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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Weismantel, Leo: Eine Rede vor der Festversammlung auf der Jahrestagung des Reichsverbandes deutscher Kunsterzieher in Breslau/ Pfingsten 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0005

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Pilanzensludien nach Nalur
Arbeiten von Schülerinnen des Lyzeums Itjehoe i.H.
(Oberzeichenlehrerin Elisabe'1 ’.ellermann)

ten 150 Jahre im deutschen Geistesleben erwachsen
ist, mir die Kunstübung selbst nicht fördernd, sondern
eher vernichtend erscheint insofern, als sie Unwesent-
liches für das Wesentliche hält, als sie vorgibt, daß
der, der weiß, daß der gotische Dom am Spitzbogen,
der romanische Bau am Rundbogen erkennbar sei,
des Glaubens wird, er wisse etwas über den Geist,
der den gotischen Dom, die romanische Kathedrale in
die Welt gebracht hat. So hat denn unsere Gelehr-
samkeit von der Kunst, so haben denn alle Professo-
ren, die über bildende Kunst dozieren, in der Addition
ihrer Gelehrsamkeit nicht die Kraft, auch nur ein ein-
ziges Bildwerk zu schaffen und so schafft alle Gelehr-
samkeit von den Kathedern der Literatur nicht ein ein-
ziges Gedicht, nicht ein einziges Bühnenwerk. Dies ist
das Erste und Notwendigste, was der Erzieher, der sich
Kunsterzieher nennt, wissen muß, damit er selbst nicht
den Einsatz seines Bemühens an einem falschen Punkte
macht. Er, der ein Erwecket der künstlerischen Kräfte
sein will in der Sprache, in der Musik, in der bilden-
den Kunst, muß jene Steilen aufsuchen, in denen er
der Kräfte habhaft wird, die die Kunst in die Well
bringen, er muß also aller falschen Gelehrsamkeit um
die Künste, der Gelehrsamkeit des eitlen Wahns ent-
sagen und nur jene Kunde, jene Berufskunde von den
Künsten sich zu eigen machen suchen, welche die Kunst
selbst ins Leben bringt. Denn neben jener Katheder-
wissenschaft, die von Staaten gezüchtet und bezahlt
wird, gibt es ein von der Öffentlichkeit nicht beach-
tetes, durch keine bezahlten Stellen verbreitetes, ein
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geheimes, „eingegossenes" Wissen, das in den Künst-
lern selbst umgeht, das das Volk der Künstler von
Geschlecht zu Geschlecht vererbt überall dort, wo
ein Lehrling vor der kunstwerkenden Hand des Gesel-
len, der Geselle vor der kunstwerkenden Hand des
Meisters in Erstaunen gerät, d. h. alles Wissen, das
Kunst fördert, ist nicht aus einer abstrakten, von außen
kommenden Schau die Kunstformen zu gewinnendes
kann nur von dem empfangen werden, der selbst
schöpferisch wirkt und er empfängt es nur aus dem
hohen Beispiel, das er in der Welt wirkend vor sich
sieht. Alles Irdische, das zugleich ein Geistiges ist,
ist auch zugleich ein Wachsendes, sei es Pflanze oder
Tier oder Mensch oder Kunstwerk. Die mittelalter-
liche Kunst kannte ein Bild, das wir die Wurzel Jesse
nennen. Aus einem Baum, der aus dem Herzen des
schlafenden Abraham aufschoß, teilten sich die Äste,
aus seinen Ästen brach ein Zweig, eine Blüte und aus
der Blüte die Frucht eines neuen Menschen und aus
dessen Herzen ein neuer Zweig und so immer fort.
Wir nennen solche Bilder Symbole, aber Symbole sind
Wahrheiten, keineswegs Allegorien. Die Menschen-
geschlechter wachsen in der Tat so, so wie dies Bild
es zeigt und so wachsen auch aus dem Geist der
Menschen, aus ihrem Herzen, aus ihrer Seele Worte
in die Welt und werden zu Gedichten, wachsen Bilder
in die Welt und werden zu Bildwerken, wachsen Dome
und Städte in die Welt und alles, was aus dieser
wachsenden Kraft kommt, nur das hat dies Ewige in
sich, das die Kunst bezeugt vor dem Machwerk, das
 
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