Nachschrift:
Der vorliegende Aufsatz ist jetzt gerade ein Jahr
alt. Seit der Zeit seiner Abfassung sind die Versuche
natürlich in mancher Weise weitergediehen. Vor allen
Dingen haben sie näher zu der Einsicht geführt, in
welchem Alter, d. h. auf welcher jungmenschlichen
Wachstumsstufe die rein bildnerischen Formkräfte a m
stärksten wirken wollen und können. Das ist von der
beginnenden Geschlechtsreife an. Doch davon später.
Unsere Kunst und Jugend-Blätter lassen sehr wohl
spüret,, wie die Fragen des bildnerischen, frei greif-
baren Gestaltens (in allerlei natürlichen Werkstoffen)
durch die Luft schwirren und zur Klarheit drängen.
Als sehr richtige Vorübung, zu den natürlichen Werk-
stoffen hinzutasten, erscheint für die Kinder unseres
technischen Zeitalters das Kreppapier und die sog.
Textilien oder Manufakturwaren. Welch anderes Ge-
fühl ist es aber, im Sand zu bauen, Erde und Ton zu
kneten, Holz zu schnitzen oder gar Metall zu bear-
beiten! Welcher Unterschied ist auch zwischen den
vielen käuflichen Sorten von unbestimmbar riechen-
dem Plastilin und dem duftenden Bienenwachs, wel-
ches auch in den hellen, durchsichtigen Farben Kinder-
träume viel eher verwirklicht, als die schmutzig-gefärb-
ten künstlichen Knetmassen. Wie oft werden Kinder
sichtbar sympathisch berührt beim Betasten schönen
Bastes, viel lieber (unbewußt) würden sie damit stik-
ken und wickeln und binden, als wie mit Zwirnsfaden,
bunten Wollresten oder Kreppapier, die ihnen da-
gegen „künstlich" vorkommen, obwohl tierische oder
Baumwolle und der Zellstoff doch auch Naturprodukte
sind. Die Kinder sehen eben zu selten in eine Fabrik
hinein, als daß sie komplizierte Verarbeitungsprozesse
verstünden, welche sonst trennend dazwischenstehen,
wenn nicht verständige Eltern oder Erzieher klar ein-
führen in die verschiedenen Erzeugnisse und deren
immer wieder andere (soll nicht heißen leichtere oder
schwerere) Verarbeitung in der formenden Hand. Mit
den Tuchen, feineren Stoffen oder gar Seide hat es
eine andere Bewandtnis, sie werden dadurch, daß sie
ständig auf dem Körper getragen werden, für das
Kind fast so zum Wesen gehörig, wie die Haut der
Schlange und das Fell des Tieres. Puppen und Tiere
aus solchen Stoffresten haben für Jugendliche eine
direkt organisch empfundene Plastizität, mit welcher
das Kind lebt, wie mit den sonderlichen Wurzeln und
Ästen des Waldes, aus denen so phantasievolle und
zart erfühlte Geschöpfe entstehen, wie wir sie selber
schon des öfteren in Kunst und Jugend sahen.
Nunmehr muß ich mich endlich aussprechen zu einer
Art Werkstoff, den ich im Verhältnis zu den natür-
lichen Werkstoffen (des Bildhauers) ebenso zu den
künstlichen Ersatzstoffen rechnen muß, wie die soge-
nannten „Knetmassen* für Kinder" im Vergleich mit
Bienenwachs, das sinnvoll als Modellierwachs zube-
teilet wurde. Es handelt sich um den Gips, den uns
E. Reupke-Frankfurt schon des öfteren als Guß- und
irgendwie umgewandelt als Knetstoff nahezubringen
versucht hat. Bitte nicht Übelnehmen: Aber es ist
schwer zu verstehen: wie Herr R. so zähe an diesem
so bleichsüchtigen Material kleben kannl Handelte es
sich wenigstens um Stuckarbeiten, wo das Leichtflüs-
sige des Gipsbreis zur Geltung kommen dürfte, wo
uns das rasche Erstarren der weichen Gebilde in Er-
staunen setzt, dies Festhalten eines Flüssigkeitszu-
stands. Aber sonst ist der Gips doch mit seiner
wertvollen Eigenschaft als Mittel des Abformens pla-
stischer Gestaltungen oder fabrikmäßig herzustellen-
der Formen so gut wie erledigt.
Betrachten wir uns nun die Abbildungen zu E. Reup-
kos werkpraktischen Aufsätzen. Beim „Formen und
' bcilj man natürlich, wenn die Gefahren dieser Knetkasten mit den
«honen Vorlagen erkannt sind, troljdem Plastilin als Ersatzstoff ver-
wenden kann, zeigen uns z. B. die beachtenswerten Ausführungen von
Ui Mutti, Bensheim, in Heft 8 (August 1929).
Gießen" handelte es sich in der Hauptsache um gut
zu gießende, also aus den geahnten Grundkörpern
heraus durch die Schüler in gedanklichem Prozeß grob
vereinfachte, kantige und runde Nutzformen. Das
mutet mich so an, wie die Aufforderungen in den
Geschäften mit den weihnachtlichen Dekorationen,
gemütvollem Lichterschein und der Aufforderung:
Schenkt praktisch!
Sodann die Abbildungen zu dem Aufsatz: Freigestal-
tendes Formen (in Heft 11 1930). Man sieht lauter
Dinge, krank von des Gedankens Blässe. Nette An-
sätze im kindertümlichen Sinn, aber überall dasselbe:
zu bewußt: man merkt die Absicht, und man ist ver-
stimmt. Ich möchte bestimmt E. Reupke nicht persön-
lich nahetreten, denn wir verdanken ihm viele an-
regende Aufsätze und seine offene Art, uns in seine
großen Bemühungen hineinschauen, an seinen Ergeb-
nissen teilnehmen zu lassen, sind des Dankes' wert.
Aber gerade deswegen, weil es um unsere gemein-
same Arbeit im Dienste der jungen Generation geht,
muß ich dies einmal auch ganz offen sagen dürfen.
Es wäre alles richtig und in bester Ordnung, wäre
E. Reupke Lehrer an einer Kunstgewerbeschule und
hätte junge Leute von 19 Jahren an. Da ist der be-
wußte Weg am Platze. Und das vorsichtige Natur-
studium auch, denn das Wort Dürers gilt nur für er-
wachsene Menschen: „Daraus wird der versammlet
heimlich Schatz des Herzen offenbar durch das Werk
und die neue Creatur, die Einer in seinem Herzen,
schöpft in der Gestalt eines Dings." Aber der heim-
liche Schatz der ganz jugendlichen Herzen ist anderer
Art, als daß man das an der Natur abgucken könnte.
Lesen wir bei Leo Frobenius (Kunst und Jugend, Heft 8,
1929, Seite 213 rechts oben): Es sind, um es deutlicher
zu sagen, Ausbrüche tiefinnerlicher Stimmung, die
dem Tun wie dem Gesang das Leben gaben. Usf.l Es
folgen unschätzbar schöne Worte. — Also die Natur
hat auch ganz andere als Stlmmungs- und Motivwerte,
denn diese sind längst nicht die Ursprünglichen. Die
Arbeiten unserer Schüler sollten strotzen von Frische
und Selbstvergessenheit. Alles andere, was sie hieran
hindert, gehört in den technischen Werkunterricht.
Dort gibt es nämlich ganz eigene und andere Erleb-
nissphären als beim bildhaften Gestalten. Dort wer-
den Werkzeuge ausprobiert, Geräte, Apparate und
Instrumente nach geheimnisvollen Gesetzen für die
„nüchterne Tatsachenwelt" extra gebaut und es ist
sicher recht und vorteilhaft in jeder Weise, auch das
Gipsgießen, das Herstellen kunstpraktischer Ersatz-
knetstoffe und ihre Anwendung zu erlernen. Ja, ich
erinnere mich noch gut des großen Eindrucks, den es
in der Kunstgewerbeschule auf mich machte, als ich
das erste Mal eine geglückte, glatte Gipsform be-
freien durfte aus all den klugen Schalen. Dieses ab-
wechslungsweise positiv und negativ Denkenmüssen
übt vor allem eine bestimmte Art der Vorstellung,
ähnlich wie das Aufzeichnen der Netze zur Herstel-
lung von Kristallkörpern, doch sollte daraus nie ein
Selbstzweck gemacht werden, denn die sinnvollen
Gesetze, die drin stecken, sind die Hauptsache. Sonst
bleibt für immer im Menschen die grausige Kluft zwi-
schen Erkenntnis und deren Verwirklichung, ein Pessi-
mismus, der oft in E. Reupkes Zeilen sitzt.
Ich habe es als Former in einem keramischen Be-
trieb selbst empfunden, wie wenig Gips ein ursprüng-
lich zu verwendender Werkstoff ist, wie gefährlich es
immer ist, ihm zu vertrauen. Es macht direkt innerlich
bröselig, nach längerem Umgang sogar gereizt, aber
immer bleibt ein Unbefriedigtsein, weil er ja nur
falsche Tatsachen getreulich vorspiegelt.
So hoffe ich, dem technischen Werkstoff Gips sein
eigenes und berechtigtes Interesse zugelenkt zu ha-
ben, um uns desto ungestörter der gemeinsamen Ar-
beit zuzuwenden, die vor uns liegt: Das bildnerische
Gestalten in unseren Schulen zu üben mit unmittelbar
81
Der vorliegende Aufsatz ist jetzt gerade ein Jahr
alt. Seit der Zeit seiner Abfassung sind die Versuche
natürlich in mancher Weise weitergediehen. Vor allen
Dingen haben sie näher zu der Einsicht geführt, in
welchem Alter, d. h. auf welcher jungmenschlichen
Wachstumsstufe die rein bildnerischen Formkräfte a m
stärksten wirken wollen und können. Das ist von der
beginnenden Geschlechtsreife an. Doch davon später.
Unsere Kunst und Jugend-Blätter lassen sehr wohl
spüret,, wie die Fragen des bildnerischen, frei greif-
baren Gestaltens (in allerlei natürlichen Werkstoffen)
durch die Luft schwirren und zur Klarheit drängen.
Als sehr richtige Vorübung, zu den natürlichen Werk-
stoffen hinzutasten, erscheint für die Kinder unseres
technischen Zeitalters das Kreppapier und die sog.
Textilien oder Manufakturwaren. Welch anderes Ge-
fühl ist es aber, im Sand zu bauen, Erde und Ton zu
kneten, Holz zu schnitzen oder gar Metall zu bear-
beiten! Welcher Unterschied ist auch zwischen den
vielen käuflichen Sorten von unbestimmbar riechen-
dem Plastilin und dem duftenden Bienenwachs, wel-
ches auch in den hellen, durchsichtigen Farben Kinder-
träume viel eher verwirklicht, als die schmutzig-gefärb-
ten künstlichen Knetmassen. Wie oft werden Kinder
sichtbar sympathisch berührt beim Betasten schönen
Bastes, viel lieber (unbewußt) würden sie damit stik-
ken und wickeln und binden, als wie mit Zwirnsfaden,
bunten Wollresten oder Kreppapier, die ihnen da-
gegen „künstlich" vorkommen, obwohl tierische oder
Baumwolle und der Zellstoff doch auch Naturprodukte
sind. Die Kinder sehen eben zu selten in eine Fabrik
hinein, als daß sie komplizierte Verarbeitungsprozesse
verstünden, welche sonst trennend dazwischenstehen,
wenn nicht verständige Eltern oder Erzieher klar ein-
führen in die verschiedenen Erzeugnisse und deren
immer wieder andere (soll nicht heißen leichtere oder
schwerere) Verarbeitung in der formenden Hand. Mit
den Tuchen, feineren Stoffen oder gar Seide hat es
eine andere Bewandtnis, sie werden dadurch, daß sie
ständig auf dem Körper getragen werden, für das
Kind fast so zum Wesen gehörig, wie die Haut der
Schlange und das Fell des Tieres. Puppen und Tiere
aus solchen Stoffresten haben für Jugendliche eine
direkt organisch empfundene Plastizität, mit welcher
das Kind lebt, wie mit den sonderlichen Wurzeln und
Ästen des Waldes, aus denen so phantasievolle und
zart erfühlte Geschöpfe entstehen, wie wir sie selber
schon des öfteren in Kunst und Jugend sahen.
Nunmehr muß ich mich endlich aussprechen zu einer
Art Werkstoff, den ich im Verhältnis zu den natür-
lichen Werkstoffen (des Bildhauers) ebenso zu den
künstlichen Ersatzstoffen rechnen muß, wie die soge-
nannten „Knetmassen* für Kinder" im Vergleich mit
Bienenwachs, das sinnvoll als Modellierwachs zube-
teilet wurde. Es handelt sich um den Gips, den uns
E. Reupke-Frankfurt schon des öfteren als Guß- und
irgendwie umgewandelt als Knetstoff nahezubringen
versucht hat. Bitte nicht Übelnehmen: Aber es ist
schwer zu verstehen: wie Herr R. so zähe an diesem
so bleichsüchtigen Material kleben kannl Handelte es
sich wenigstens um Stuckarbeiten, wo das Leichtflüs-
sige des Gipsbreis zur Geltung kommen dürfte, wo
uns das rasche Erstarren der weichen Gebilde in Er-
staunen setzt, dies Festhalten eines Flüssigkeitszu-
stands. Aber sonst ist der Gips doch mit seiner
wertvollen Eigenschaft als Mittel des Abformens pla-
stischer Gestaltungen oder fabrikmäßig herzustellen-
der Formen so gut wie erledigt.
Betrachten wir uns nun die Abbildungen zu E. Reup-
kos werkpraktischen Aufsätzen. Beim „Formen und
' bcilj man natürlich, wenn die Gefahren dieser Knetkasten mit den
«honen Vorlagen erkannt sind, troljdem Plastilin als Ersatzstoff ver-
wenden kann, zeigen uns z. B. die beachtenswerten Ausführungen von
Ui Mutti, Bensheim, in Heft 8 (August 1929).
Gießen" handelte es sich in der Hauptsache um gut
zu gießende, also aus den geahnten Grundkörpern
heraus durch die Schüler in gedanklichem Prozeß grob
vereinfachte, kantige und runde Nutzformen. Das
mutet mich so an, wie die Aufforderungen in den
Geschäften mit den weihnachtlichen Dekorationen,
gemütvollem Lichterschein und der Aufforderung:
Schenkt praktisch!
Sodann die Abbildungen zu dem Aufsatz: Freigestal-
tendes Formen (in Heft 11 1930). Man sieht lauter
Dinge, krank von des Gedankens Blässe. Nette An-
sätze im kindertümlichen Sinn, aber überall dasselbe:
zu bewußt: man merkt die Absicht, und man ist ver-
stimmt. Ich möchte bestimmt E. Reupke nicht persön-
lich nahetreten, denn wir verdanken ihm viele an-
regende Aufsätze und seine offene Art, uns in seine
großen Bemühungen hineinschauen, an seinen Ergeb-
nissen teilnehmen zu lassen, sind des Dankes' wert.
Aber gerade deswegen, weil es um unsere gemein-
same Arbeit im Dienste der jungen Generation geht,
muß ich dies einmal auch ganz offen sagen dürfen.
Es wäre alles richtig und in bester Ordnung, wäre
E. Reupke Lehrer an einer Kunstgewerbeschule und
hätte junge Leute von 19 Jahren an. Da ist der be-
wußte Weg am Platze. Und das vorsichtige Natur-
studium auch, denn das Wort Dürers gilt nur für er-
wachsene Menschen: „Daraus wird der versammlet
heimlich Schatz des Herzen offenbar durch das Werk
und die neue Creatur, die Einer in seinem Herzen,
schöpft in der Gestalt eines Dings." Aber der heim-
liche Schatz der ganz jugendlichen Herzen ist anderer
Art, als daß man das an der Natur abgucken könnte.
Lesen wir bei Leo Frobenius (Kunst und Jugend, Heft 8,
1929, Seite 213 rechts oben): Es sind, um es deutlicher
zu sagen, Ausbrüche tiefinnerlicher Stimmung, die
dem Tun wie dem Gesang das Leben gaben. Usf.l Es
folgen unschätzbar schöne Worte. — Also die Natur
hat auch ganz andere als Stlmmungs- und Motivwerte,
denn diese sind längst nicht die Ursprünglichen. Die
Arbeiten unserer Schüler sollten strotzen von Frische
und Selbstvergessenheit. Alles andere, was sie hieran
hindert, gehört in den technischen Werkunterricht.
Dort gibt es nämlich ganz eigene und andere Erleb-
nissphären als beim bildhaften Gestalten. Dort wer-
den Werkzeuge ausprobiert, Geräte, Apparate und
Instrumente nach geheimnisvollen Gesetzen für die
„nüchterne Tatsachenwelt" extra gebaut und es ist
sicher recht und vorteilhaft in jeder Weise, auch das
Gipsgießen, das Herstellen kunstpraktischer Ersatz-
knetstoffe und ihre Anwendung zu erlernen. Ja, ich
erinnere mich noch gut des großen Eindrucks, den es
in der Kunstgewerbeschule auf mich machte, als ich
das erste Mal eine geglückte, glatte Gipsform be-
freien durfte aus all den klugen Schalen. Dieses ab-
wechslungsweise positiv und negativ Denkenmüssen
übt vor allem eine bestimmte Art der Vorstellung,
ähnlich wie das Aufzeichnen der Netze zur Herstel-
lung von Kristallkörpern, doch sollte daraus nie ein
Selbstzweck gemacht werden, denn die sinnvollen
Gesetze, die drin stecken, sind die Hauptsache. Sonst
bleibt für immer im Menschen die grausige Kluft zwi-
schen Erkenntnis und deren Verwirklichung, ein Pessi-
mismus, der oft in E. Reupkes Zeilen sitzt.
Ich habe es als Former in einem keramischen Be-
trieb selbst empfunden, wie wenig Gips ein ursprüng-
lich zu verwendender Werkstoff ist, wie gefährlich es
immer ist, ihm zu vertrauen. Es macht direkt innerlich
bröselig, nach längerem Umgang sogar gereizt, aber
immer bleibt ein Unbefriedigtsein, weil er ja nur
falsche Tatsachen getreulich vorspiegelt.
So hoffe ich, dem technischen Werkstoff Gips sein
eigenes und berechtigtes Interesse zugelenkt zu ha-
ben, um uns desto ungestörter der gemeinsamen Ar-
beit zuzuwenden, die vor uns liegt: Das bildnerische
Gestalten in unseren Schulen zu üben mit unmittelbar
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