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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 3 (März 1931)
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Stoewer, Wilhelm: Das bildnerische Gestalten mit brennbarem Ton: einfache Beobachtungen und praktische Erfahrungen aus dem Unterricht an höheren Schulen mit großen Klassen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0084

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spannt in den Raum zu stellen, vorausgesetzt, daß
sich das Gefühl für architektonische Statik vorher
geklärt hat.
Wir sehen, was für einfache Erkenntnisse es sind,
die schließlich einmal mit der gummiartig verhärteten
Ansicht der unkünstlerischsten aller Zeiten über die
schöne „Bildhauerkunst" aufräumen können. Um das
noch genauer zu erklären, soll folgendes Beispiel
beigezogen werden:
Eine indische Buddha-Sitzplastik (etwa aus dem
5. Jahrhundert). Den meisten fällt zuerst ein ausge-
sprochener Linearcharakter auf, trotz der räumlichen,
runden Gestaltung des Ganzen. Aber eben zwischen
dem Linearen (teils Umrißsilhouette, teils lineare
Grenzbetonungen einzelner Teile oder Kompositions-
linien z. B. an dem dünnen Gewand) wölbt sich in
plastischer, räumlicher Spannung überall eine gewisse
Ausdehnungsgleichförmigkeit, die eigentlich erst die
Figur bildet, die aber auch unmerkllch in die zarteste
Ausdehnungsveränderlichkeit übergeht. Solche Bud-
dhas zeigen uns auch ganz klar, wie z. B. ein „ana-
tomischer Aufbau" mit Kunst nichts direkt zu tun hat
und wie künstlerische Bewegung etwas anderes ist als
Bewegung im physikalischen oder turnerischen Sinn.
Um den Begriff der Ausdehnungsveränderlichkeit
näher zu beleuchten, kann man vielleicht folgenden
Vergleich ziehen: Eine Kugel ist, vom Mittelpunkt aus
gesehen, ausdehnungsgleichförmig. (Vgl. damit die
gleichartige Ausdehnung eines runden Farbflecks in
der Fläche.) Eine Eiform ist aber ausdehnungsver-
änderlich. (Mechanisch gesprochen.) Je bewegter eine
Plastik auf ihrer plastischen Oberfläche (Haut) ist,
desto ausdehnungsveränderlicher (im Sinne einer ganz
neuen Denkstufe) ist sie. Hier fallen mir viele meiner
Schülerarbeiten ein, die noch voller Spuren kneten-
der Eingriffe sind auf der ganzen Oberfläche. In die-
sem Fall handelt es sich um Unklarheiten; solche ge-
dehnte Beulen und Dallen sind Zeugnis vom inneren
Zustand junger Menschen, die eigentlich auf irgend
einer recht frühen Stufe stehen, aber doch schon auf
realistische Art und Weise im Sinn einer hohen Stufe
ausdehnungsveränderlich gestalten möchten. Dann
wird es eben gar nichts und bleibt krampfhaft ge-
richtetes und ausgedehntes Machwerk. Uber solche
Konflikte hilft manchmal eine starke Phantasie hinweg,
die den weichen Ton benützt, weiche und biegsame,
quallenförmige Gebilde zu schaffen, die irgendwie
an gesuchten und gewollten Formen herumtasten und
sie nur verschleiert zeigen oder andeuten. Wie an-
ders sind dagegen Arbeiten unbefangener Erstklässer,
die den feuchten Ton eben noch nicht bewältigen,
den länglichrunden Leib ihres Tieres andächtig „ge-
wölbt" streicheln, um trotz des Drecks zu ihrer vor-
handenen, klar gewollten und natürlich gespannten
Form zu gelangen. Die räumliche Spannung ist z. B.
bei einer Seifenblase zu erleben. Geht sie nicht gleich
vom Strohhalm los, zerrt die Kraft des Windes an der
sonst runden Blase, so wird sie ausdehnungsveränder-
lich, länglich, tropfenförmig oder bekommt sogar selt-
same Zerrformen im Spiel des Willens der wehenden
Luft gegen die in der Blase eingesperrte Druckluft.*
Wie erlebt man dann bei der freischwebenden Blase
wieder die reine Kugelform als gleichförmig (I) aus-
dehnungsfähig.
Doch zurück in den „Zeichensaai". Die einfachste
und schönste Aufgabe in brennbarem Ton war, die
Schüler (1. und .2. Klasse) Kugeln formen zu lassen.
Diese Kugeln (bis zu 4 cm Durchmesser) sollten an-
einandergereiht eine Prunkkette für einen Negerfür-
’ Dieses Beispiel erklär! den Begriff „ausdehnungsveränderlich" rein
mechanisch, um die dynamischen Kräfte erleben zu lassen, die ja auch
im Menschen wirken. Diesen Begriff finden wir am höchsten künsf-
lerisdr gestaltet in wirklichen „Reliefs" der italienischen Renaissance,
z. B. bei Donalello. Und wie seltsam plastisch wirkt dies Geheimnis
auf unser Auge I Vergleiche damif^die^Ausdehnungsveränderlichkeil
der Linie ?. B. in den Malereien Michelangelo's.

sten geben. Deshalb wurden die Kugeln durchlocht
(das waren dann zwei Pole) und hernach ornamen-
talisch verziert mit Hilfe kantiger Holzstäbchen von
allerlei Form. Das waren auch die ersten Ergebnisse,
die wir im Töpferofen brennen ließen, nebst den ver-
zierten Aschenschalen und einigen wenigen, möglichst
geschlossen modellierten Gestaltungen. Absichtlich
ließ ich auch zerbrechlich modellierte Dinge mit dün-
nen abstehenden Teilen zur Töpferei transportieren;
sie zerbrachen natürlich bei den Erschütterungen und
so zeigte ich sie den Schülern wieder, damit sie ver-
suchen sollten, bei „brauchbaren" Stücken solches
dem Werkstoff zulieb zu vermeiden. — Damit war
eine sommerliche Periode des bildnerischen Gestal-
tens in brennbarem Ton innerhalb des regelmäßigen
Zeichenunterrichts erschöpft, wir hatten in jeder Klasse
etwa einen Zentner Ton gebraucht. Hernach konnte
ich beobachten, wie die Schüler wieder mit ganz neu-
geschärften Sinnen zu zeichnen und zu malen be-
gannen.
Zum Schluß noch ein paar andeutende Worte über
die Durchführung dieser schmutzigen Angelegenheit
im Zeichensaal: Aufbewahrt wurde der feuchte Ton
in großen tönernen Sauerkrautständern, darüber ein
nasser Sack und ein Holzdeckel. Die Tische wurden
mit Pack- und Zeitungspapier belegt, das die Schüler
mitbrachten. Die meisten zogen den Kittel aus unrji
einen Schurz an. Dann gings los. Im Gänsemarsch
zogen sie an mir vorbei, jeder ein altes Zeichenbrett
(Zeichenrahmen mit Pappdeckel) oder ein Stück sog.
Preßspan (etwa 30 X 40 cm) vor sich hinhaltend. Dar-
auf bekamen sie ihren Tonkloß. Die Rationen waren
meistens vorher von 4 Schülern hergerichtet worden,
so lange ich die Aufgabe erklärte. Vor dem Anfassen
des Tons mußten die Finger mit Wasser feucht gerie-
ben werden, damit der Ton nicht so rasch mürbe
wurde und bröselig. Modelliert wurde auf dem Pack-
papier, erst wenn das Werk gedieh, wurde es auf die
Pappeunterlagen gestellt, damit es ohne viel Anfin-
gern aufgehoben und weggetragen werden konnte.
Zum Schluß der Stunde sammelte ich die fertigen Ar-
beiten auf einem Brett, das wanderte auf ein Gestell
im Modellzimmer, wo sich hunderte von kleinen Wer-
ken zur eingehenderen Betrachtung versammelten. Die
Tonreste wurden vom Außensitzenden in jeder Tisch-
reiheeingesammelt, geschieden in trocken und feucht;
der feuchte Ton kam wieder in das Tonfaß. Die Papp-
deckel wurden mit dem selbstgefertigten Modellier-
hölzchen (in Messerform) abgekratzt, die Krumen von
einem Deckel auf den anderen des Nachbars entleert
und so weiter, bis der letzte das Zeug in die Tonne
warf. Ebenso ging es mit Packpapier und Zeitungen.
Was noch brauchbar war, wurde rasch zusammen-
gelegt und aufgestapelt. Etwas umständlich war je-
weils das Händewaschen am fließenden Wasser und
es gab immer eine kleine Planscherei, trotzdem sie
im Gänsemarsch anzogen, wie sie mit dem Aufräumen,
je nach dem anvertrauten Amt, fertig geworden wa-
ren. Mit einem großen Schwamm geht der Ton sehr
schnell von den Fingern, abgetrocknet wurden die
Hände am Schurz. — Die Namen der Schüler ließ ich
entweder unten „am Boden" in den weichen Ton
kratzen oder auf ein Stück Papier schreiben, auf dem
das kleine Werkstück stand. Dieses Stück Papier ver-
hindert auch das Festkleben an der Unterlagel Von
Zeit zu Zeit ließ ich trockenen Ton wieder mit Holz-
klötzen zerstampfen, das Tonmehl auf dem Zement-
boden im Keller mit Wasser wieder anmischen, sofort
durchkneten und in Form von großen Klößen an die
Luft legen. Am andern Tag war er wieder zu gebrau-
chen. Diese Arbeit besorgten meist meine Arrestan-
ten, unterstützt von Freiwilligen, die das lernen woll-
ten, um zu Hause mit eigenem Ton desgleichen zu tun.
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