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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 11 (November 1931)
DOI Artikel:
Kellermann, Elisabeth: Unser Wandbehang
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Zur Philosophie der Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0301

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Schule gingen niemanden von uns mehr etwas an,
waren doch unsere Seelen unterwegs in Jahrhunder-
ten, Jahrtausenden, war doch eine Passionsmusik, ein
Meeresrauschen über uns hereingebrochen, wir wuß-
ten selber nicht wie. So etwas wie eine feierliche
Klarheit kam ungerufen bis in die Oberfläche un-
seres Vorhabens. Man fällte alle Entscheidungen, die
für die Bilder und die für ihre Künder und Stifter.
Die Bildfolge war (von links nach rechts) diese:
In der oberen Reihe: Stern — Verkündigung an Maria
— Christrose;
in der 2. Reihe: Verkündigung an die Hirten — Dornen-
krone — Herbergssuche;
in der 3. mittleren Reihe: Muschel — Christkind —
Schwert und Schild;
in der 4. Reihe: Wanderung der Könige — die be-
siegte Schlange — Anbetung der Hirten;
in der 5. letzten Reihe: ein brennendes Licht — Chri-
stophorus
und — als Auflösung und Ausklang: der Regen-
bogen!
Jedes Bild sollte mit braunen Kettenstichen auf
dem blauen Grund befestigt werden und von Bild zu
Bild eine kleine sammetbraune Brücke führen.
In der nächsten Zeit ging es nun an das äußere
Werk, das innere war gut aufgehoben. Im Zeichensaal
türmte sich ein „Reichtum" von bunten Lappen, von
„Plünnen", wie der Holsteiner sagt. Jegliche Art von
Stoff schien vorhanden, es galt geschickte Auswahl,
Ausnutzen der Stoffart für den einzelnen Zweck zu
treffen. Wo es gelang — und es gelang wunder-
barerweise allen mit schlafwandlerischer Sicherheit—,
kamen manchmal ergreifende Wirkungen zu Tage. So
in der Darstellung der Herbergssuche: die absolute
Finsternis gegeben durch einen Hintergrund von
schwarzem Samt, darin einfältig und eindringlich
Josephs behutsam vorgehaltene Laterne allein das
Wort hat. Dann die Muschel, das Sinnbild der Pilger-
schaft, auch hier glänzt auf grünsamtener Tiefe das
matte Seidenschimmern, ein Ergebnis mühseliger,
wohlgelungener Arbeit. Und das rote Kerzenlicht
brennt worauf? auf einem echten Stück deutschen
Soldatenrockesl „nur wer sich selbst verbrennt, wird
der Menschheit ewig wandernde Flamme". Man kann's
auch schlichter sagen als Morgenstern — denn es ist
ein altes, tiefes Bibelwort, eine Menschheitsforderung:
„Ihr seid das Licht der Welt." Wenn wir Kunsterzieher
den jungen Menschen Brücke sein durften zum Ver-
ständnis dieser sechs Worte, haben wir ihnen das
Letzte gesagt, was am Scheidewege zu sagen ist. Das
äußere Schicksal läßt sich nicht aufhalten, aber das
innere läßt sich „bilden", es gilt den Mut jedes Ein-
zelnen zu stählen für das ungeheure Unternehmen,
an dem wir alle verantwortlich beteiligt sind, — es
heißt Leben. Warum schilt man so eifrig und so blind
auf die Jugend? Ich schließe von 15 deutschen Mäd-
chen auf andere. Ist es nicht ein frommes, ein religiö-
ses Tun, wenn sie fähig sind zu solcher Hingabe und
Gemeinschaftsarbeit wie dieser? Verdorben? — ich
glaube es nicht, höchstens durch die Schulen, — —
denen es ab und zu schwer fallen soll, Käfigverwal-
tung und Heimstätte auseinanderzuhalten.


Während ich diese Zeilen schreibe, blühen im nahen
Walde die Osterblumen, die Anemonen, und neue,
weizenblond bezopfte Mägdelein zieren den Zeichen-
saal. Hinter den Oberprimanerinnen hat sich die Tür
mit dem großen Blumenkranz daran — die Zeichen-
saaltür — für immer geschlossen. Ein Abschiedsfest
in meiner Wohnung hat uns noch einmal unter dem
guten Schein und Schutz des Vorhangs beieinander
gesehen. Die Mädchen haben mir diese ihre letzte
Arbeit geschenkt, wenn ich selbst vielleicht wandere,
so bleibt der Segen dieser Arbeit hell und heimatlich
um mich, jede Weihnachtszeit wird er aufleuchten.
Daß auch die 15 jungen Geschöpfe zuweilen in Ge-
danken — und hoffentlich auch persönlich — heim-
kehren in den Frieden ihrer eignen Arbeit, glaube
ich zu wissen.
Manchmal steht irgendein Fremder oder Freund
vor dem Wandbehang (den ich, trotzdem es Frühling
ist, noch nicht dem dunklen Schrank gönne), dann
sieht man in ein stilles, blankes Gesicht.
„Die Sprache ist ein großer Überfluß."

Zur Philosophie der Romantik

Man beobachtet nicht sowohl die Dinge als viel-
mehr: man blickt in ihr Angesicht und fragt,
welcher Pulsschlag des Lebens, welcher heimliche Bau-
trieb, welche Evolution der Seele aus diesen Zügen
spricht. Man behandelt die Lehre vom Wachstum der
Pflanze, von den Kristallen, von den kosmischen Be-

wegungen in der Art einer Physiognomik des Univer-
sums. Seelenkunde hat in erster Linie Morphologie zu
sein, d. h. Formenlehre des seelischen „Gliedbaues".
Formen im eigentlichen Sinne sind äußere Formen. Die
psychologische Betrachtungsweise ist in der Tiefe
identisch mit der phsiognomischen.

Aus Ludwig Klages: Die Grundlagen der Charakterkunde (bei Ambrosius Barth, Leipzig).

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