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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 3 (März 1931)
DOI Artikel:
Müller, F.: Das Unbewusste
DOI Artikel:
Fehlhaber, Hans: Zum Thema: "Kunsterziehung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0076

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phischen Kamera, dann würden wir von einer dabei
stattfindenden Beteiligung des Unterbewußtseins nicht
sprechen. Nun nehmen wir aber erstlich mit dem gan-
zen Körper wahr und zum andern ist der Wahrneh-
mungsvorgang nicht passiv, sondern aktiv, indem un-
sere Seele das Organ, z. B. das Auge, führt und nur
dasjenige in sich aufnimmt, was ihr gemäß ist. Die
Apperzeption erfaßt darum immer nur das an den
Dingen, was dem übrigen Seeleninhalt entspricht und
läßt tausend andere Momente unbeachtet. Da aber
die Seelen verschieden sind, so wahrnehmen und
apperzlpieren wir alle anders, was sich u. a. auch in
den graphischen Äußerungen der Schüler beim Ab-
zeichnen zeigt. Dieses Wählen des Seelengemäßen
in der Apperzeption ist ein unbewußter Vorgang. Wir
vermögen uns darüber keine Rechenschaft zu geben.
Darum wird ein Künstler, den man vor seinem Gemälde
auf gewisse Unstimmigkeiten aufmerksam macht, ein-
fach immer nur antworten: ich sehe die Natur so. Und
das sagt er mit Recht.
Endlich ist auch die unterste Schicht des Unter-
bewußtseins, die wir das Urerbe des Menschen-
geschlechts nannten, beim bildmäßigen Schaffen be-
teiligt. Es war sehr lehrreich, was in diesen Blättern
vor einiger Zeit eine Dame berichtete, nämlich daß
sie die Zeichnung einer Flächenfüllung den Schülerin-

nen auf die Hände legt, als läge sie auf einer Wage,
um feststellen zu lassen, ob und nach welcher Seite
sie überwiegt. Das ist die ultima ratio; denn bei sol-
chem Verfahren spricht das im Unterbewußtsein wur-
zelnde Gefühl für Schwere und Gleichgewicht, in
diesem Falle für das Gleichgewicht graphisch dar-
gestellter Massen. Solcher Urgefühle gibt es im Unter-
bewußtsein mehrere, wie z. B. auch das Gefühl für
den Rhythmus. Da alles Leben im Weltall im großen
wie im kleinen rhythmisch verläuft, wird uns eine bild-
hafte Gestaltung nicht zusagen, die des Rhythmus ganz
ermangelt. Das ist das Problem der ästhetischen Wer-
tung, über das Müller-Freienfels so trefflich geschrie-
ben hat, der übrigens vor den meisten Kunstschrift-
stellern den erfreulichen Vorzug hat, schlicht und ver-
ständlich zu sein. Wollte jemand über das bildhafte
Gestalten Regeln oder Theorien aufstellen und dabei
diese Urgefühle außer acht lassen, so würde er ge-
rade das Wesentliche des Sachverhalts nicht erfassen.
So sehen wir das Unbewußte neben dem Bewußten
überall im Leben sich auswirken und auch im bild-
haften Gestalten der Schüler mitsprechen. Vieles bleibt
uns freilich über das Wesen des Unterbewußtseins
noch dunkel, doch müssen wir mit der Tatsache rech-
nen, daß bei all unserm Tun und Denken etwas mit-
spielt, das im Verborgenen wirkt, das Unbewußte.

H. FEHLHABER-HANAU:
ZUM THEMA: „KUNSTERZIEHUNG“
Mit dem Verstand kann man nur einen Teil der Welt
erfassen. Selbst der beste Verstand betrachtet und
bespricht die Dinge nur vom vernunftgemäßen Stand-
punkt. Erst die Schau führt dahinter.
Verständnislosigkeit der großen Masse aller Schich-
ten des Volkes der bildenden Kunst gegenüber, eine
stark materialistisch eingestellte Zeit, gewisse Zerris-
senheit in politischer und religiöser Hinsicht, die ver-
wirrende Vielheit der künstlerischen Erscheinungen in
den letzten Dezennien, das Fehlen eines klar erkenn-
baren Stiles sind wohl die wesentlichsten Gründe da-
für, daß heute mehr denn je über Kunsterziehung an
den allgemeinbildenden Schulen geredet und ge-
schrieben wird. Daß es auch heute noch unter den
Volkserziehern eine ganze Reihe gibt, die dem bild-
künstlerischen Schaffen verständnislos gegenüber-
stehen, beweisen uns die täglichen Erfahrungen, die
wir Zeichenlehrer machen können. Ta, ich selbst habe
verschiedentlich die Erfahrung machen müssen, daß
bewußt oder unbewußt von eigenen Kollegen meine
Wege, die ich mit meinen Schülerinnen gehe, durch-
kreuzt wurden. Daß sie nicht selbst, sondern die
Ausbildung in erster Linie hieran die Schuld trägt, ist
ja des öfteren ausgesprochen worden. Wir Zeichen-
lehrer können uns die größte Mühe geben, unsere
Schüler in Punkto Kunstverständnis auf den rechten
Weg zu führen; haben wir die Unterstützung seitens
der Klassenlehrer nicht, dann wird immer wieder vieles
zu nichte gemacht, was wir aufbauen. Der Klassen-
lehrer hat kraft seiner größeren Stundenzahl in der
Woche die Kinder viel mehr in der Hand und kann
einen weit stärkeren Einfluß ausüben als der Zeichen-
lehrer, der in der Woche 1K> Stunden in einer Klasse
unterrichtet.
Der allgemeine Standpunkt wird noch immer auf-
rechterhalten, daß ein gesunder Menschenverstand
genügt, um Kunst zu begreifen. Dem angehenden Leh-
rer aller Schulen muß das Material zum Erfassen künst-
lerischer Gestaltung mitgegeben werden. Bisher war
dies nur auf dem Gebiete der Musik und der Dicht-
kunst der Fall. Das Wissen von den künstlerischen

Erscheinungen der verschiedenen Zeiten erzeugt noch
lange kein Kunstverständnis. Es verleitet häufig zum
vorzeitigen Urteilen und Verurteilen von solcher Kunst-
äußerung, die nicht auf der gewohnten Linie liegt.
Auch der wissenschaftliche Lehrer hat reichlich Ge-
legenheit, im Deutschen, Geschichtsunterricht, Religion
usw. durch Zeigen von guten Abbildungen zum Ver-
ständnis der bildenden Kunst zu erziehen; aber hier muß
der Grundsatz gelten: „Nur das Beste ist für die her-
anwachsende Jugend gut genug. Auch der wissen-
schaftliche Lehrer muß fähig sein, die Bilder nicht nur
vom Standpunkt des illustrativ Erzählenden, als viel-
mehr vom Reinkünstlerischen aus zu wählen.
Wir Zeichenlehrer können das Ziel, welches wir ver-
folgen, nur mit Hilfe der übrigen Lehrkräfte erreichen.
Dies zu erkennen, ist unsere und die Pflicht un-
serer wissenschaftllichen Kollegen. Wir
haben alle an unsern allgemeinbildenden Schulen ein
Ziel; den Weg müssen wir gemeinsam, nicht getrennt
gehen, zum Nutzen unserer Jugend.
Daß wir Kunsterzieher bestrebt sind, soweit es in
unsern Kräften steht, unseren Schülern das Beste mit-
zugeben, beweisen die Anstrengungen allerorten.
Schaut man sich in unsern Fachkreisen um, dann
sieht man eine Mannigfaltigkeit der Art und Weise
des Weges, der begangen wird, und der zum Ziele
führen soll. Es zeugt dies entschieden für eine außer-
ordentliche Frische und Lebendigkeit unserer Sache
gegenüber. Ob diese oft im Gegensatz stehenden
Wege auf die Dauer haltbar sind, glaube ich nicht.
Ich bin der festen Überzeugung, daß wir alle uns ein-
mal auf einer bestimmten Linie treffen müssen. Das
Gemeinsame muß mehr betont werden als das Viel-
fältige. Innerhalb dieser Gemeinschaftslinie kann das
Individuelle des einzelnen Lehrers genügend Auswir-
kung haben.
Es handelt sich heute nicht um Erziehung zu vielerlei
auseinanderstrebenden Individualitäten, sondern um Er-
ziehung zum Ganzen, etwa wie es in der Gotik oder
anderer einheitlicher kultureller Zeiten gewesen ist.
Das was uns eint, muß stärker sein, als das, was uns

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