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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Weismantel, Leo: Eine Rede vor der Festversammlung auf der Jahrestagung des Reichsverbandes deutscher Kunsterzieher in Breslau/ Pfingsten 1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0008

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und aus dem ein Eichbaum werden soll. Ebenso wenig
wie ich aus dem Wachstum der riesenhaften Eiche und
aus seinen Formen die Maßstäbe gewinnen kann zur
Behandlung eines Samenkörnchens, aus dem nur ein
Grashalm kommen kann, ebenso wenig kann ich von
den künstlerischen Offenbarungen Dürers, Lionardos,
Mozartens und Beethovens her Kunsterziehung in allem
Volke betreiben. Hier lag der für uns heute an Irrsinn
grenzende Irrtum aller kunstpädagogischen Bemühun-
gen des letzten Jahrhunderts. So ist unsere Aufgabe
denn nicht mehr die, die Werke der Jahrtausend-Men-
schen zu durchstöbern, um von ihnen her dann die
armen Alltagsmenschen mit Wissenskram zu traktie-
ren, sie selbst so zu jammervollen Mißgeburten und
krampfhaften Erzeugern einer Pseudokunst zu machen,
oder sie zu eingebildeten Lüstlingen der Werke der
Großen auszubilden, die an diesen großen Werken
der Jahrhundert- und Jahrtausend-Menschen herum-
stochern wie ein Vielfraß mit seiner Gabel aus einer
Pastete die Fleischbröckchen herausstochert, vielmehr
haben wir den Glauben daran, daß jene Kraft, die
diese Großen und ihre Weike schuf, in jedem Men-
schen liegt, aber jedem Menschen nur die Möglich-
keit seines eigenen Maßes in seinen eigenen Werken
gibt und daß dieses Maß tausendfältig verschieden
ist und tausendfältig verschieden dieses Wachstum
der Seele hinein in das Reich der Dichtung, der Musik,
der bildenden Kunst, des Bauens. Hier stehen wir
nun vor der dritten Frage und vor dem Glauben, daß
diese Kraft, die wir den „Genius im Kinde" nennen,
etwas keimhaft Wachsendes ist und daß dieses Wach-
sende seines eigenen Wachs tums Gesetz in sich

trägt, eine heilige Ordnung, die zunächst einmal ganz
von sich und ohne unser Zutun in die Welt kommt,
wenn nicht widrige Umstände dieses Wachstum ver-
hindern.
So ist denn der Kunsterzieher zunächst ein Gärtner.
Er hat den Keimen, die ihm mit den Kindern und Ju-
gendlichen in die Hand gelegt werden, den Boden
des Wachstums zu bereiten. Das ist nicht weniger als
der alte Kunsterzieher tat, es ist unendlich mehr. Und
man muß nicht glauben, daß der Glaube, daß die
Keime das Gesetz ihres Wachstums in sich tragen,
nun den Gedanken zuiieße: also lasse wachsen, was
wächst! — denn dieses im Keim liegende Gesetz ist
ja keinen Augenblick ohne jede Gefahr, denen alles
Lebendige ausgesetzt ist, Frost und Sturm, Hitze und
Wasserflut. Die Feinde des Lebendigen, Kräfte, die
dem Lebendigen zur Vollendung helfen können im
Maß, sind jeden Augenblick im Unmaß da, es zu ver-
derben. So muß eine Wissenschaft der Betreuung der
Kunstgebilde uns gewonnen werden. Es gilt also
weiterhin und hier stehen wir vor der dritten Frage,
das Gesetz des Wachstums im Kinde, dieses Wachs-
tum der Seelen in die Länder der Künste im Kinde zu
erspähen und zu erforschen.
3. Das Gesetz des Wachstums der Bil-
der, deren Erforschung zuletzt sehr stark von dem
Namen Gustaf Britsch ausging, ist von einer geheim-
nisvollen Stetigkeit und Unrast zu gleicher Zeit, d. h.
wir haben es mit einem Gesetz zu tun, dem Gesetz
des Werdens und Wachstums alles Lebens, aber wir
haben es auch mit der Vielfalt der Brechungen zu tun,
die dieses einmalige Gesetz auf seinem Wege durch

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