vermögen noch aus dieser Unschuld heraus zu ar-
beiten."
Die kleine Bildschnitzerei einer 14 Jährigen schien
Herrn Gottschow das Wesen dieser kindlichen Gestal-
tungsweise rein zu zeigen. Die schriftliche Aufzeich
nung des Kindes zu seiner Arbeit folgt hier wörtlich.
Meine Marktfrau
Wie sie ist Wie ich sie haben wollte
Wie sie ist
Wie ich sie haben möchte Was noch dazu gehört
Ich hatte ein Stück Holz, das hinten schon sehr schön
rund war, vorne eckig. Oben das, was der Kopf wer-
den sollte, sah am Anfang meiner Arbeit noch wie
ein Klötzchen aus. Erst machte ich das eckige rund
und die Umrisse. Der Kopf kam in der Mitte dran.
Ich hatte einen alten, festen Linolschneider, mit dem
wurde dann alles, was ich rausgekerbt hatte, so rillig.
Mit einem kleinen Küchenmesser, und der unscharfen
Seite des Linolschneiders brachte ich die Rillen fort.
Daß ich's anmalen wollte, der Gedanke kam mir erst
richtig später als es schon halb fertig war. Ich hab's
dann angemalt, aber die Farben haben mir nicht ge-
fallen und da hielt ich's unters Wasser und schrubbte
es ab. Aber die Farben gingen nicht ganz raus. Ich
probierte dann nochmals, die Frau etwas runder zu
bekommen, und merkte, daß das Holz etwas weicher
war. Mir gefiel die Frau recht gut. Aber auf einmal
kam mir's noch mehr zu Bewußtsein als am Anfang.
Die Frau ist so flach, der Kopf ist schön, aber an den
Seiten fehlt etwas, ich glaube die Hüften. Die Arme
machten mir bei der Arbeit viel Spaß. Die Hände sind
mir zu knupelig. Ich will aber jetzt versuchen, daß ich
all diese Mängel beseitigen kann.
Ich glaube, es ist sehr schwer. Ich brauche jetzt
ein dickeres Brett und mehr Geduld.
Erna L. (O III D. O; 14 Jahre alt.)
Das Thema „Töpfe auf Tischtuch", ließ wohl bei vie-
len von uns Erinnerung an eine Ausbildungszeit wach
werden, in der diese Dinge eine übergewichtige Rolle
gespielt haben. Wie ist diese Aufgabe im neuen Sinne
zu lösen?
Auch hier liegt die Entscheidung bei dem Kinde
selbst. Wieviel bildnerische Vorstellung besitzt es
von diesen Dingen? Wieweit ist sein Verwirklichungs-
vermögen entwickelt? Eine Korrektur des Richtigzeich-
nens im alten Sinne kann der Gestaltungsfähigkeit
nicht weiterhelfen. Die Arbeit muß den Denkvorgang
der Schülerin widerspiegeln, dann ist die Möglichkeit
eines .formal reinen Bestandes gegeben. Ist die Vor-
stellung unzulänglich, so können Gefäße angesehen
werden, so oft die Schülerin es will, aber sie soll sie
nicht einfach abzeichnen; denn ihre Arbeit soll eine
erkenntnismäßige Verarbeitung des Gesehenen dar-
stellen, kein unbeurteiltes Abbild der zufälligen Er-
scheinung des Objektes.
+ + t
In einer Quarta zeigte Herr St.R. Betzler wie die
Schüler die Aufgabe: „Tier" lösten. Die Wahl des
Tieres war den Schülern freigestellt. In der Bespre-
chung der Arbeiten zeigte sich, wie gut die Kinder
selbst die Punkte zu finden wissen, wo ihre Zeichnun-
gen Unklarheiten im Bildnerischen zeigten.
In einerUnterprima sahen wir Vorstellungsbilder von
Häusern und Pflanzen, die der Reife der Schüler ent-
sprechend, einer weiter differenzierten Vorstellung
entsprachen.
In der Kunstbetrachtungsstunde wurde den Schülern
ein Madonnen-Bild von einem modernen Künstler vor-
gelegt, als Vergleich dazu ein Ausschnitt aus dem Grün-
waldschen Madonnenbild. Die Schüler sahen sich all-
mählich hinein, klärten in der Zwiesprache und unter
Leitung des Lehrers die Begriffe des Natürlichen, Stili-
sierten und Symbolischen und erkannten schließlich,
daß das erste Bild im Gegensatz zu Grünwald viele
manierierte Elemente aufwies und also nicht einer
innerlich lebendigen und reinen Vorstellung entspre-
chen konnte.
In einem Vortrag gab Herr St.R. Gottschow eine
Übersicht über die kunslpädagogischo Literatur. Ei
kennzeichnete die Verschiedenheit der Stellungnahme
zu den kunsterzieherischen Fragen in den Schriften
und Büchern von Kolb, Natter, Frank, Pallat, Kerschen-
steiner, Krötsch, Weismantel, Hartlaub, Debrunner,
Müller Freienfels, Wulff, Broder, Christiansen, Stiehler,
Bergemann, Könitzer. Er wies auf die Tagebücher gro-
ßer Maler wie Dürer, Leonardo, Picasso, Juan Gris, fer-
ner auf die Schriften von Fiedler, Marees und Hilde-
brand hin und betonte, wie sehr sich diese großen
Künstler um die theoretische Erkenntnis ihres Tuns be-
müht haben und daß auch wir als Erzieher uns um das
Studium dieser Werke mühen sollen.
Gedanken über bildnerische Gestaltung finden wir
ebenso in der antiken Literatur, bei Sokrates, Plato,
Theophrast, den Stoikern, Epikuräern, Cicero und dar-
auf aufbauend bei den Deutschen Goethe, Keller,
Winkelmann, Lessing, Kant, Nietzsche, Schopenhauer,
Britsch. Der Letztere hat für uns noch die besondere
Bedeutung, daß er aus seinen Betrachtungen einen
Schluß für die Schule gezogen hat, ohne von der
Schule zu sprechen.
An ausgelegtem Bildmaterial erläuterte Herr Gott-
schow die Begriffe: lebendige Gestaltung und ana-
112
beiten."
Die kleine Bildschnitzerei einer 14 Jährigen schien
Herrn Gottschow das Wesen dieser kindlichen Gestal-
tungsweise rein zu zeigen. Die schriftliche Aufzeich
nung des Kindes zu seiner Arbeit folgt hier wörtlich.
Meine Marktfrau
Wie sie ist Wie ich sie haben wollte
Wie sie ist
Wie ich sie haben möchte Was noch dazu gehört
Ich hatte ein Stück Holz, das hinten schon sehr schön
rund war, vorne eckig. Oben das, was der Kopf wer-
den sollte, sah am Anfang meiner Arbeit noch wie
ein Klötzchen aus. Erst machte ich das eckige rund
und die Umrisse. Der Kopf kam in der Mitte dran.
Ich hatte einen alten, festen Linolschneider, mit dem
wurde dann alles, was ich rausgekerbt hatte, so rillig.
Mit einem kleinen Küchenmesser, und der unscharfen
Seite des Linolschneiders brachte ich die Rillen fort.
Daß ich's anmalen wollte, der Gedanke kam mir erst
richtig später als es schon halb fertig war. Ich hab's
dann angemalt, aber die Farben haben mir nicht ge-
fallen und da hielt ich's unters Wasser und schrubbte
es ab. Aber die Farben gingen nicht ganz raus. Ich
probierte dann nochmals, die Frau etwas runder zu
bekommen, und merkte, daß das Holz etwas weicher
war. Mir gefiel die Frau recht gut. Aber auf einmal
kam mir's noch mehr zu Bewußtsein als am Anfang.
Die Frau ist so flach, der Kopf ist schön, aber an den
Seiten fehlt etwas, ich glaube die Hüften. Die Arme
machten mir bei der Arbeit viel Spaß. Die Hände sind
mir zu knupelig. Ich will aber jetzt versuchen, daß ich
all diese Mängel beseitigen kann.
Ich glaube, es ist sehr schwer. Ich brauche jetzt
ein dickeres Brett und mehr Geduld.
Erna L. (O III D. O; 14 Jahre alt.)
Das Thema „Töpfe auf Tischtuch", ließ wohl bei vie-
len von uns Erinnerung an eine Ausbildungszeit wach
werden, in der diese Dinge eine übergewichtige Rolle
gespielt haben. Wie ist diese Aufgabe im neuen Sinne
zu lösen?
Auch hier liegt die Entscheidung bei dem Kinde
selbst. Wieviel bildnerische Vorstellung besitzt es
von diesen Dingen? Wieweit ist sein Verwirklichungs-
vermögen entwickelt? Eine Korrektur des Richtigzeich-
nens im alten Sinne kann der Gestaltungsfähigkeit
nicht weiterhelfen. Die Arbeit muß den Denkvorgang
der Schülerin widerspiegeln, dann ist die Möglichkeit
eines .formal reinen Bestandes gegeben. Ist die Vor-
stellung unzulänglich, so können Gefäße angesehen
werden, so oft die Schülerin es will, aber sie soll sie
nicht einfach abzeichnen; denn ihre Arbeit soll eine
erkenntnismäßige Verarbeitung des Gesehenen dar-
stellen, kein unbeurteiltes Abbild der zufälligen Er-
scheinung des Objektes.
+ + t
In einer Quarta zeigte Herr St.R. Betzler wie die
Schüler die Aufgabe: „Tier" lösten. Die Wahl des
Tieres war den Schülern freigestellt. In der Bespre-
chung der Arbeiten zeigte sich, wie gut die Kinder
selbst die Punkte zu finden wissen, wo ihre Zeichnun-
gen Unklarheiten im Bildnerischen zeigten.
In einerUnterprima sahen wir Vorstellungsbilder von
Häusern und Pflanzen, die der Reife der Schüler ent-
sprechend, einer weiter differenzierten Vorstellung
entsprachen.
In der Kunstbetrachtungsstunde wurde den Schülern
ein Madonnen-Bild von einem modernen Künstler vor-
gelegt, als Vergleich dazu ein Ausschnitt aus dem Grün-
waldschen Madonnenbild. Die Schüler sahen sich all-
mählich hinein, klärten in der Zwiesprache und unter
Leitung des Lehrers die Begriffe des Natürlichen, Stili-
sierten und Symbolischen und erkannten schließlich,
daß das erste Bild im Gegensatz zu Grünwald viele
manierierte Elemente aufwies und also nicht einer
innerlich lebendigen und reinen Vorstellung entspre-
chen konnte.
In einem Vortrag gab Herr St.R. Gottschow eine
Übersicht über die kunslpädagogischo Literatur. Ei
kennzeichnete die Verschiedenheit der Stellungnahme
zu den kunsterzieherischen Fragen in den Schriften
und Büchern von Kolb, Natter, Frank, Pallat, Kerschen-
steiner, Krötsch, Weismantel, Hartlaub, Debrunner,
Müller Freienfels, Wulff, Broder, Christiansen, Stiehler,
Bergemann, Könitzer. Er wies auf die Tagebücher gro-
ßer Maler wie Dürer, Leonardo, Picasso, Juan Gris, fer-
ner auf die Schriften von Fiedler, Marees und Hilde-
brand hin und betonte, wie sehr sich diese großen
Künstler um die theoretische Erkenntnis ihres Tuns be-
müht haben und daß auch wir als Erzieher uns um das
Studium dieser Werke mühen sollen.
Gedanken über bildnerische Gestaltung finden wir
ebenso in der antiken Literatur, bei Sokrates, Plato,
Theophrast, den Stoikern, Epikuräern, Cicero und dar-
auf aufbauend bei den Deutschen Goethe, Keller,
Winkelmann, Lessing, Kant, Nietzsche, Schopenhauer,
Britsch. Der Letztere hat für uns noch die besondere
Bedeutung, daß er aus seinen Betrachtungen einen
Schluß für die Schule gezogen hat, ohne von der
Schule zu sprechen.
An ausgelegtem Bildmaterial erläuterte Herr Gott-
schow die Begriffe: lebendige Gestaltung und ana-
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