Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

DOI Heft:
Heft 10 (Oktober 1931)
DOI Artikel:
Leberecht, Franz: Der Ausdrucks- und Stimmungsgehalt der Schrift
DOI Artikel:
Lange, Walter: Vom "Ribeleskopf"
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0272

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
die sie den durch weiche Biegungen ihres strengen
Wesens entkleideten Kleinbuchstaben und der schmieg-
ramen Gestalt einiger Großbuchstaben verdankt,
während andere zurückhaltend die ernstere Form be-
wahrt haben. Es sprechen aus ihr verhaltene Empfin-
dungen, die sich äußern wollen. Die Lieder Walters
von der Vogelweide und anderer Minnesänger wür-
den einen großen Teil ihrer Ursprünglichkeit, die die
Urschrift in der Heidelberger Liederhandschrift ihnen
verliehen hat, durch diese Schrift zurückerhalten; ge-
haltreiche Prosa gewinnt durch sie eine tiefere Ton-
färbung. Die gotischen Schriften „Sebaldus" und
„Straßburg", deren Bezeichnung mit Rücksicht auf den
historischen Nachhall, den sie hervorrufen sollen, ge-
wählt ist, sind durch ihre kräftige Formensprache für
werbende Drucke, aber auch für inhaltlich ernste
Werke geeignet.
Die gotische Schrift setzte sich in der Schwabacher,
in der Fraktur und in der deutschen Schreibschrift fort,
die auch in der Gegenwart ihre Geltung im deutschen
Volksleben behaupten. Die Schwabacher, einst die
Schrift der deutschen Renaissance und der deutschen
Reformation, ist auch heute noch eine Vermittlerin
kraftvollen Deutschtums, nachdrücklich wirkender Kund-
gebungen und herzhafter Poesien. Die Fraktur, eine
Schöpfung des Dürerkreises, verkündet seit vierhun-
dert Jahren deutsches Wesen: Festhalten an der Väter
Sitte durch die gotisch gebliebenen Gemeinen (Klein-
buchstaben), Beweglichkeit, Fortschritt und Reichtum
durch die führenden Großbuchstaben. In den Archiven
der staatlichen und städtischen Behörden ruhen jene
Urkunden, die in den einleitenden Zeilen durch präch-
tige Fraktur und reichgeschmückte Initialen die Amts-
würde ausdrückten und den Sachverhalt im folgenden
Text in deutscher Kanzleikurrent darstellten. Noch
heute werden Fraktur-Initialen herangezogen, um aus
Ehrenurkunden, Wertpapieren, Zeitungsköpfen u. a.
Feierlichkeit, Wert und Bedeutsamkeit sprechen zu

lassen. Im übrigen beherrscht die Fraktur fast unser
gesamtes Schrifttum in Schule und Verkehr, im Zei-
tungswesen und auf dem Gebiete der schönen und
wissenschaftlichen Literatur. Darum ist sie auch be-
fähigt, alles, was den Deutschen zur schriftlichen Dar-
stellung drängt, sinngemäß, geist- und gefühlvoll aus-
zudrücken. Ein stets fortwirkender Schaffenstrieb läßt
immer neue Frakturschriften entstehen und bereichert
die Urform durch persönliche, den Stimmungsgehalt
verstärkende Beeinflussung. Nur einige Schriften seien
zur Kennzeichnung dieser Tatsache hervorgehoben.
In ihren kleineren Graden und in ihrer beabsichtigten
Engführung läßt die zierliche „Werther"-Fraktur eine
Stimmung ahnen, wie sie die Werther-Dichtung durch-
zieht. Albert Windisch schwärmt von Prof. Kochs Frak-
turschrift „Frühling", daß sie „Licht und Sonnenschein
in ihren zarten Formen aufgefangen" habe. Auch das
helle, eigengestaltete „Schneidler-Deutsch" (Fraktur)
spiegelt eine frohe Lebensauffassung wieder. Eine
behagliche Wärme umschmeichelt die gefällige Tie-
mann-Fraktur. Aus der breit ausladenden deutschen
Reichsschrift von Pestner und aus den rundlichen
Großbuchstabenformen der Mainzer Fraktur sprechen
Neigung zur Beschaulichkeit und Gelassenheit. Die
Salzmann-Fraktur drückt durch die ausgeprägte, nach
vorn drängende Eigengestalt der Großbuchstaben
grüblerische Neigungen aus, während die von der
historischen Form sehr abweichende Kleukens-Fraktur
weltmännische Ausgeglichenheit zur Schau trägt. Die
Flinsch-Fraktur von Ansgar Schoppmeyer hält die Mittd
zwischen stilgerechter Strenge und freier Gestaltung;
der durchleuchtete Schriftsatz ist ein Abbild logischen
Denkens und klarer Sachlichkeit.
Der Ausdrucks- und Stimmungsgehalt der Hand-
schrift, besonders der persönlich ausgeprägten, kann
nur von Fall zu Fall geschildert und nur durch
die wissenschaftliche Graphologie richtig gedeutet
werden.

WALTER LANGE-GÖPPINGEN: VOM „ R I B E L E S K O Pf “

Ein „Ribeleskopf", das ist etwas schwäbisches. Da-
von sei hier einiges berichtet. — Wir zeichneten Rü-
ben. Zuerst suchten wir deren Formen ganz leicht auf
dem Papier, dann bestimmten wir mit klaren Linien
ihre Umrisse genau. Und wir stellten sie so dar, daß
wir ihnen rechte Rillen und Ausbauchungen gaben.
Dadurch wurden sie charakteristisch. Solche Rüben
haben auch Augen, Nasen und sogar Haare. Man
kann Gesichter in ihnen sehen. Einige Rillen geben
Stirnfalten, andere bilden den Mund. Auf mancherlei
Dinge kamen wir so. Denn es galt uns der Grund-
satz: Je natürlicher die Rübe, desto wahrer der Kopf.
Zwei zeichneten wir nebeneinander und setzten dar-
unter den alten Vers:
„Die Rüben, die Rüben,
Die haben mich vertrieben.
Hätt' meine Mutter Fleisch gekocht,
Wär' ich bei ihr geblieben."
Es war auch wirklich zum Angst haben! So mögen
in früheren Zeiten den Kindern die Rüben erschienen
sein; besonders in den Moorgegenden von Ober-
schwaben, wo mancher eigenwillige Schwabe seinen
Kopf bei der Bebauung unfruchtbaren Landes durch-
zusetzen versuchte. —
Unsere gezeichneten Rüben wurden oft ihren Ur-

hebern merkwürdig ähnlich; eben denen gaben wir
die Benennung: „Ribeleskopf". Was das ist, weiß man
längst aus der Geschichte vom Jaköble im Stuttgarter
Schwimmbad. Dem rief bekanntlich beim Baden sein
Vater zu: „Jaköble, hoscht de au scho donkt?" Und
erhält die Antwort: „Wa, Päppele?" Der Vater: „Ob
du dein Kopf scho unters Wasser nadonkt häbescht?"
Jaköble: „Wa, Päppele?" Der Vater: „Ob de dein
saudomme Ribeleskopf scho unters Wasser na-
donkt häbescht?" Jaköble: „Ja, Päppele!"


255
 
Annotationen