stimmter Weise eine Verschiebung eingetreten, eine
solche, die charakteristisch für eine ganz bestimmte
„Denkstufe" ist. Es wird etwas fürs Auge als reizvoll
empfunden über die „frühe" Ordnung hinausl — Was
aber ist die Ursache, weshalb sich an dies weiterent-
wickelte „Augenmaß" das Theorem vom Goldenen
Schnitt geheftet hat?
Die drei „Formate": 29, 30, 31 mögen zur Antwort
helfen. 31: das Quadrat, ist in sich beruhigt und glaub-
haft, bietet neutrale Befriedigung. Wieweit es den-
noch nicht ohne inneres Vermögen ist, hat meine
„Spielwürfel"-Betrachtung wohl hinreichend aufge-
wiesen. Ein Format, das sich nur um ein Gerin-
ges vom Quadrat entfernt — etwas breiter oder
höher ist —, befriedigt nicht so. Die Tendenz zur
Bevorzugung einer Richtung will unmißverständ-
lich verwirklicht sein, wenn das Auge lebhaft rea-
gieren soll, d. h. dazu sagen soll: schön I In der
archaischen Bildnerei herrscht auch darin das Gesetz
des größten Richtungsunterschieds: es
werden eindeutige Längs- oder Höhenerstreckungen
bevorzugt. Das Band, hoch oder quer ist der spezi-
fische Ausdruck für das undifferenzierte Gestaltungs-
streben. Auch wenn „mittlere" Werk-Formate zweck-
liaft gegeben sein sollten, werden sie band-oder strei-
fenförmig unterteilt: 26. 29, ein übermäßiges Lang
(oder ebenso Hoch-)Format wird fürs Auge erst maß-
reif, wenn es Ansatzstellen findet, um die betonte
Richtung abzuschreiten, um sie — aus-messen zu kön-
nen. Fehlen derlei „Marken", so wirkt solch „Hand-
tuch" unbefriedigend. Diese Einsicht, brauchbar bei
Cornelius in seinen „Elementargeset'en der Bildenden
Kunst"; (Leipzig, 1911 u. ö.) belegt, besagt auch, daß
wir die übermäßige Langseite als ein Mehr-
faches der Kurzseite lesen oder lesen möchten
—- um ungestört „im Bilde" zu sein —. Ein „übertrie-
benes" Langformat wird als „in Ordnung empfunden",
wenn es augenmäßig unterteilt werden, mit an-
dern Worten: als Summe von Teilformaten erlebt wer-
den kann.
Ich glaube, daß nunmehr die Proportion nach dem
Goldenen Schnitt etwas eingekreist sein dürfte. 30
zeigt ein Gebilde, das sich mit Entschiedenheit vom
Quadrat unterscheidet, das aber auch (was hier wich-
tiger wird) nicht mehr zum „Abschreiten" auffoidert,
sondern als Ungeteiltes er-messen werden kann, das
eine maßvolle Spannung in der Richtungsbetonung
enthält. Hinzugefügt sei sofort, daß dieser Reiz eines
ausgeglichenen Maßes keineswegs an mathematischen
Proportionszahlen hängt, daß vielmehr hier eine ge-
wisse Variationsbreite besteht, wonach es zwischen
Quadrat und Doppelquadrat (eins zu zwei) mehrere
83