Heimkehrender
Wanderer (Hermann)
1. Baum auf dem Berg,
2. Berg, 3. Wanderer
am Abhang,
4. Brücke, 5. Brücken-
geländer, 6. Quelle,
7. Badi, 8. Haus mit
Fenster und Tür,
9. Himmel, 10. Mond,
11. Steine (unlen)
gegeben sind. Inges Tisch (Bild 4) ist „richtig", ob-
gleich die Köpfe nach allen vier Seiten gerichtet sind.
Die letzte Stufe ist dadurch gekennzeichnet, daß
sich die Richtungsverhältnisse, übergreifend auf das
ganze Bild, Geltung verschaffen. Bei den meisten Kin-
dern sind die Zeichnungen an der Senkrechten orien-
tiert. Auch die Bildfläche als solche wird so vorge-
stellt. Diese neue Erkenntnisstufe wirkt zum Teil zer-
setzend auf solche Formen der früheren Stufe, soweit
sie der horizontalen Ebene angehören. Wo sie nicht
zu umgehen sind, werden sie im Bilde oft doch als
störend empfunden. Auf weitere Einzelheiten möchte
ich nicht eingehen und nur betonen, daß von den
blindgeborenen Kindern nur Inge viele ihrer letzten
Bilder dieser Stufe gemäß zeichnet. Es darf demnach
ausdrücklichst betont werden, daß diese Stufe dem
Blindgeborenen nicht grundsätzlich abgesprochen
werden kann.
Wegen ihrer Eigenartigkeit sei zum Schluß noch auf
die Bilder 8 und 9 hingewiesen. Die Kinder können
keinen Berg zeichnen und reihen, um der Aufgabe zu
genügen, die Bildteile aneinander, wobei der „Berg"
in zwei räumlich golronnlo Toilo ciusuiiicimJuilcilll.
Am Schluß dui Auslühiunyun diänyl sich ohne wui-
lores ein Vergleich auf zwischen den Blindenzeichnun-
gen und den bildhaften Gestaltungen sehender Kin-
der und primitiver und archaischer Völker. Man wird
dabei die tiefgreifenden Unterschiede nicht über-
sehen. Man stelle beispielsweise einmal die voll-
endete, künstlerische Formsprache der Ägypter neben
die einfache, ausdruckslose Linienführung eines blin-
den Kindes; aber trotz allem steht man unter dem
starken Eindruck, als ob die innere Wesenheit, der
tragende Unterbau in allen Fällen gleich sei. Auf die
vielen Fragen, die sich fast zwangsläufig einstellen,
kann ich nicht mehr eingehen. Es ist aber unabweisbar,
daß man ihnen suchend nachgeht. Die letzte und ent-
scheidende Frage würde die sein; „Welchen Anteil
hat die Hand, und welchen Anteil das Auge am Auf-
bau der Wirklichkeit und am bildmäßigen Gestalten
des Sehenden, namentlich des Kindes? Es wird sich
dabei meines Erachtens ergeben, daß dem Sehenden
die Wirklichkeit in der Hauptsache durch das Auge
gegeben ist, daß er sich aber in seinem Denken und
Handeln vorzugsweise auf eine Wirklichkeit bezieht,
die ihm unmittelbar und ursprünglich durch die tasten-
den Hände verbürgt ist. Auch das bildhafte Gestal-
ten des Kindes findet nur dann eine zureichende Er-
klärung, wenn man den ungeheuren Anteil der Tast-
sinneserlebnisse und die eigengesetzliche Struktur der
gestaltenden Hand mit in Rechnung stellt. Je kleiner
das Kind, um so unverfälschter und urwüchsiger läßt
die Bildsprache diese Tatsache erkennen. Mit zuneh-
Abb. 10
Zugvögel
(Hermann)
1. Haus,
2. Fenster
3. Baum neben
dem Haus,
4. Himmel,
5. Sonne,
6. Mond,
7. Vögel
mendem Alter wird der Einfluß des Auges und seiner
Welt immer verpflichtender und einschneidender. Das
Ende der Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, daß
der alte, ursprüngliche Bestand ganz abgebaut ist.
Die Hand ist ganz Auge geworden.
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