gründen, gab Gustaf B r i t s c h. Was andere statistisch
nicht feststellen konnten, bewies seine erkenntnis-
theoretische Untersuchung. Fortan gibt es nicht mehr
(in dem Sinne Kerschensteiners z. B.) diese krasse
Unterscheidung von „begabt" und „nicht begabt",
die Schüler besitzen noch ein mehr anfängliches oder
schon ein reiferes Form - und F a r b u r t e i I. Im An-
fang vermag sich die künstlerische Denkkraft nur mit
der einfachsten Form auseinanderzusetzen; der Rich-
tungsunterschied z. B. Ist ein sehr frühes Urteil. Das
Ziel des Unterrichts wäre also, reifere Urteile bei den
Schülern zu entwickeln? Die Aufgabe des Lehrers be-
stünde darin, den Schüler immer schwierigere Formen
beurteilen zu lassen (auf der Prima vielleicht atmos-
phärisch differenzierte Beleuchtungserscheinungen)?
Er könnte als Klassendurchschnitt eine bestimmte Denk-
ielstung fordern (z. B. auf der Sekunda den grenzen-
losen Übergang)? — Die Prädikate ergäben sich auto-
matisch; mit dem Buche von Britsch in der Hand, wäre
der Lehrer aus allen Nöten.
Oder sind auch dann noch „kleine Unterschiede",
die, sieht man schärfer hin, das Ganze ausmachen?
Watteau und Lancret, der jüngere Rembrandt und G.
Dou, tausend Paare ließen sich aus unserer abend-
ländischen Kunstentwicklung aufzählen, deren künst-
lerische Denkkraft sich derselben Dinge bemächtigt,
die über dasselbe Ressort von Formen verfügen, de-
ren Urteil quantitativ dasselbe ist, dieselbe Exten-
sität besitzt, und doch wird nur eine durch und
durch materialisti'-che Kunstgeschichte sie nebeneinan-
der stellen. Erst jenseits dieser Leistung begibt sich
uurch höchste An’nannung (Intensität) aller guten
Geister, die im geistig-seelischen Bezirk wohnen, je-
nes Geheimnis, das die Liebe und Ehrfurcht des Be-
trachtenden erweckt, das das Kunstwerk über eine
bloße Demonstration des Intellekts zu einer Offen-
barung der Seele macht. Die Intensität des Künstlers
entscheidet über die Qualität seines Werkes. (Als be-
sonderes Beispiel kann die Aufstellung der Kunst-
werke im Museum Folkwang erwähnt werden.)
In unserm Schulkreis aber sollte es eine Beschrän-
kung auf die Extensität der Denkleistung, ein quan-
titatives Messen geben? Die bildkünstlerischen Ar-
beiten der Schüler, nach den Richtlinien dazu be-
stimmt, die Persönlichkeit zu bilden, sollten nach ganz
anderen Gesichtspunkten beurteilt werden als ein
Kunstwerk? Nach der Quantität der Leistung? „Eine
ganze junge Welt in Blüte setzt Früchte an." Wer
wollte da künstliche Riesenfrüchte ziehen, die viel-
leicht hohl, ohne Saft und Kraft sindl
An einer Reihe von Beispielen soll darzustellen ver-
sucht werden, wie im Sinne der neuen Kunsterziehung
Schülerarbeiten beurteilt werden müssen.
Dor Linoleumschnitt „Ritter" (Nr. 1) wurde als „sehr
gut" bezeichnet, die Vorzeichnung eines andern Quar-
taners (Nr. 2) nur mit Bedenken als „gut". Und doch
steht diese auf einer viel höheren Denkstufe als jener:
Die Proportionen sind weitgehend beurteilt („richtig"),
die Seitenansicht ist auch beim Auge gewahrt, die
Führung der einzelnen Rüstungsteile deutet „Ausdeh-
nungsveränderlichkeit" an, und als Clou des Ganzen:
Auf dem Panzer wird der Glanz angegeben, haupt-
sächlich, um das Körperliche zu betonen. Der Schnitt
dagegen ist noch rein flächenhaft, das Auge blieb in
Vorderansicht, die Musterung modelliert nicht im ge-
ringsten. Während aber der Schüler bei seiner Zeich-
nung (Nr 2) ängstlich bedacht war, die Proportionen
zu wahren, Glanz anzudeuten usw., vergaß er über-
haupt, was auf der ganzen Klasse sonst jeder beach-
tet hat, seine Figur auf dem Blatt unterzubringen
(trotz der Bleistiftskizze). Arme, Helm und Feder, Run-
dung und Glanz, alles wird mit großer Exaktheit zu
Papier gebracht, aber es wird ein zufälliger Aus-
schnitt: Oben kommt er knapp mit dem Papier aus,
unten gar nicht (die Handl), links allzu gut. Das Ganze:
Ein ausgestopftes Rüstungsmodell aus einem Antiqui-
tätenkatalog. Ein Kreuzritter? Bestenfalls die Illustra-
tion zu einem historischen Roman der 90er Jahre. Beim
Schnitt dagegen ist, unbelastet durch zuviel Vorstel-
lungen, was dargestellt werden sollte, meisterhaft ge-
geben: Ein wahrer Ritter. — Ein freies Spiel von
schwarzen, weißen und gemusterten Flächen. De*
doppelte Rahmen, dreimal überschnitten durch Feder,
Bruststück und Namen, mildert die weiße Gesichtsfläche.
Wie überhaupt alles, selbst der Name, geschickt
und selbstverständlich verwandt ist zur Ausbalan-
cierung der ganzen Fläche. Der Name auf der Zeich-
nung ist so schlecht wie möglich angebracht, der
nichtssagende Strich veranlaßt mich nur, den Namen
in meinem Notizbuch zu unterstreichen: Ein Schüler,
der besonders beachtet werden muß. Das Scharnier
des Visiers, ein kleines Detail, ohne jedes Finger-
spitzengefühl eingesetzt, zeigt nur die geringe Öko-
nomie in den Mitteln, während bei dem Schnitt so
rationell wie nur möglich die verschiedenen Stichel
benutzt wurden.
Man kann zusammenfassen: Nr. 1 ist eine Arbeit, die
einer einfachen Denkstufe angehört, aber Werkzeug
und Material sind mit größter Intensität verwandt:
Sehr gut. Nr. 2, aus einer viel höheren Denkstufe stam-
mend, ist eine Anhäufung von reiferen Formurteilen,
ohne irgendeine seelische Anspannung: Eine rein in-
tellektuelle (Formurteile) und mechanische (Sauber-
keit usw.) Leistung, die eigentlich mangelhaft wäre.
Mit Rücksicht darauf, daß der Schüler infolge widriger
Einflüsse (außerhalb der Schule) an der Quantität der
Formbeurteilung die Qualität seiner Arbeit mißt, fer-
ner in Anbetracht seines Fleißes, seiner selbständigen
Arbeitsweise und der Sauberkeit der Arbeit: In die-
sem (ersten) Falle noch „gut".
Allgemein wurde von der Klasse Nr. 2 als die beste
Arbeit bezeichnet. Deshalb war eine ausführliche Be-
urteilung vor allen Schülern notwendig, die ja über-
haupt regelmäßig zu empfehlen ist.
Zu welchen Schwierigkeiten eine Beurteilung nach
der Extensität führen würde, zeigt ein weiteres Bei-
spiel aus einer Obersekunda (Nr. 3): Wenn diese Fe-
derzeichnung auch auf der Quarta entstanden wäre,
wäre sie wirklich „gut", auf der Obertertia „noch ge-
nügend", aber jetzt auf der Obersekunda ist sie „man-
gelhaft", würde man sagen müssen, wenn das Ziel,
des Unterrichts wäre, jeden Schüler zu einem weitest
entwickelten Formurteil zu führen. Aber es lassen sich
keine noch so allgemeinen Klassenziele aufstellen.
Man kann nur beurteilen, wie die Leistung sich in
ihrer Stufe zu einer andern (z. B. Nr. 1) verhält. Sie
zeigt eine reiche, rein schmückende Musterung, häu-
fige Variation in der Strichstärke, gute ornamentale
Verteilung der schwarzen Stellen; eine Leistung, die
man mit ruhigem Gewissen mit „gut" bezeichnen darf.
Der Schüler ist fleißig, die geringe Extensität des For-
menverständnisses läßt (selbstverständlich nicht unbe-
dingt) auf einen intellektuell schwach begabten Schü-
ler schließen. Der Schüler ist ohne Bedenken auf
seiner Stufe zu belassen, auf ihr aber zu einer noch
intensiveren Durchbildung der Formen zu führen.
Ein noch krasseres Beispiel für die primitive Denk-
stufe, die bei einem Obersekundaner noch möglich
ist, gibt Blatt Nr. 4, eine Zeichnung nach einem Kopfe
von Ghlrlandajo. Der Reiz der Arbeit liegt in den mit
feinstem Empfinden gearbeiteten Haarpartien; wie
aus weiteren Arbeiten zu ersehen war, hat der Schü-
ler ein feines Empfinden für Tonwerte. Die Oberflä-
chenreize sind in einer erstaunlichen, ja befremden-
den Art gegeben; nun vollends das Gesicht: Eine
typische, bei ihm regelmäßig wiederkehrende Defor-
mation, ein Schüler, der zweifellos einen geistig-see-
lischen Defekt hat, wofür auch sein Äußeres einen
Beweis gab. In den übrigen Fächern sehr schlecht,
wurde er zu Ostern nicht versetzt und verließ die
87
nicht feststellen konnten, bewies seine erkenntnis-
theoretische Untersuchung. Fortan gibt es nicht mehr
(in dem Sinne Kerschensteiners z. B.) diese krasse
Unterscheidung von „begabt" und „nicht begabt",
die Schüler besitzen noch ein mehr anfängliches oder
schon ein reiferes Form - und F a r b u r t e i I. Im An-
fang vermag sich die künstlerische Denkkraft nur mit
der einfachsten Form auseinanderzusetzen; der Rich-
tungsunterschied z. B. Ist ein sehr frühes Urteil. Das
Ziel des Unterrichts wäre also, reifere Urteile bei den
Schülern zu entwickeln? Die Aufgabe des Lehrers be-
stünde darin, den Schüler immer schwierigere Formen
beurteilen zu lassen (auf der Prima vielleicht atmos-
phärisch differenzierte Beleuchtungserscheinungen)?
Er könnte als Klassendurchschnitt eine bestimmte Denk-
ielstung fordern (z. B. auf der Sekunda den grenzen-
losen Übergang)? — Die Prädikate ergäben sich auto-
matisch; mit dem Buche von Britsch in der Hand, wäre
der Lehrer aus allen Nöten.
Oder sind auch dann noch „kleine Unterschiede",
die, sieht man schärfer hin, das Ganze ausmachen?
Watteau und Lancret, der jüngere Rembrandt und G.
Dou, tausend Paare ließen sich aus unserer abend-
ländischen Kunstentwicklung aufzählen, deren künst-
lerische Denkkraft sich derselben Dinge bemächtigt,
die über dasselbe Ressort von Formen verfügen, de-
ren Urteil quantitativ dasselbe ist, dieselbe Exten-
sität besitzt, und doch wird nur eine durch und
durch materialisti'-che Kunstgeschichte sie nebeneinan-
der stellen. Erst jenseits dieser Leistung begibt sich
uurch höchste An’nannung (Intensität) aller guten
Geister, die im geistig-seelischen Bezirk wohnen, je-
nes Geheimnis, das die Liebe und Ehrfurcht des Be-
trachtenden erweckt, das das Kunstwerk über eine
bloße Demonstration des Intellekts zu einer Offen-
barung der Seele macht. Die Intensität des Künstlers
entscheidet über die Qualität seines Werkes. (Als be-
sonderes Beispiel kann die Aufstellung der Kunst-
werke im Museum Folkwang erwähnt werden.)
In unserm Schulkreis aber sollte es eine Beschrän-
kung auf die Extensität der Denkleistung, ein quan-
titatives Messen geben? Die bildkünstlerischen Ar-
beiten der Schüler, nach den Richtlinien dazu be-
stimmt, die Persönlichkeit zu bilden, sollten nach ganz
anderen Gesichtspunkten beurteilt werden als ein
Kunstwerk? Nach der Quantität der Leistung? „Eine
ganze junge Welt in Blüte setzt Früchte an." Wer
wollte da künstliche Riesenfrüchte ziehen, die viel-
leicht hohl, ohne Saft und Kraft sindl
An einer Reihe von Beispielen soll darzustellen ver-
sucht werden, wie im Sinne der neuen Kunsterziehung
Schülerarbeiten beurteilt werden müssen.
Dor Linoleumschnitt „Ritter" (Nr. 1) wurde als „sehr
gut" bezeichnet, die Vorzeichnung eines andern Quar-
taners (Nr. 2) nur mit Bedenken als „gut". Und doch
steht diese auf einer viel höheren Denkstufe als jener:
Die Proportionen sind weitgehend beurteilt („richtig"),
die Seitenansicht ist auch beim Auge gewahrt, die
Führung der einzelnen Rüstungsteile deutet „Ausdeh-
nungsveränderlichkeit" an, und als Clou des Ganzen:
Auf dem Panzer wird der Glanz angegeben, haupt-
sächlich, um das Körperliche zu betonen. Der Schnitt
dagegen ist noch rein flächenhaft, das Auge blieb in
Vorderansicht, die Musterung modelliert nicht im ge-
ringsten. Während aber der Schüler bei seiner Zeich-
nung (Nr 2) ängstlich bedacht war, die Proportionen
zu wahren, Glanz anzudeuten usw., vergaß er über-
haupt, was auf der ganzen Klasse sonst jeder beach-
tet hat, seine Figur auf dem Blatt unterzubringen
(trotz der Bleistiftskizze). Arme, Helm und Feder, Run-
dung und Glanz, alles wird mit großer Exaktheit zu
Papier gebracht, aber es wird ein zufälliger Aus-
schnitt: Oben kommt er knapp mit dem Papier aus,
unten gar nicht (die Handl), links allzu gut. Das Ganze:
Ein ausgestopftes Rüstungsmodell aus einem Antiqui-
tätenkatalog. Ein Kreuzritter? Bestenfalls die Illustra-
tion zu einem historischen Roman der 90er Jahre. Beim
Schnitt dagegen ist, unbelastet durch zuviel Vorstel-
lungen, was dargestellt werden sollte, meisterhaft ge-
geben: Ein wahrer Ritter. — Ein freies Spiel von
schwarzen, weißen und gemusterten Flächen. De*
doppelte Rahmen, dreimal überschnitten durch Feder,
Bruststück und Namen, mildert die weiße Gesichtsfläche.
Wie überhaupt alles, selbst der Name, geschickt
und selbstverständlich verwandt ist zur Ausbalan-
cierung der ganzen Fläche. Der Name auf der Zeich-
nung ist so schlecht wie möglich angebracht, der
nichtssagende Strich veranlaßt mich nur, den Namen
in meinem Notizbuch zu unterstreichen: Ein Schüler,
der besonders beachtet werden muß. Das Scharnier
des Visiers, ein kleines Detail, ohne jedes Finger-
spitzengefühl eingesetzt, zeigt nur die geringe Öko-
nomie in den Mitteln, während bei dem Schnitt so
rationell wie nur möglich die verschiedenen Stichel
benutzt wurden.
Man kann zusammenfassen: Nr. 1 ist eine Arbeit, die
einer einfachen Denkstufe angehört, aber Werkzeug
und Material sind mit größter Intensität verwandt:
Sehr gut. Nr. 2, aus einer viel höheren Denkstufe stam-
mend, ist eine Anhäufung von reiferen Formurteilen,
ohne irgendeine seelische Anspannung: Eine rein in-
tellektuelle (Formurteile) und mechanische (Sauber-
keit usw.) Leistung, die eigentlich mangelhaft wäre.
Mit Rücksicht darauf, daß der Schüler infolge widriger
Einflüsse (außerhalb der Schule) an der Quantität der
Formbeurteilung die Qualität seiner Arbeit mißt, fer-
ner in Anbetracht seines Fleißes, seiner selbständigen
Arbeitsweise und der Sauberkeit der Arbeit: In die-
sem (ersten) Falle noch „gut".
Allgemein wurde von der Klasse Nr. 2 als die beste
Arbeit bezeichnet. Deshalb war eine ausführliche Be-
urteilung vor allen Schülern notwendig, die ja über-
haupt regelmäßig zu empfehlen ist.
Zu welchen Schwierigkeiten eine Beurteilung nach
der Extensität führen würde, zeigt ein weiteres Bei-
spiel aus einer Obersekunda (Nr. 3): Wenn diese Fe-
derzeichnung auch auf der Quarta entstanden wäre,
wäre sie wirklich „gut", auf der Obertertia „noch ge-
nügend", aber jetzt auf der Obersekunda ist sie „man-
gelhaft", würde man sagen müssen, wenn das Ziel,
des Unterrichts wäre, jeden Schüler zu einem weitest
entwickelten Formurteil zu führen. Aber es lassen sich
keine noch so allgemeinen Klassenziele aufstellen.
Man kann nur beurteilen, wie die Leistung sich in
ihrer Stufe zu einer andern (z. B. Nr. 1) verhält. Sie
zeigt eine reiche, rein schmückende Musterung, häu-
fige Variation in der Strichstärke, gute ornamentale
Verteilung der schwarzen Stellen; eine Leistung, die
man mit ruhigem Gewissen mit „gut" bezeichnen darf.
Der Schüler ist fleißig, die geringe Extensität des For-
menverständnisses läßt (selbstverständlich nicht unbe-
dingt) auf einen intellektuell schwach begabten Schü-
ler schließen. Der Schüler ist ohne Bedenken auf
seiner Stufe zu belassen, auf ihr aber zu einer noch
intensiveren Durchbildung der Formen zu führen.
Ein noch krasseres Beispiel für die primitive Denk-
stufe, die bei einem Obersekundaner noch möglich
ist, gibt Blatt Nr. 4, eine Zeichnung nach einem Kopfe
von Ghlrlandajo. Der Reiz der Arbeit liegt in den mit
feinstem Empfinden gearbeiteten Haarpartien; wie
aus weiteren Arbeiten zu ersehen war, hat der Schü-
ler ein feines Empfinden für Tonwerte. Die Oberflä-
chenreize sind in einer erstaunlichen, ja befremden-
den Art gegeben; nun vollends das Gesicht: Eine
typische, bei ihm regelmäßig wiederkehrende Defor-
mation, ein Schüler, der zweifellos einen geistig-see-
lischen Defekt hat, wofür auch sein Äußeres einen
Beweis gab. In den übrigen Fächern sehr schlecht,
wurde er zu Ostern nicht versetzt und verließ die
87