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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

DOI issue:
Heft 4 (April 1931)
DOI article:
Binal, Karl: Sachzeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0121

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rell-vaterländisch-wirtschaftliche, die an uns die drin-
gende Forderung stellen, im Kunstunterricht den ge-
staltenden seelischen Ausdruck zu pflegen, der, wie
ich gezeigt habe, auch im Sachzeichnen zur Grund-
lage gemacht werden muß.
Wenn diese große, für die heranwachsende Jugend
und den Wiederaufbau des Vaterlandes, so wichtige
erzieherische Idee sich immer noch nicht ganz durch-
setzen kann, so liegt es neben anderem auch daran,
weil maßgebende, nicht im praktischen Lehrberuf ste-
llende Personen, wie z. B. bei uns in Baden, ihr sehr
abhold sind. Wenn man über den Grund dazu nach-
forscht, so ist es hoffentlich nicht der, weil dieser
„gestaltende" Zeichen- und Kunstunterricht bei Unter-
richtsbesichtigungen nicht mehr in der hergebrachten
Weise „geprüft" werden kann.
Ein Vergleich mit dem auf optischem Sehen, geome-
trischen Begriffen und perspektivischen Regeln aufge-
bauten technischen Sachzeichnen, das man dort sogerne
durchführen möchte, ergibt, daß schon die Grundfor-
derung: „Darstellen eines genauen photographischen
Abbildes einer Sache" ein psychologisch absolut un-
mögliches Beginnen ist. Der Schüler zeichnet in die-
sem Fall genau das, was der Lehrer will (Kopisten-
arbeit statt Ausdruck der Persönlichkeit in der Frei-
heit), und nicht das in seinem Innern vorhandene Vor-
stellungsgebilde. Der Schüler lernt den Gang und die
Regeln auswendig, damit er diesen rein mechanischen
Apparat gedächtnismäßig in Bewegung setzen kann.
Wenn das zeichnerische Gebilde aus Kanten, Winkeln,
Parallelen und deren durch Behelfsmittel festgestell-
ten Größenverhältnisse „zusammengesetzt" wird, so
ist das bestenfalls „Geometrie".

Es entstehen Figuren, in hartem Kampf dern Schüler
abgerungene Gebilde, die mit Kunst, Kunsterziehung
oder Erziehung zur selbstschöpferischen Persönlich-
keit nichts zu tun haben; denn sie sind subjektiv un-
wahr; es sind mechanisch aufgezwungene Formgebilde,
die Ähnlichkeit haben mit den seelenlosen geome-
trischen Figuren, wie sie in den Köpfen von Mathe-
matikern entspringen. Dieses von Zeichenlehrer-Mathe-
matikern ausgeklügelte System kennt keine mit Seele
und Gemüt schöpferisch begabte Menschen, sondern
nur solche mit toten Mechanismen rechnende Gehirne.
Diese zum „Dogma" erhobene „Methode" ist keine
Erziehung, sondern technische Abrichtung. Wo bleibt
da die kunstpsychologische Grundforderung?: „Vom
Kinde aus?" Wo bleibt da die Lehrerpersönlichkeit?
Diese beiden wichtigsten Exponenten sind vollkom-
men ausgeschaltet; sie verleugnen heißt aber, den
Kunsterziehungszweck nicht erkennen und die Unter-
richtsmittel nicht ausnützen. Auch eine durch ein Men-
schenalter hindurchreichende Erfahrung, die nach dem
Entwicklungsgesetz der Kunst „historisch" geworden
ist, kann und darf sich nicht über diese Tatsachen hin-
wegsetzen, wenn sie der Sache, der sie doch zu
dienen gewillt ist, nicht schweren Schaden zufügen
will.
Als Hauptgrund zu einer derartigen Behandlung des
Sachzeichnens wird das „Sehenlernen" angegeben.
Dazu ist zu sagen, daß optisches Sehen ein rein phy-
sikalischer Vorgang ist und daß das auf der Netzhaut
entstandene optische Bild ja gar nicht wiedergegeben
werden kann (das kann nur der Photographenapparat),
weil es noch gar nicht im Bewußtsein ist. Eine Ver-
besserung der mehr oder weniger guten Sehwerk-

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