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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Fritz, Ernst: Dem "Westfalenheft" zum Geleit!
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Merwart, Fritz: Zierers absolute Tiefenanschauung und ihre Bedeutung für die Kunsterziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0065

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als ein „T i e f e n e r I e b n i s", das in Wahrheit als
Schöpfungszustand bereits in uns ruht und durch das
Kunstwerk im Beschauer nur bewußt gemacht wird.
Daher ist hier alles Arbeit nicht etwa der Spekulation,
des Denkens, und auch nicht eines ästhetischen (Lust-
UnlustJ-Gefühls, sondern eines eigentümlichen, erst
durch die Tiefenanschauung aufgedeckten Gefühls-
erlebnisses. Immer wieder ist zu sagen, daß
diese Arbeit nur vor Originalwerken geleistet werden
kann, falls diese und nicht die Reproduktionen beur-
teilt und bewertet werden sollen. Weitere Umschrei-
bungen kann ich mir sparen; denn Ich bin in der glück-
lichen Lage, auf eine neue Broschüre Dr. Zierers ver-
weisen zu können, die allen erreichbar ist und die —
soweit es eben mit dem geschriebenen Wort über-
haupt möglich ist — in die absolute Anschauung ein-
führt. Sie führt den Titel: Das Ende der Kunst-
kritik, ihr Neuaufbau durch die absolute
Tiefenanschauung.* Nur seien mir noch einige
Worte über dieses Büchlein hier verstattet. Sicherlich
wird jeder zunächst einmal die Abbildungen vorneh-
men und versuchen, sich aus ihnen ein Urteil zu bil-
den. Dazu ist zu sagen, daß ihre Auswahl im kunst-
geschichtlichen Sinne gänzlich willkürlich ist und daß
auch diese Reproduktionen, selbst die farbigen, nur
ein mangelhafter Ersatz für die Originale selbst sein
können, an denen hier die Tatsachen der absoluten
Anschauung demonstriert werden. Man lese mit Vor-
teil darüber erst einmal den letzten Abschnitt des
Buches: Was sagen die Abbildungen ohne Texterläu-
terung? Für den schwierigsten Teil halte ich sodann
den ersten Abschnitt über „die motivische Anschau-
ung", worunter Dr. Zierer die heute übliche Art, Kunst
zu werten — zu verwerten — versteht. Sicherlich wird
manchem das Gerüst der philosophischen Ausdrucks-
weise zunächst künstlich und gesucht erscheinen, auch
zu Mißverständnissen Anlaß geben. Aber es ist zu
berücksichtigen, daß es sich um eine wissenschaftliche
Erkenntnis handelt, die zunächst einmal teilweise mit
dem Begriffsvorrat der Sprache auskommen muß. In
der persönlichen Übermittelung wird der ganze Appa-
rat wesentlich schlichter und verständlicher.
Wie die absolute Tiefenanschauung in die Praxis
des Kunstunterrichts eingreifen wird, ist eine Frage,
die erst durch gemeinsame Arbeit aller Interessierten
gelöst werden wird. So viel kann aber schon gesagt
werden, daß sie keinesfalls die Mannigfaltigkeit und
Lebendigkeit des heutigen Kunstunterrichts irgendwie
antasten und bevormunden wird. Allerdings wird sie
manchen „physiognomisch" interessanten Dingen den
rechten Platz anweisen, sie dem Erarbeiten der zeit-
losen Kunsterkenntnis unterordnen. Denn bei allem
praktischen Arbeiten in der Erziehung sind wir uns ja
schon lange einig, daß es nicht unsere Aufgabe sein
kann, praktisch, d. h. handwerklich tätige „Künstler"
auszubilden, sondern daß uns die praktische Tätigkeit
immer nur der Weg sein wird, auf dem wir fruchtbarer
als durch theoretische Untersuchung den Schülern zu
einem inneren Verhältnis zur Kunst helfen, zu einer
Lebendigmachung ihrer inneren künstlerischen Kräfte,
die ihnen dann im Leben treuere Dienste leisten kön-
nen, als jedes noch so praktische Wissen und Können,
das durch die „Hauptfächer" vermittelt und nach Ver-
lassen der Schule von den meisten mehr oder weni-
ger als Ballast beiseite geworfen wird, wenn sie es
nicht zufällig beruflich gebrauchen. Aber liegt nicht
auch eine Gefahr in der Anwendung derselben Maß-
stäbe, die für Kunstwerke gelten, auf die Schülerar-
beiten, die doch nur in den seltensten Fällen wirklich
Kunst sein können? Werden nicht dabei wie in frühe-
ren Zeiten die „Unbegabten" leicht mutlos werden
und die Lust am Arbeiten verlieren? Allerdings wer-
den wir wie in andern Fächern auch hier um eine Ent-
scheidung über geringeres oder weitergehendes
* Verlag Seebole, Überlingen a. Bodensee: Preis RM. 2.70

Gelingen der vorgenommenen Aulgabe nicht herum
kommen.
Und stellt sich nicht mit wachsender Reife der Schü-
ler die Erkenntnis des eigenen Unvermögens im Ver-
gleich zum Werk des großen Künstlers ganz von selbst
ein? Sollen wir den Schüler absichtlich darüber hin-
wegtäuschen? Und haben wir nicht schon immer ver-
sucht, die besser gelungenen Arbeiten — natürlich
nicht im technischen Sinne gedacht — heraus zu he-
ben und den Übrigen zur Freude und zur Ermunterung
dienen zu lassen? Aber bei aller Freiheit, die wir den
Schülern gelassen, zu der wir sie erzogen haben,
mußte doch in letzter Hinsicht die Autorität des Leh-
rers entscheiden. Hat er nicht durch seinen persön-
lichen Geschmack, durch seine physiognomische Ein-
stellung sogar häufig den Schüler- an einer Stelle be-
einflußt, wo dieser bei anderm Unterricht eine ganz
andere Richtung eingeschlagen hätte? Sei es nun im
Sinne des Expressionistischen oder des Naiv-Primitiven,
des Sachlichen usw. Freilich hat auch der Lehrer wie der
Künstler — meist wird er doch beides in einer Person
sein — ein Recht darauf, im Sinne der motivischen An-
schauung (wie Zierer sie nennt) seine besondere Rich-
tung, seine Individualität, seine Persönlichkeit zu vertre-
ten. Aber gerade als Erzieher wird er in dieser Bezie-
hung immer des Unterschiedes zwischen motivischen
und absoluten Maßstäben sich bewußt sein müssen. In
der vorliegenden Broschüre ist Zierer auf diese für uns
sehr wichtigen Zusammenhänge natürlich nur kurz ein-
gegangen, da es sich zunächst um eine grundsätzliche
Einführung in die absolute Tiefenanschauung handelt.
Wir aber, die wir für die künstlerische Erziehung des
Volkes, für die Einstellung der kommenden Generation
zur Kunst verantwortlich sind, werden nicht umhin
können, unsere Arbeit daraufhin zu prüfen, wie weit
sie durch Zierers Erkenntnisse — die sicherlich vielen
eine längst ersehnte Klarheit bringen werden — in
ihrem erziehlichen Wert gesteigert werden kann, so
daß von diesem ehemals so scheel angesehenen Fach
die stärksten Wirkungen für die Zukunft unseres Vol-
kes ausgehen können. Eine größere Arbeitsgemein-
schaft von Interessierten wird in Kürze die praktisch-
pädagogische Arbeit aufnehmen und es ist vielleicht
auch für noch Fernstehende von Wert, zu erfahren,
wie diese Arbeit geplant ist.
1. Zweck der Arbeitsgemeinschaft:
a) die Fortbildung des Kunstlehrers in seinem eige-
nen Schaffen und seine offizielle Einordnung in
die Künstlerschaft;
b) der Aufbau einer Kunsterziehung auf Grundlage
der absoluten Tiefenanschauung;
c) die Errichtung und Erhaltung eines Archivs für
Schulleistungen, die Schülerarbeiten (Sammelab-
teilung) die Erfahrungen der Kunsterzieher (Me-
thodenbibliothek).
Das Archiv stellt ein Erziehungsmuseum dar; gleich-
zeitig bietet es der Arbeitsgemeinschaft Anschau-
ungsmaterial.
2. Die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft:
Regelmäßige Zusammenkünfte; eigene und Schüler-
arbeiten sowie das Material des Archivs dienen als
Grundlage der Gemeinschaftsarbeit. Mitgliedern
außerhalb Berlins wird an Hand von eingesandtem
Material auch brieflich Beratung erteilt. Ferner wer-
den die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft schrift-
lich niedergelegt und evtl, veröffentlicht.
Die Errichtung einer Schülerklasse in der Gemein-
schaft wird geplant. Sie wird sich sowohl aus be-
gabten wie auch aus unbegabten Schülern aller
Altersstufen zusammensetzen. Zur Mitarbeit werden
alle Kunsterzieher aufgerufen, welche die Bedeu-
tung der absoluten Tiefenanschauung für die Kunst-
erziehung erkannt haben.

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