Handpuppen
ähnlich" nachzuahmen. Ihr Spiel weist einen Rhythmus
auf, der mehr an die zuckende Genauigkeit und den
hämmernden Gleichschlag der arbeitenden Maschine,
als an das weiche und niemals gleichbleibende Inein-
anderfließen der menschlichen Bewegungen erinnert.
Von diesem ihrem Rhythmus aus könnte die Frage
gelöst werden, warum die Marionette gerade in un-
serem technischen Zeitalter wieder so lebhaften Bei-
fall findet. Ist sie aber als Puppe nicht auf eine
höchst natürliche und liebenswürdige Weise das, was
Tairoff, Piscator und Schlemmer auf eine gewaltsame
und peinliche Weise aus dem menschlichen Schau-
spieler machen wollen? Ich kann mir diese für unsere
gesamte Kulturlage so bedeutungsvolle Nebenfrage
nicht verkneifen.
Im Vergleich zu der festgestopften und mit einer
geheimnisvollen Bewegungseinrichtung versenenen
Marionette sieht unsere Handpuppe, wie sie dort hin-
ter der Bühne leblos über einer Schnur hängt, amtlich,
plump, langweilig und schwindsüchtig aus. Das ein-
zige, was an ihre körperlich gesunde Beschaffenheit
gemahnt, sind lediglich die Füße mit den Unterschen-
keln und der allerdings mächtig gebaute Holzkopf.
Der Rest ist Stoff.
Kasper, der niederdeutsche Allerweltskerl, der bo-
denständig verwurzelte Kritiker eines heimatlos wer-
denden Geschlechts, der kraftstrotzende Gegner aller
dünnblütigen Kasperles, wird erst zum lebendigen
Wesen, wenn die Hand des ihm innig befreundeten
Spielers in ihn hineinfährt, sich mit ihren Fingern in
Rumpf und Arme verwandelt und ihn sodann unter-
nehmungslustig mit einem kühnen Schwung in das
grelle Rampenlicht auf die Spielleiste wirft. In dem
jetzt beginnenden Spiel vermag die Handpuppe nur
die Teile ihres Körpers zu bewegen, in denen sich
die menschliche Hand befindet. Das sind lediglich
der Rumpf, der Kopf und die Arme. Die Beine bau-
meln im allgemeinen zwar leblos herab, können aber
dennoch auf eine sehr witzige und sogar mannigfal-
tige Weise in das Spiel mit einbezogen werden.
Die Marionette kann alle Glieder ihres Körpers in
Bewegung setzen. Demnach wird der Hersteller der
Puppe seine Aufmerksamkeit auf die fesselnde Ge-
staltung der ganzen Figur lenken. Die Handpuppe ist
in ihren Bewegungsmöglichkeiten stärket eingeengt.
Umso mehr muß also der Bildhauer auf eine ausdrucks-
volle Gestaltung des Puppenkopfes Wert legen. Er
hat die Form dieses Kopfes besonders kräftig aufzu-
reißen, damit das einfallende Licht umso besser an
der Vortäuschung des Lebendigen milarbeiten kann.
Auszug aus einer Spielanweisung: Kasper öflnel
den Vorhang, schaut in kerzengerader Haltung in den
Saal, zuckt mit einem erstickten Ubeiraschungsruf zu
rück, knickt wie ein Taschenmesser sprachlos zusam
men, legt eine Hand über die Augen, um das grelle
Rampenlicht abzublenden, rappelt sich mühsam mit
den Naturlauten eines k. o. geschlagenen Boxers wie-
der auf und schüttelt seinen Schädel baß vor Staunen,
daß sämtliche Spitzen der Ixendorfer Intelligenz ver
sammelt sind. „Kinnings, aber Kinningsl'
Die eigentümlichen Werte in den sieben Bewegun-
gen dieses kleinen und fast wortlosen Spiels liegen
in der Unmittelbarkeit, womit die menschliche Hand
die mimische Absicht der Puppe ausfühlI, und in dei
Gleichzeitigkeit, womit die menschliche Stimme des
selben Spielers die Handlung begleitet Denn das
ist offensichtlich: in dem gleichen Augenblick, wo
die Hand des Spielers zurückfähiI, erfolgt auch das
Taumeln der Puppe und das Abreißen dei sprechen-
den Stimme. Der sichtbare und hörbare Spielablaul
decken sich vollkommen und zwangsläufig weil ihl
gemeinsamer Ursprung in dem von einem einheili
liehen Rhythmus erfüllten Körpers des gestaltenden
Spielers steckt.
Im Spiel der Marionette ist das wesentlich anders. Ein-
mal erfolgen ihre Bewegungen weniger plötzlich, weil
bei ihr die antreibende Kraft erst von oben dmeh die
Fäden an den Körper herangeführt werden muß. Zum
andern ist die Gleichzeitigkeit des sichtbaren und
hörbaren Spielablaufes immer gefährdet, weil Spieler
und Sprecher zwei verschiedene Leute sind. Kommt
hinzu, daß sich der bildhafte Stil keineswegs mit dem
Sprachstil deckt.
Hand und Puppe verwachsen zur Handpuppe Sie
vereinigen sich zu etwas völlig Neuem und Leben-
digen. Man braucht jetzt nur einen Schritt weiter zu
gehen, um den Menschen ohne einen ihn verdecken-
den Stoff auf die Bühne zu bringen. Ich habe selten
eine so unerhört packende Wirkung auf den Zuschauer
beobachtet, wie einmal in einer rot glühenden Szene
auf den Befehl eines Götzen hin der geweißte Arm
eines Spielers gespenstisch dem Boden entsprang,
sich unter Blitz und Donner wie ein polypenartiges
Ungeheuer auf Kasper stürzte und diesen schleimig
glatt umwand, bis die Pistole unseres wackeren Hel-
den den Raum durchpeitschte und den Spuk in einen
Abgrund bannte. Ich habe damals als verantwortlicher
Bühnenbildner gefordert, daß der ungefähr 60 cm hohe
Götze im Hintergrund, der als reliefartig geschnittene
Marionette von unten her mechanisch bewegt wurde,
durch den leibhaftigen, aber puppenhaft geschmink-
ten oder maskierten Kopf eines Spielers ausgedrückt
werden müsse, damit die Marionette als ein stilistisch
unmöglicher Fremdkörper aus der Aufführung ver-
schwände. Man erkannte die Richtigkeit dieses Vor-
schlages wohl an, konnte ihn aber mangels eines ge-
eigneten weiteren Spielers nicht durchführen. Jeden-
falls liegen hier ausgezeichnete, denkbare und auch
durchführbare Möglichkeiten vor, die der Marionette
versagt sind.
Wesentliche Zusammenfassung: die Anatomie der
Puppe deckt sich mit der der menschlichen Hand. Sicht-
bares und hörbares Spiel stimmen in ihrem Ablauf und in
ihrem Stil vollkommen überein. Die Linie ihrer Bewegun-
gen ist reich, flüssig und äußerst vielgestaltig. Die Kraft
ihrer Bewegungen ist unter Umständen von zerschmet-
ternder Wucht. Die Schnelligkeit ihrer Bewegungen
vermag sich bis zur Raserei zu steigern. Man bewun-
dert das Spiel der Marionette im räumlichen und see-
130
ähnlich" nachzuahmen. Ihr Spiel weist einen Rhythmus
auf, der mehr an die zuckende Genauigkeit und den
hämmernden Gleichschlag der arbeitenden Maschine,
als an das weiche und niemals gleichbleibende Inein-
anderfließen der menschlichen Bewegungen erinnert.
Von diesem ihrem Rhythmus aus könnte die Frage
gelöst werden, warum die Marionette gerade in un-
serem technischen Zeitalter wieder so lebhaften Bei-
fall findet. Ist sie aber als Puppe nicht auf eine
höchst natürliche und liebenswürdige Weise das, was
Tairoff, Piscator und Schlemmer auf eine gewaltsame
und peinliche Weise aus dem menschlichen Schau-
spieler machen wollen? Ich kann mir diese für unsere
gesamte Kulturlage so bedeutungsvolle Nebenfrage
nicht verkneifen.
Im Vergleich zu der festgestopften und mit einer
geheimnisvollen Bewegungseinrichtung versenenen
Marionette sieht unsere Handpuppe, wie sie dort hin-
ter der Bühne leblos über einer Schnur hängt, amtlich,
plump, langweilig und schwindsüchtig aus. Das ein-
zige, was an ihre körperlich gesunde Beschaffenheit
gemahnt, sind lediglich die Füße mit den Unterschen-
keln und der allerdings mächtig gebaute Holzkopf.
Der Rest ist Stoff.
Kasper, der niederdeutsche Allerweltskerl, der bo-
denständig verwurzelte Kritiker eines heimatlos wer-
denden Geschlechts, der kraftstrotzende Gegner aller
dünnblütigen Kasperles, wird erst zum lebendigen
Wesen, wenn die Hand des ihm innig befreundeten
Spielers in ihn hineinfährt, sich mit ihren Fingern in
Rumpf und Arme verwandelt und ihn sodann unter-
nehmungslustig mit einem kühnen Schwung in das
grelle Rampenlicht auf die Spielleiste wirft. In dem
jetzt beginnenden Spiel vermag die Handpuppe nur
die Teile ihres Körpers zu bewegen, in denen sich
die menschliche Hand befindet. Das sind lediglich
der Rumpf, der Kopf und die Arme. Die Beine bau-
meln im allgemeinen zwar leblos herab, können aber
dennoch auf eine sehr witzige und sogar mannigfal-
tige Weise in das Spiel mit einbezogen werden.
Die Marionette kann alle Glieder ihres Körpers in
Bewegung setzen. Demnach wird der Hersteller der
Puppe seine Aufmerksamkeit auf die fesselnde Ge-
staltung der ganzen Figur lenken. Die Handpuppe ist
in ihren Bewegungsmöglichkeiten stärket eingeengt.
Umso mehr muß also der Bildhauer auf eine ausdrucks-
volle Gestaltung des Puppenkopfes Wert legen. Er
hat die Form dieses Kopfes besonders kräftig aufzu-
reißen, damit das einfallende Licht umso besser an
der Vortäuschung des Lebendigen milarbeiten kann.
Auszug aus einer Spielanweisung: Kasper öflnel
den Vorhang, schaut in kerzengerader Haltung in den
Saal, zuckt mit einem erstickten Ubeiraschungsruf zu
rück, knickt wie ein Taschenmesser sprachlos zusam
men, legt eine Hand über die Augen, um das grelle
Rampenlicht abzublenden, rappelt sich mühsam mit
den Naturlauten eines k. o. geschlagenen Boxers wie-
der auf und schüttelt seinen Schädel baß vor Staunen,
daß sämtliche Spitzen der Ixendorfer Intelligenz ver
sammelt sind. „Kinnings, aber Kinningsl'
Die eigentümlichen Werte in den sieben Bewegun-
gen dieses kleinen und fast wortlosen Spiels liegen
in der Unmittelbarkeit, womit die menschliche Hand
die mimische Absicht der Puppe ausfühlI, und in dei
Gleichzeitigkeit, womit die menschliche Stimme des
selben Spielers die Handlung begleitet Denn das
ist offensichtlich: in dem gleichen Augenblick, wo
die Hand des Spielers zurückfähiI, erfolgt auch das
Taumeln der Puppe und das Abreißen dei sprechen-
den Stimme. Der sichtbare und hörbare Spielablaul
decken sich vollkommen und zwangsläufig weil ihl
gemeinsamer Ursprung in dem von einem einheili
liehen Rhythmus erfüllten Körpers des gestaltenden
Spielers steckt.
Im Spiel der Marionette ist das wesentlich anders. Ein-
mal erfolgen ihre Bewegungen weniger plötzlich, weil
bei ihr die antreibende Kraft erst von oben dmeh die
Fäden an den Körper herangeführt werden muß. Zum
andern ist die Gleichzeitigkeit des sichtbaren und
hörbaren Spielablaufes immer gefährdet, weil Spieler
und Sprecher zwei verschiedene Leute sind. Kommt
hinzu, daß sich der bildhafte Stil keineswegs mit dem
Sprachstil deckt.
Hand und Puppe verwachsen zur Handpuppe Sie
vereinigen sich zu etwas völlig Neuem und Leben-
digen. Man braucht jetzt nur einen Schritt weiter zu
gehen, um den Menschen ohne einen ihn verdecken-
den Stoff auf die Bühne zu bringen. Ich habe selten
eine so unerhört packende Wirkung auf den Zuschauer
beobachtet, wie einmal in einer rot glühenden Szene
auf den Befehl eines Götzen hin der geweißte Arm
eines Spielers gespenstisch dem Boden entsprang,
sich unter Blitz und Donner wie ein polypenartiges
Ungeheuer auf Kasper stürzte und diesen schleimig
glatt umwand, bis die Pistole unseres wackeren Hel-
den den Raum durchpeitschte und den Spuk in einen
Abgrund bannte. Ich habe damals als verantwortlicher
Bühnenbildner gefordert, daß der ungefähr 60 cm hohe
Götze im Hintergrund, der als reliefartig geschnittene
Marionette von unten her mechanisch bewegt wurde,
durch den leibhaftigen, aber puppenhaft geschmink-
ten oder maskierten Kopf eines Spielers ausgedrückt
werden müsse, damit die Marionette als ein stilistisch
unmöglicher Fremdkörper aus der Aufführung ver-
schwände. Man erkannte die Richtigkeit dieses Vor-
schlages wohl an, konnte ihn aber mangels eines ge-
eigneten weiteren Spielers nicht durchführen. Jeden-
falls liegen hier ausgezeichnete, denkbare und auch
durchführbare Möglichkeiten vor, die der Marionette
versagt sind.
Wesentliche Zusammenfassung: die Anatomie der
Puppe deckt sich mit der der menschlichen Hand. Sicht-
bares und hörbares Spiel stimmen in ihrem Ablauf und in
ihrem Stil vollkommen überein. Die Linie ihrer Bewegun-
gen ist reich, flüssig und äußerst vielgestaltig. Die Kraft
ihrer Bewegungen ist unter Umständen von zerschmet-
ternder Wucht. Die Schnelligkeit ihrer Bewegungen
vermag sich bis zur Raserei zu steigern. Man bewun-
dert das Spiel der Marionette im räumlichen und see-
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