bleibt, trotz naturgetreuer Meisterwerke bildender
Kunst ein sachliches, eine von optischen Vorgängen
ausgehende Gedächtnisleistung. Es geht vom Äußeren
aus und gelangt, in Beziehung zum ganzen
Menschen, zum Äußeren.
Wichtig ist noch, daß das Abzeichnen, das natur-
richtige Zeichnen erlernt werden muß, von seiner
ganz ursprünglichen Natur aus kommt der Schüler zu-
nächst nicht dazu. Es ist ein Verlangen, dem man mit
Belehrung weit entgegenkommen muß, damit es über-
haupt zu dem begehrten Inhalt gelangen kann.
Damit wären die Grenzen des Naturrichtig-zeichnen-
wollens recht eng gezogen, wenn man darunter nur
das Abzeichnen oder Nachbilden, das Nachahmerische
verstehen dürfte.
In ihm liegt ein viel beachtenswerterer Kern, als nur
der der Nachahmung eines Gegenstandes oder des
Vorbilds eines Erwachsenen.
Die Tatsache, daß ein Blindgeborener keine formalen
Vorstellungen entwickeln kann, d. h. die Einbildungs-
kraft allein keine neuen Farben und Formen gestalten
kann (und daß, wo bildhafte Vorstellungen durch
Blinde gebildet und gestaltet werden, dies durch den
optischen Ersatz, die Tastempfindung geschieht) be-
weist, daß auch das Kind auf „Wahrnehmungen" an-
gewiesen ist. („Die Phantasiegestaltungen entstam-
men den Elementen der Wahrnehmung", Ackermann.)
Darauf wäre das Gestalten auf Grund der Wahrneh-
mung berechtigt (die nach kantischer Begriffssetzung
ein Akt des Bewußtseins ist). Trotzdem führt das
Gestalten auf Grund bewußter Wahrnehmung nicht
zum Erfolg, nicht zum Gestalten. Warum nicht? Das
Wahrnehmen des Kindes ist etwas anderes, als das
des sachlich eingestellten Erwachsenen. Wir müssen
zu einer Revision des Begriffs „Wahrnehmung" In be-
zug auf das Kind kommen und an seine Stelle das
Schauen setzen (das Prof. Kolb in „Kunst und Ju-
gend" 1929 Nr. 11 S. 299 eingeführt hat). Das körper-
liche Auge des Kindes sieht die Gegenstände, wie
sie von unseren Augen wahrgenommen werden.
Sein seelischer Eindruck (bei Erwachsenen schon unter-
einander oft verschieden) ist indes ein anderer, ja
ein reicherer. Dies geht aus kindlichen, sprachlichen
wie bildhaften Äußerungen beweiskräftig hervor.
Ein gutmütiger, etwas ungepflegter, alter Mann er-
weckt beim Kind Furcht oder manchmal auch mehr
Zuneigung, als wir sie ihm gewähren würden. Wie
prägt sich nun dieser Unterschied zur Wahrnehmung
des Erwachsenen im Gestaltungsvorgang aus? Bei der
Beantwortung sollen hauptsächlich die seelischen
Vorgänge, nicht die Gestaltungsbestände erwogen
werden.
Eine Abzeichnung zeigt meist einen klebenden,
haarähnlichen stückweisen Strich, da die ihr zu-
grunde liegende Beobachtung auf Grund einer intel-
lektuellen Logik der Erscheinung nachgeht, sie zer-
gliedert. Sie löst die Gesamterscheinung auf in
Einzelheiten und geht dann langsam zum Ganzen als
Begriff, als Summe von Einzelfunktionen des nun
erkannten Gegenstands. Diese Form von summier-
ten Funktionen ist nicht rein bildhafter Natur, da die
Funktionen selbst nicht bildhaft sind, als bildhafte auch
nicht erkannt wurden. (Abb. links.)
Ein Bild aus der Vorstellung zeigt eine mehr durch-
gehende Linie. (Abb. rechts.) Diese Blume ist zwei-
fellos „schöner" geworden, obwohl sie vor der ab-
gezeichneten Blume (links) entstanden ist. Warum?
Weil die Blume aus der Vorstellung gestaltet wurde.
Warum ist nun die Blume in der Vorstellung so gear-
tet, daß sie das Kind befähigte, eine Blume von schö-
nerer Gestalt zu zeichnen, sie zu gestalten? Weil diese
Blume die Schönheit, ihr einheitliches Gesamtbild,
ihre Harmonie, ihre harmonisch-rhythmische We-
senheit enthält, die nun aus der Vorstellung unmittel-
bar In die gestaltende Hand des Kindes fließen konnte.
Daher der Fluß der Linie, die rhythmische Entfaltung
der vergrößerten, für die Blüte wesentlichen Krone
des Gebildes.
Nun bekam die Schülerin die Blume in Wirklichkeit
zu sehen, mit der Bedingung, sie ganz genau abzu-
zeichnen (Abb. links). Es entstand eine kümmerliche,
fast verwelkte (obwohl das Vorbild frisch war), rich-
tige Blume. Beide Ergebnisse gehen von der Natur
aus. Das eine wurde durch Beobachtung erzielt, das
andere entstand durch das Schauen, dem die Ver-
innerlichung, dann die Er-innerung und die Gestaltung
folgte.
Das natürliche Werden bildhafter Gestal-
tungen vollzieht sich durch allmähliche Ver-
feinerung des Gesamtzusammenhangs (der Erinnerung
an die Blume als Ganzes) mit Hilfe des Schauens.
Das naturrichtige Darstellen geschieht
durch bewußtes, zergliederndes Beobachten, Abschät-
zen und Vergleichen in bezug auf den jetzt erst wer-
denden Gesamtzusammenhang als Abbild der Wirk-
lichkeit.
In dieser Fassung können wohl die Unterschiede
deutlich werden, die zwischen beobachtender Zeich-
nung und schauender Gestaltung bestehen, obwohl
sie beide auf die Natur nicht verzichten können. Auf
der einen Seite intellektuelle Logik, die langsam zum
Abbild führt, auf der andern gestalterische Verfeine-
rung des Geschauten mit wachsendem Alter.
Mit dieser Deutung ist das Gestalterische jedoch
noch nicht erschöpfend erklärt, (soweit dies über-
haupt möglich Istl).
Bei der Frage nach dem Grund der „schöneren"
Gestalt der Blume aus der Vorstellung (Abb. rechts)
kam der Begriff des Rhythmus zur Geltung. Zur
Erklärung diene die Tatsache, daß die Abb. links (nach
Beobachtung), die weniger rhythmisch ist, nach der
rhythmisch ungleich harmonischeren Blume vor der
Natur entstanden ist. Warum ging der Rhythmus in
der zweiten Blume desselben Schülers verloren? — Der
auch für den Schüler die Qualität seiner ersten Zeich-
nung so bestimmte, daß er mit der zweiten unzufrie-
den warl Die Eigenart der ersten Zeichnung konnte
nicht durch zergliedernde Beobachtung gewonnen
werden. Die innerliche Zusammenschau
der Blume, in der ihr rhythmischer Charakter wirksam
wurde, ermöglichte die Verwirklichung des Rhythmus.
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Kunst ein sachliches, eine von optischen Vorgängen
ausgehende Gedächtnisleistung. Es geht vom Äußeren
aus und gelangt, in Beziehung zum ganzen
Menschen, zum Äußeren.
Wichtig ist noch, daß das Abzeichnen, das natur-
richtige Zeichnen erlernt werden muß, von seiner
ganz ursprünglichen Natur aus kommt der Schüler zu-
nächst nicht dazu. Es ist ein Verlangen, dem man mit
Belehrung weit entgegenkommen muß, damit es über-
haupt zu dem begehrten Inhalt gelangen kann.
Damit wären die Grenzen des Naturrichtig-zeichnen-
wollens recht eng gezogen, wenn man darunter nur
das Abzeichnen oder Nachbilden, das Nachahmerische
verstehen dürfte.
In ihm liegt ein viel beachtenswerterer Kern, als nur
der der Nachahmung eines Gegenstandes oder des
Vorbilds eines Erwachsenen.
Die Tatsache, daß ein Blindgeborener keine formalen
Vorstellungen entwickeln kann, d. h. die Einbildungs-
kraft allein keine neuen Farben und Formen gestalten
kann (und daß, wo bildhafte Vorstellungen durch
Blinde gebildet und gestaltet werden, dies durch den
optischen Ersatz, die Tastempfindung geschieht) be-
weist, daß auch das Kind auf „Wahrnehmungen" an-
gewiesen ist. („Die Phantasiegestaltungen entstam-
men den Elementen der Wahrnehmung", Ackermann.)
Darauf wäre das Gestalten auf Grund der Wahrneh-
mung berechtigt (die nach kantischer Begriffssetzung
ein Akt des Bewußtseins ist). Trotzdem führt das
Gestalten auf Grund bewußter Wahrnehmung nicht
zum Erfolg, nicht zum Gestalten. Warum nicht? Das
Wahrnehmen des Kindes ist etwas anderes, als das
des sachlich eingestellten Erwachsenen. Wir müssen
zu einer Revision des Begriffs „Wahrnehmung" In be-
zug auf das Kind kommen und an seine Stelle das
Schauen setzen (das Prof. Kolb in „Kunst und Ju-
gend" 1929 Nr. 11 S. 299 eingeführt hat). Das körper-
liche Auge des Kindes sieht die Gegenstände, wie
sie von unseren Augen wahrgenommen werden.
Sein seelischer Eindruck (bei Erwachsenen schon unter-
einander oft verschieden) ist indes ein anderer, ja
ein reicherer. Dies geht aus kindlichen, sprachlichen
wie bildhaften Äußerungen beweiskräftig hervor.
Ein gutmütiger, etwas ungepflegter, alter Mann er-
weckt beim Kind Furcht oder manchmal auch mehr
Zuneigung, als wir sie ihm gewähren würden. Wie
prägt sich nun dieser Unterschied zur Wahrnehmung
des Erwachsenen im Gestaltungsvorgang aus? Bei der
Beantwortung sollen hauptsächlich die seelischen
Vorgänge, nicht die Gestaltungsbestände erwogen
werden.
Eine Abzeichnung zeigt meist einen klebenden,
haarähnlichen stückweisen Strich, da die ihr zu-
grunde liegende Beobachtung auf Grund einer intel-
lektuellen Logik der Erscheinung nachgeht, sie zer-
gliedert. Sie löst die Gesamterscheinung auf in
Einzelheiten und geht dann langsam zum Ganzen als
Begriff, als Summe von Einzelfunktionen des nun
erkannten Gegenstands. Diese Form von summier-
ten Funktionen ist nicht rein bildhafter Natur, da die
Funktionen selbst nicht bildhaft sind, als bildhafte auch
nicht erkannt wurden. (Abb. links.)
Ein Bild aus der Vorstellung zeigt eine mehr durch-
gehende Linie. (Abb. rechts.) Diese Blume ist zwei-
fellos „schöner" geworden, obwohl sie vor der ab-
gezeichneten Blume (links) entstanden ist. Warum?
Weil die Blume aus der Vorstellung gestaltet wurde.
Warum ist nun die Blume in der Vorstellung so gear-
tet, daß sie das Kind befähigte, eine Blume von schö-
nerer Gestalt zu zeichnen, sie zu gestalten? Weil diese
Blume die Schönheit, ihr einheitliches Gesamtbild,
ihre Harmonie, ihre harmonisch-rhythmische We-
senheit enthält, die nun aus der Vorstellung unmittel-
bar In die gestaltende Hand des Kindes fließen konnte.
Daher der Fluß der Linie, die rhythmische Entfaltung
der vergrößerten, für die Blüte wesentlichen Krone
des Gebildes.
Nun bekam die Schülerin die Blume in Wirklichkeit
zu sehen, mit der Bedingung, sie ganz genau abzu-
zeichnen (Abb. links). Es entstand eine kümmerliche,
fast verwelkte (obwohl das Vorbild frisch war), rich-
tige Blume. Beide Ergebnisse gehen von der Natur
aus. Das eine wurde durch Beobachtung erzielt, das
andere entstand durch das Schauen, dem die Ver-
innerlichung, dann die Er-innerung und die Gestaltung
folgte.
Das natürliche Werden bildhafter Gestal-
tungen vollzieht sich durch allmähliche Ver-
feinerung des Gesamtzusammenhangs (der Erinnerung
an die Blume als Ganzes) mit Hilfe des Schauens.
Das naturrichtige Darstellen geschieht
durch bewußtes, zergliederndes Beobachten, Abschät-
zen und Vergleichen in bezug auf den jetzt erst wer-
denden Gesamtzusammenhang als Abbild der Wirk-
lichkeit.
In dieser Fassung können wohl die Unterschiede
deutlich werden, die zwischen beobachtender Zeich-
nung und schauender Gestaltung bestehen, obwohl
sie beide auf die Natur nicht verzichten können. Auf
der einen Seite intellektuelle Logik, die langsam zum
Abbild führt, auf der andern gestalterische Verfeine-
rung des Geschauten mit wachsendem Alter.
Mit dieser Deutung ist das Gestalterische jedoch
noch nicht erschöpfend erklärt, (soweit dies über-
haupt möglich Istl).
Bei der Frage nach dem Grund der „schöneren"
Gestalt der Blume aus der Vorstellung (Abb. rechts)
kam der Begriff des Rhythmus zur Geltung. Zur
Erklärung diene die Tatsache, daß die Abb. links (nach
Beobachtung), die weniger rhythmisch ist, nach der
rhythmisch ungleich harmonischeren Blume vor der
Natur entstanden ist. Warum ging der Rhythmus in
der zweiten Blume desselben Schülers verloren? — Der
auch für den Schüler die Qualität seiner ersten Zeich-
nung so bestimmte, daß er mit der zweiten unzufrie-
den warl Die Eigenart der ersten Zeichnung konnte
nicht durch zergliedernde Beobachtung gewonnen
werden. Die innerliche Zusammenschau
der Blume, in der ihr rhythmischer Charakter wirksam
wurde, ermöglichte die Verwirklichung des Rhythmus.
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