Zu dem Aufsatj:
Ein Jahr Arbeits-
gemeinschaft
„Bildende Kunst"
von
August Böhmer,
Essen
selbst unter Umständen, um aus einem bestimmten
Gebiet ein klares Beispiel zu geben, durch das Er-
lernen der Handhabung eines Musikinstrumentes, etwa
der Geige, die in dem Kinde allenfalls wirkende
musikschöpferische Kraft abgewürgt werden kann.
Denn die Geige ist ein Klangkörper, ein Instrument,
das selbst geboren worden ist aus musikalisch schöp-
ferischem Denken und das zugleich eine ganz be-
stimmte Musikkultur In sich gebunden trägt, die nur
in ihm sich offenbaren kann. Nun aber kann die schöp-
ferische Kraft, die in einem Kinde liegt, und für ihr
Wachstum die ihr gemäße Form verhüllt in sich trägt,
ganz anderswo liegen oder es kann der Jugendliche
in dem Augenblick, in dem er vom Erwachsenen die
Geige in die Hand gelegt erhält, noch nicht so weit
gewachsen, noch nicht soweit entfaltet sein, daß seine
eigene Kraft jener, die in der Geige verkörpert ist,
sich unbeschadet ergeben kann. Wer denn glaubt,
daß die schöpferischen Kräfte wie Gewächse in die
Welt kommen, muß das Wirken dieser Kräfte beob-
achten und erforschen, selbst auf die Gefahr hin, daß
die ihm aus solcher Erforschung zufließende Erkennt-
nis die ganze jetzige Übung unseres Lehr- und Lern-
betriebes in den künstlerischen Fächern als absurd
enthüllt. Denn Wahrheiten stehen vollkommen unab-
hängig in der Welt und nur der, der sich ihnen auf
Gedeih und Verderben anvertraut, wird zu retten sein.
Es ist also Kunst nicht von außen her erlernbar und
erziehbar, sondern nur von innen her entfaltbar. So
stehen wir vor der zweiten Frage dieses meines Vor-
trages, vor der Frage nach dem Genius im Kinde, im
Menschen.
2. Wir haben also darnach zu fragen, ob die Kraft,
die wir den „Genius im Kinde" nennen, nur et-
lichen Begnadeten geschenkt ist, dann sollten wir
jenen Begnadeten allein zu ihrer Vollendung verhel-
fen, aber für die allgemein bildenden Schulen die
Folgerung ziehen, daß wir jene Nichtbegnadeten nicht
zu Affen der Kunst dressieren, indem wir ihnen bei-
bringen, Handgriffe der Kunst zu machen, die sie nur
von außen abgucken, die aber von innen her von der
Natur, vom Schöpferwillen her dieser Allgemeinheit
versagt ist. Wir sollen den Menschen zum Ebenbild
Gottes und nicht zu einer Karikatur erziehen und zwei-
fellos ist das, was wir heute vielfach als Kunstgetriebe
ansehen, Affenwerk. Aber nie und nimmer, so will es
mir scheinen, kann jene Kraft, die jeden einzelnen
Menschen treibt zu singen, Verse zu schaffen, Bilder
zu schaffen, zu bauen und sich an solchen Gebilden
anderer zu erfreuen, ein in die Menschen von außen
hinein gezüchteter, nicht von der Natur gewollter Trieb
sein. Dieser Wille des Menschen zu dichten, zu bilden,
zu musizieren, dieser jedem von der Schöpfung her
angeborene Trieb bezeugt, daß der Genius in jedem
Kinde lebt. Nur dürfen wir diesen Genius selbst und
sein Vorhandensein nicht verwechseln mit dem, was
vielfach als Gemäche auf kunsterzieherischem Getriebe
umgeht und in Afterkunst von höheren Töchtern und
alten Tanten zusammengepinselt und zusammenge-
klimpert wird. Es kommt uns auf diesen Genius im
Kinde und in jedem Menschen zunächst und zuerst an
und es gilt nun zu suchen, wie dieser Genius, wie
diese schöpferische Kraft in die Welt hinein sich ver-
wirklichen kann in Dichtung, Musik, in bildender Kunst,
in Bauwerken. Da gilt es denn zunächst von einem
großen Irrtum uns zu befreien, der die künstlerische
Erziehung des letzten Jahrhundert tyrannisierte. Wir
müssen unseren Blick lösen von den großen Werken
der „Jahrhundert- und Jahrtausend-Menschen", der
zuletzt und unerhört Begnadeten, wenn wir vom „Ge-
nius im Kinde" sprechen. Es gibt auf Erden Gräslein,
winzig, kaum mit dem Auge sichtbar und es gibt Blu-
men von der Länge etlicher Hände und es gibt Ge-
wächse wie Menschen, auch groß wie Bäume, die
gewaltig und mächtig sich über den Menschen er-
heben; so auch ist es mit den Gebilden der Kunst.
In alle Menschen ist ein Kunstgebilde hineingelegt
und es gilt nun dieses Talent — dies Wort im bib-
lischen Sinne gesprochen — herauszuholen. Es gilt
das Samenkorn, das ich hier in den Fingern halte, in
dem ein Geheimnis eingeschlossen liegt, in Erde ein-
zulegen und so zu behüten, daß dieses Samenkorn zu
dem werden kann, was in ihm aufgezeichnet als Zu-
kunft liegt. Aber es gilt nicht das Wachstum dieses
Blumenkeimes hier zu reglementieren nach den Ge-
setzen jenes Wachstums, das aus einer Eiche kommt
Ein Jahr Arbeits-
gemeinschaft
„Bildende Kunst"
von
August Böhmer,
Essen
selbst unter Umständen, um aus einem bestimmten
Gebiet ein klares Beispiel zu geben, durch das Er-
lernen der Handhabung eines Musikinstrumentes, etwa
der Geige, die in dem Kinde allenfalls wirkende
musikschöpferische Kraft abgewürgt werden kann.
Denn die Geige ist ein Klangkörper, ein Instrument,
das selbst geboren worden ist aus musikalisch schöp-
ferischem Denken und das zugleich eine ganz be-
stimmte Musikkultur In sich gebunden trägt, die nur
in ihm sich offenbaren kann. Nun aber kann die schöp-
ferische Kraft, die in einem Kinde liegt, und für ihr
Wachstum die ihr gemäße Form verhüllt in sich trägt,
ganz anderswo liegen oder es kann der Jugendliche
in dem Augenblick, in dem er vom Erwachsenen die
Geige in die Hand gelegt erhält, noch nicht so weit
gewachsen, noch nicht soweit entfaltet sein, daß seine
eigene Kraft jener, die in der Geige verkörpert ist,
sich unbeschadet ergeben kann. Wer denn glaubt,
daß die schöpferischen Kräfte wie Gewächse in die
Welt kommen, muß das Wirken dieser Kräfte beob-
achten und erforschen, selbst auf die Gefahr hin, daß
die ihm aus solcher Erforschung zufließende Erkennt-
nis die ganze jetzige Übung unseres Lehr- und Lern-
betriebes in den künstlerischen Fächern als absurd
enthüllt. Denn Wahrheiten stehen vollkommen unab-
hängig in der Welt und nur der, der sich ihnen auf
Gedeih und Verderben anvertraut, wird zu retten sein.
Es ist also Kunst nicht von außen her erlernbar und
erziehbar, sondern nur von innen her entfaltbar. So
stehen wir vor der zweiten Frage dieses meines Vor-
trages, vor der Frage nach dem Genius im Kinde, im
Menschen.
2. Wir haben also darnach zu fragen, ob die Kraft,
die wir den „Genius im Kinde" nennen, nur et-
lichen Begnadeten geschenkt ist, dann sollten wir
jenen Begnadeten allein zu ihrer Vollendung verhel-
fen, aber für die allgemein bildenden Schulen die
Folgerung ziehen, daß wir jene Nichtbegnadeten nicht
zu Affen der Kunst dressieren, indem wir ihnen bei-
bringen, Handgriffe der Kunst zu machen, die sie nur
von außen abgucken, die aber von innen her von der
Natur, vom Schöpferwillen her dieser Allgemeinheit
versagt ist. Wir sollen den Menschen zum Ebenbild
Gottes und nicht zu einer Karikatur erziehen und zwei-
fellos ist das, was wir heute vielfach als Kunstgetriebe
ansehen, Affenwerk. Aber nie und nimmer, so will es
mir scheinen, kann jene Kraft, die jeden einzelnen
Menschen treibt zu singen, Verse zu schaffen, Bilder
zu schaffen, zu bauen und sich an solchen Gebilden
anderer zu erfreuen, ein in die Menschen von außen
hinein gezüchteter, nicht von der Natur gewollter Trieb
sein. Dieser Wille des Menschen zu dichten, zu bilden,
zu musizieren, dieser jedem von der Schöpfung her
angeborene Trieb bezeugt, daß der Genius in jedem
Kinde lebt. Nur dürfen wir diesen Genius selbst und
sein Vorhandensein nicht verwechseln mit dem, was
vielfach als Gemäche auf kunsterzieherischem Getriebe
umgeht und in Afterkunst von höheren Töchtern und
alten Tanten zusammengepinselt und zusammenge-
klimpert wird. Es kommt uns auf diesen Genius im
Kinde und in jedem Menschen zunächst und zuerst an
und es gilt nun zu suchen, wie dieser Genius, wie
diese schöpferische Kraft in die Welt hinein sich ver-
wirklichen kann in Dichtung, Musik, in bildender Kunst,
in Bauwerken. Da gilt es denn zunächst von einem
großen Irrtum uns zu befreien, der die künstlerische
Erziehung des letzten Jahrhundert tyrannisierte. Wir
müssen unseren Blick lösen von den großen Werken
der „Jahrhundert- und Jahrtausend-Menschen", der
zuletzt und unerhört Begnadeten, wenn wir vom „Ge-
nius im Kinde" sprechen. Es gibt auf Erden Gräslein,
winzig, kaum mit dem Auge sichtbar und es gibt Blu-
men von der Länge etlicher Hände und es gibt Ge-
wächse wie Menschen, auch groß wie Bäume, die
gewaltig und mächtig sich über den Menschen er-
heben; so auch ist es mit den Gebilden der Kunst.
In alle Menschen ist ein Kunstgebilde hineingelegt
und es gilt nun dieses Talent — dies Wort im bib-
lischen Sinne gesprochen — herauszuholen. Es gilt
das Samenkorn, das ich hier in den Fingern halte, in
dem ein Geheimnis eingeschlossen liegt, in Erde ein-
zulegen und so zu behüten, daß dieses Samenkorn zu
dem werden kann, was in ihm aufgezeichnet als Zu-
kunft liegt. Aber es gilt nicht das Wachstum dieses
Blumenkeimes hier zu reglementieren nach den Ge-
setzen jenes Wachstums, das aus einer Eiche kommt