Unterprimaner, 16‘/2 Jahre, Radierung
Zum Artikel: Kunstpädagogische Arbeitswoche in Frankfurt a. M.
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L. JACOBY-HANAU A.M.
KUNSTPÄDAGOGISCHE ARBEITSWOCHE IN FRANKFURT A.M.
VOM 26.-31. JANUAR 1931
Für den Kunstpädagogen gibt es immer eine große
Versuchung, nämlich, daß er in der Sicherheit seines
künstlerischen Instinktes einzig und allein die Gewähr
für die Richtigkeit seiner Unterrichtsweise sehen will.
Damit kann möglicherweise dem Einzelfall gedient
sein, im ganzen kommen wir nicht darum herum, unse-
rer Pädagogik eine Fundierung zu geben, die auch
der Wissenschaft nicht enträt und gegebenenfalls als
Erkenntnistheorie bestätigt, was der intuitiv Schaf-
fende längst betätigt hat.
Die Wende im Unterrichtlichen, die der alten Lern-
schule die Aufgabe stellte, „vom Kinde aus" zu gehen,
schien unserem Fach einen herrlich weiten klaren Weg
zu weisen. Die Literatur über Kind und Kunst und
Kinderkunst häufte sich. Das Problem der künst-
lerischen Erziehung des Kindes ist aber schließlich
wohl kaum schneller zu lösen als das Erziehungspro-
blem im ganzen. Wir haben allerdings in unserm An-
teil an der Erziehung im neuen Sinne einen Vorsprung.
Wenn wir „vom Kinde aus gehen", wenden wir uns
an den kindlichen Schaffenstrieb; das vorn Kinde Ge-
staltete gibt uns ein sichtbares Zeugnis, wir können
dabei verweilen und auf diesem Grunde weiterbauen,
ohne daß uns die Stoffpensen wie im wissenschaft-
lichen Unterricht das Tempo diktieren und diesen
vom Kinde gegebenen Bestand, der für uns immer
Ausgangspunkt bleiben muß, verschütten.
Ein Weg von innen nach außen — nicht im Sinne
der Lernschule die Stoffe herantragen und aufzwingenl
Wie dieser Weg zu gehen ist — ein jeder muß es
selbst erfahren und zu erkennen versuchen. Die Er-
gebnisse werden immer je nach dem Zusammenklang
von Lehrer und Schüler anders sein, der Weg sollte
'allen gemeinsam sein. x
Die Kunstpädagogische Arbeitswoche in Frankfurt,
die das Provinzial-Schulkolleglum von Hessen-Nassau
auf Antrag des Fachberaters einberief, sollte vor al-
lem Anregung und Aussprachen über die uns heute
bewegenden Fragen geben. Die Teilnehmerzahl war
groß, ein Beweis, wie rege das Verlangen nach Klä-
rung und Austausch ist.
In seinem Einführungsvortrag gab der Fachberater,
Herr Studienrat Betzler, eine Zusammenfassung der
Forderungen, die der heutige Zeichen- und Kunslunter-
richt an uns stellt.*
Betzler: „Uber den Sinn unserer Arbeit."
Am Anfang unserer Arbeitswoche steht die Kar-
dinalfrage nach dem Sinn unseres Wollens und Tuns.
Sie beantworten bedeutet Bekenntnis ablegen, Ent-
scheidung herbeiführen. Es gibt bisher vielerlei Be-
gründungen für den Sinn des Zeichenunterrichtes: da-
mit der Schüler seine Augen gebrauchen und sehen
lerne — damit er die Natur lieben und sie darstellen
lerne — damit in ihm die Empfindung nicht verküm-
mere angesichts der verständlichen Anforderungen
der Schule — damit seine schöpferische Phantasie
sich entfalte — damit er an der bildenden Kunst teil-
nehmen lerne und so fort.
Jede Antwort ist für sich richtig, doch keine dringt
zum tiefsten Sinn vor, keine verlangt im Hinblick auf
das Wie des bildnerischen Tuns, durch das
sie sich zu erfüllen hofft, bereits eine endgültige Ent-
scheidung, denn keine nimmt das Kind und den Ju-
gendlichen in seiner Totalität.
Die eine hat vor allem die „Mechanik" der Augen
und die praktische Verwertbarkeit des Zeichnen-Kön-
nens im Sinn, die andere die Natur, die dritte das
’ Die mit „ “ bezeichneten Stellen sind dem Protokoll entnommen.
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