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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

DOI Heft:
Heft 1 (Januar 1931)
DOI Artikel:
Weismantel, Leo: Eine Rede vor der Festversammlung auf der Jahrestagung des Reichsverbandes deutscher Kunsterzieher in Breslau/ Pfingsten 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0006

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auch in die Welt kommen kann, aber nicht als etwas
Gewachsenes, sondern als etwas, was unschöpfe-
rischer Geist, der nicht das Ewige will, nicht die Wahr-
heit, sondern nur den Schein, den Bluff, in die Welt
hinein konstruiert. Denn das, was wir „Form" nennen,
ist einmal so gewachsen, wie ich es jetzt gesagt
habe und ist einmal von außen abguckbar und mach-
bar, dann hat es mit dem Leben der Ewigkeit nichts
zu tun. Ich kann ein Viereck machen und ein Viereck
kann geb -'n werden. Ich kann mit einem Zirkel einen
Kreis schl< en oder einen Kreis „machen" und ein
Kreis kann geboren werden. Geboren werden aber
kann ein Viereck, ein Dreieck, ein Kreis nur als Er-
zeugnis einer geistigen Erkenntnis. Nicht dort wird
ein Viereck geboren, wo ich weiß, wie ein Viereck
aussieht, so daß ich nur den Winkel zu nehmen brauche,
die Reißschiene, mit Bleistift und Zirkelmaß das Vier-
eck zu zeichnen, sondern nur dort wird das Viereck
geboren, wo ich der letzten Geheimnisse gewahr
werde, die die Alten schon mit diesem Viereck, mit
diesem Dreieck, mit diesem Kreis aussagten, weil nur
mit diesen Zeichen dies Ungeheuere aussagbar ist.
Nur die, die die Zeichen verstehen, werden wissen,
was ich meine und nur sie werden der Geheimnisse
wissend. Aber ich kann Ihnen allen an einem Beispiel
sagen, um was es geht. Ich zeige Ihnen hier meine
Hand, Sie sehen an meinem Finger einen Ring. Einen
solchen Ring kann man machen. Aber was der Ring
ist an meinem Finger als geistige in die Welt wirkende
Kraft, weiß keiner von Ihnen, obwohl Sie den Ring
sehen. Und so tragen Sie alle diese Geheimnisse
durch die Welt und nur diejenigen, die mit im Bunde
sind, werden, wenn sie dies Zeichen sehen, der Ge-
heimnisse wissend. So ist dio Kunst unter den Men-
schen ein Geheimbündnis. Denn dieses Zeichen, sei
es nun ein Zeichen im Ton, das wir Musik nennen,
seien es Zeichen auf einem Papier oder in einem
Körper, die wir bildende Kunst oder Architektur nen-
nen, werden kunstlebendig dadurch, daß die Zeichen
nicht allein dastehen, sondern daß jenes Ewige in
diese heiligen Zeichen wie in ein Gehäuse eingeht.
Der künstlerische Geist, der sich mit den kleinen Zei-

chen der Erde verbindet, schafft durch diese Verbindung
das Ewige im Fleische. Vor einiger Zeit beobachtete ich
ein Kind beim Spielen. Es war ein neunjähriger Knabe.
Sein Vater besaß hinter dem Haus ein Stück Feld, auf
dem im Vorjahr Weizen gewachsen war. Dieses Jahr
war nun eine andere Frucht auf dem Acker, aber von
irgendwelchen verstreuten Körnern vom letzten Jahre
her, war noch da und dort ein Büschel Weizen auf-
gegangen und hochgewachsen. Da sah ich, wie der
Knabe die Büschel Weizen aus der Erde riß. Unten
hing das Wurzelwerk mit einem Klumpen Erde und
der Knabe schwang nun diesen Klumpen Erde an den
Halmen und schleuderte ihn in die Luft, so daß nach
dem Schwergewicht dieser Klumpen Erde im Bogen
über das Feld flog und hinter sich her den Büschel
Halme zog. Als ich den Knaben frug: „was machst
du da?" da sagte er: ich spiele „Kometles". Diese
Kräfte, die wir hier im Kinde sehen, einen Klumpen Erde
und ein Bündel Strohhalme, die durch die Luft fliegen,
mit der gewaltigen Erscheinung eines Kometes gleich-
zusetzen, so daß ein Knabe mit diesen Klumpen Erde
„Kometles" spielen kann, dies ist die Kraft, die die
Kunst gebiert, indem sie Zeichen, die Einzelerschei-
nungen, die von außen gesehen nichts bedeuten, von
innen her mit einem großen Geheimnis erfüllt. Der
Gelehrte, der Wissenschaftler erfaßt die Form von
außen. Diese von außen, durch Wissen gefaßte Form
spielt im künstlerischen Akt, im schöpferischen Akt
gar keine Rolle. Wohl erscheint Im künstlerischen Akt
die Form wieder, so daß der Außengelehrte sagen
kann, da ist sie ja. Aber er irrt sich, denn nicht sie
ist es, sondern das, was durch sie sich offenbart.
Darum ist es irrig, als Erzieher irgendwelche Formen,
die in Kunstwerken beobachtet worden sind, durch
Wissen dem zu Erziehenden mitzuteilen und dann zu
glauben, dies sei Kunsterziehung. Dies ist erziehe-
rischer Kitsch, wissenschaftlicher Dilletantismus, denn
die Formen der Kunstwerke „werden" von einem an-
deren Ansatzpunkt des Lebens her. Mit jeder Form-
vermittlung durch Wissen treten wir dem schöpfe-
rischen Akt, der die Form gebiert, nicht helfend, son-
dern verhindernd entgegen und das so weit, daß

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