Der Klasse wird eine
scheinbar neutrale „Technik" angeboten und unver-
sehens und stillschweigend eine bestimmte Form-
gebung, eine „Kunstform" mitgereicht. Wobei über-
sehen wird, daß vielleicht ganz andre Formen der
Verwirklichung mit dem betreffenden Mittel von den
Schülern gesucht, gewollt, gefunden und gekonnt
werden könnten.
Das Arbeiten mit Kartoffelstempeln ist ein ebenso
einfaches wie entschiedenes Mittel, um unangebrachte
Geschicklichkeiten im „Verzierungsentwerfen" zu ver-
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