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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Fritz, Ernst: Dem "Westfalenheft" zum Geleit!
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Burgholz, Leo: Das schöne Münster - Westfalens Hauptstadt: skizzenhafte Hinweise methodischer Art für die Betrachtung bedeutsamer Bauwerke vergangener Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0046

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Teiles etwas tänzerisch Bewegtes. Flackernde Flamme
durchzuckt die Steinritzen des Maßwerks in Chorfen-
ster und Turmkrone. Ruhige, glatte Bögen und Säul-
chen überspannen und teilen die Fenster der Turm-
brust und des Langhauses. Strahlende Helligkeit im
Innern des sterngewölbten Chores. Gedämpfte ruhige
Stimmung im Rundbogengewölbe des Langhauses.
Gotischer und romanischer Gestaltungswille schließt
sich hier eng zusammen und bildet ein einheitliches
Ganzes. Sehr wichtig ist hierbei die Feststellung, daß
bei diesem Bau, wie überhaupt in schöpferischen Bau-
perioden, jede Zeit ihre Gegenwart hineinbaute. Je-
doch wurde beziehungsvoll auf- und angebaut. Nicht
behauptete sich der neue Geist herrisch individuell,
er gliederte sich entwicklungsgemäß dem Organismus
an und fiel so nicht aus dem einheitlichen großen
Ganzen heraus. Ich bin auch fest davon überzeugt,
daß diese Beziehungen in de;1 Architektur mathema-
tisch meßbar sind. Für einige dafür interessierte Schü-
ler der Oberstufe wäre diese Feststellung, wie auch
statische Analysen, die eine zweckmäßige und stoff-
bedingte Raumgestaltung erklären, eine dankbare Auf-
gabe. Es sind mit diesen Fragen die philosophischen
Betrachtungen über den Wechsel des Schönheits-
begriffs und das gesetzmäßig Schöne eng verbunden
und je nach der,Altersstufe muß auch diesem Gedan-
ken Zeit gegeben werden.

Rathaus und Stadtweinhaus.
Ein seltenes außerordentlich lehrreiches Beispiel von
Bürgerbauten vergangener Zeiten bietet Münster durch
die nebeneinander stehenden Rathaus und Stadtweih-
haus. Selten lehrreich ist dieses Beispiel deshalb,
weil hier vor ursprünglich erhaltenen Bauwerken der
Geist des Gestaltungswillens in vergleichender Be-
trachtung verhältnismäßig leicht zu entdecken ist. Zu-
nächst ist vorweg die Frage von Fassaden- und Raum-
bau zu klären. Das Spiel in der Fläche ist leichter zu
empfinden als das Vor- und Zurücktreten, das Auf-
bauen und Nebeneinanderlagern der Körperzellen im
Raum. Im Raum tastend fühlen heißt andere Bewegung
erleben als beim Schreiben auf der Fläche. Hier sol-
len zunächst die Hauptzüge von Rathaus- und Stadt-
weinhausfront entdeckt werden. Zwei Linien am Rat-
haus teilen horizontal die unteren Flächen. Darauf
stellen sich stärker betont acht Senkrechte. Beim Stadt-
weinhaus dagegen führt die Gliederung in Richtung
der Wagerechten. Beim Rathausgiebel schwingen die
Senkrechten aus in Steintürmchen, die mit Figuren be-
stellt sind. Diese Figurentürmchen wachsen aus der
Struktur, dem Gerippe der Fläche heraus. Hingegen
sind die Steintürmchen beim Stadtweinhaus als Ruf-
zeichen auf die Treppenabsätze des Giebels gestellt.
In welligem Fluß führt das Maßwerk des Rathauses

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