Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

DOI issue:
Heft 1 (Januar 1931)
DOI article:
Frantzen, Wilhelm: Unsere Aufgabe und ihre Zukunft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0015

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
entwachsen sind und mit letzter Folgerichtigkeit nur
auf das Ziel einer reinen Jugendkunst hinweisen, wel-
ches sie selbst nur halbwegs erreicht haben. Ihnen
verschließt sich der Widerspruch in der eigenen Un-
terrichtsarbeit, der zwangsläufig zwischen d e r Kunst-
auffassung pendelt, die sie sich durch ihre eigene Ar-
beit erworben haben, und d e r Kunstauffassung, die
ihnen stellenweise aus den Schülerarbeiten entgegen-
tritt, und von denen Ihnen die erste klarer geworden ist
als die zweite. Sie sprechen beim Schüler nur von künst-
lerischen Schaffensmöglichkeiten in „gewissem Sinne".
Ihrem Unterricht fehlt die gerade Linie und die üppig
ins Kraut schießende Fruchtbarkeit. Er ist ein Experi-
ment mit gefährlichen Mitteln, ein Kompromiß zweier
Kräfte, von denen die eine die andere nicht aufkom-
men läßt. So lange diese Amtsgenossen
nie h t den Grundfehler ihrer Reform be-
greifen, der in diesem Dualismus liegt,
so lange kommen wir auch nicht in brei-
ter Front vom Fleck.
Das Gerede von der Verwissenschaftli-
chung unserer Arbeit erscheint mir als ein Angriff,
den mancher dieser Amtsgenossen instinktiv nur des-
halb unternimmt, um die Schwäche seiner eigenen
Stellung zu verdecken. Wenn wir alle das Reden und
Schreiben, mit denen das „leidige Theoretisieren"
verbunden sein soll, ablehnen würden, sähe es um
den Erfolg unserer Arbeit nach innen und außen ver-
teufelt schlecht aus. Jeder sorgte dann für seinen
eigenen Betrieb, der Schlaue behielte seine Fabrika-
tionsgeheimnisse für sich selbst, der weniger Ge-
scheite lieferte längst überholte Dinge, wir verzettel-
ten unsere Vorstöße um Geltung, und keine Öffent-
lichkeit erführe jemals, wer wir eigentlich sind, und
was wir wollen. Muß die Art und Welse, wie wir un-
sere kunsterziehlichen Erkenntnisse gewinnen, denn
durchaus wissenschaftlicher-methodischer Natur sein?
Können wir sie denn nicht auch mit dem besten Teile
unserer Begabung auf intuitive Weise finden? Ohne
ein Gefühl für die Werte primitiver Kunst, das ver-
standesmäßig gar nicht gewonnen werden kann, kom-
men wir doch schon gar nicht aus. Und wenn ich von
wissenschaftlichen Arbeiten spreche, so denke ich
nicht im entferntesten an ein Verwissenschaftlichen,
das auf eine Überwertung des Verstandes und in ver-
hängnisvoller Auswirkung auf eine rezeptmäßige An-
wendung von Regeln hinausläuft. Ich denke vielmehr
an eine Feststellung künstlerischer Tatbestände, die
meinem Kunstgefühl spontan entspringt, der Kunst-
kritik mit verstandesmäßigen Mitteln aber nicht wider-
spricht. Gefahrenl Gibt es eine Arbeit, die nicht von
Gefahren umlauert ist?
Und wie steht es um die Erfüllung dieser Forderun-
gen in der Praxis? Im allgemeinen nicht schlechter
und nicht besser als in der Theorie auch. Ich hatte
in der Breslauer Ausstellung, die gewiß
einen einigermaßen gültigen Querschnitt durch unser
gegenwärtiges Schaffen gegeben hat, wohl den Ein-
druck, daß die Richtung, die auf eine unverfälschte
Jugendkunst hinauswill, immer mehr Anhänger ge-
winnt. Ich gewann aber aus den Schülerarbeiten der
meisten dieser Amtsgenossen nicht immer den Ein-
druck kunstunterrichtlicher Sauberkeit und kunstunter-
richtlichen Zielbewußtseins.
1. Die Qualität der meisten Schülerarbeiten litt darun-
ter, daß diese von fremden Einflüssen nicht so befreit
worden waren, wie es notwendig und möglich gewe-
sen wäre. Schuld daran ist m. E. weniger die Leistungs-
fähigkeit des Schülers als die Beurteilungs-
Unsicherheit des betreffenden Leh-
rers, die selbstredend wiederum auf jene zurück-
wirkt.
2. Die einheitliche Linie des Unterrichts ließ sich allen-
falls bis zur Mittelstufe verfolgen. Hier brach sie
14

meistens unvermittelt ab. Hin und wieder tauchte
sie wohl noch einmal auf. Aber dann verschwand
sie völlig. Man sah kaum eine Arbeit aus der Puber-
tätszeit eines Jungen, die auch nur den Versuch
des Lehrers andeutete, die bis dahin geschaffene
Linie unbeirrt durch alle Vor-Urteile weiterzu-
ziehen. Hier hat man, nahezu wörtlich genommen,
das Stoppen auf halbem Wege, von dem vorhin die
Rede gewesen ist.
3. Die „künstlerischen" Leistungen der Oberstufe (mei-
stens treiben die Amtsgenossen hier verlegenheits-
halber Kunstbetrachtung und Darstellen) bestan-
den in mehr oder wenigen geschickten „Einfüh-
lungen in neuzeitliche Kuns t". Man sah
sie auf Schritt und Tritt und spürte in ihnen die förm-
lich angepriesenen Vorbilder der Abstrakten, der
Sachlichen und des Dessauer Bauhauses. Ich ziehe
die Expressionisten aus dieser Zeile des Vorwurfes
heraus, weil sie in einem immerhin noch näheren
Verwandtschaftsgrade zur reinen Jugendkunst ste-
hen, als die soeben genannten Typen einer zumeist
entwurzelten und intellektualisierten Kultur. Es ist
nicht zu leugnen, daß die Unterrichtsauffassung die-
ser Amtsgenossen, was das Gestalten anbeiangt,
auf der Oberstufe in einem Gegensatz zur Unter-
stufe steht, wie der Zirkus zur Natur, wie alles
Künstlich-Gemachte zum Organisch-Gewachsenen.
Man versoff sozusagen in einem Meer von Analysen,
deren Qualität zum größten Teil schon nicht mehr
fragwürdig war. Diese Amtsgenossen haben tat-
sächlich das „Neues! e" erreicht. Sie glauben
naiv, wie ich das auch mal eine Zeitlang getan habe,
den fortschrittlichsten Unterricht zu erteilen. Wenn
sie doch endlich zu der Erkenntnis
kommen würden, daß wir nur den Unter-
richt als einen n e u z e i 11 i c h e n b e z e i c h-
nen dürfen, in dem alle Fragen von den
inneren Möglichkeiten des Schülers
aus betrachtet und gelöst werden, und
in dem der Amtsgenosse als Lehrer
jenseits der Probleme steht, mit denen
er sich als Künstler auseinandersetzt,
mit denen aber der schaffende Schü-
ler, der auf einer wesentlich primitive-
ren Gestaltungsstufe steht, naturge-
mäß doch wenig anfangen kann. Ein Unter-
richt, in dem man dem Schüler für das X des Naturalis-
mus vom Jahre 1902 nur das Y eines modernen Ismus
vom Jahre 1930 zum Wiederkauen gibt, ist auf keinen
Fall ein Kunstunterricht im Sinne neuzeitlicher Er-
ziehung. Er ist und bleibt die modische Bemän-
telung einer im Grunde alten Anschauung. Er führt
zwangsläufig zur Dressur, Manier und Minderwer-
tigkeit und ist wegen dieser unausbleiblichen Miß-
erfolge grundsätzlich und heftig zu verwerfen.
Alle bisher vorgebrachten Ausführungen beziehen
sich auf die Arbeit der Amtsgenossen, die gegen-
wärtig im Berufe sind und weiter wollen. Man muß
sich bei der Behandlung des gestellten Themas aber
auch die Frage vorlegen, in welchem Sinne diejenigen
schaffen werden, die sich heute noch in der Ausbil-
dung zum Kunsterzieher befinden und mit ihren hier
gewonnenen Anschauungen erst später in die selb-
ständige Praxis eintreten wollen. Diese Frage stellen
heißt, in einer begrenzten Bedeutung die Frage nach
dem Sinn und Wert der gegenwärtigen
künstlerischen und pädagogischen Aus-
bildung der Studierenden anschneiden.
Ihre Beantwortung ist schwierig. Sie setzt eine genaue
Kenntnis der Verhältnisse voraus, die ich bis heule
leider nicht besitze. In diesem Zusammenhänge darf
ich aber doch wohl auf einen merkwürdigen, auf
einen geradezu rätselhaften Umstand hinweisen, der
gewiß diesem und jenem schon aufgefallen ist. Uber
 
Annotationen