Holzschnitten
Aus der Erziehungsanstalt
dos Lehrers Lad. Svarc in Prag
leuchtungseffekte. Aber wir sehen nicht das, was das
Theater allein erlebenswert macht, — das sinnlich-
geistige Fluidum, das von Szene und Komödiant so
unentrinnbar und ewig auf uns hierniederströmt. Die
optische Treue ist da. Aber sie ist das einzige,
was man n i e erlebt hat, was nicht erlebens- und auf-
bewahrungswert ist — was, wenn es aufbewahrt wird,
stets das Lächeln der Nachfahren über die Unzuläng-
lichkeiten ihrer Voreltern erregen wird. Der sinnlich-
geistige Sinn des Erlebnisses fehlt dem optischen
Dokument, fehlt der Photographie!
Und dazu wäre das Bild — die Zeichnung etwa im-
stande?
Bei den Göttern des Theatersl Bei Magnasco, Wat-
teau und Callot. — Dazu ist die Malerei imstande!
Denken wir an die phantastischen Gouachen Menzels
zu Mozart — werfen wir einen Blick auf die Blätter
der Orlikschen Hamsunmappe in dieser Ausstellung-
und Ihre Phantasie wird Ihnen ohne weiteres einen
Hauch von Geist und Sinnlichkeit, Inhalt und Ausdruck
des Theaters vermitteln, das auf diesen Blättern dar-
gestellt ist.
Gestatten Sie mir, Ihnen eine Geschichte zu erzäh-
len, die mir unser Berliner Komiker Takob Tiedtke be-
richtete, als er mir neulich für meine Reinhardtmappe
Modell saß.
Tiedtke hat sich seine ersten Theatersporen drüben
im Haus am Gendarmenmarkt verdient, wo damals
der Genius Matkowski regierte, der alles, was in sei-
ner Nähe war, in seinem Banne hielt. Nach dem Thea-
ter saß man bei Stallmann beim Biere, am großen
runden Tisch in der Ecke. Tiedtke war da und Räder,
der Sohn des Schauspielers und Dichters von „Robert
und Bertram" — und Otto Erich Hartleben machte,
sehr zum Ärger von Räder, das Theater mies und sang
ein hohes Lied auf den funkelnagelneuen Naturalismus
der Szene . . . Und die Schauspielkunst hat nur als
Imitation der Wirklichkeit eine Berechtigung!-
und wenn man auf dem Theater einen Dienstmann zu
spielen hat, dann soll man ihn am besten direkt von
der Ecke Leipziger und Friedrichstraße weg auf die
Bretter holenl-Und was dergleichen neumodi-
scher Kram mehr war. Matkowski war unterdessen
etwas abgespannt aus der Vorstellung gekommen und
hatte sich sein Bier und Eisbein bestellt. Räder sprach
wild und mit Empörung über das, was Olto Erich Hart-
leben soeben gesagt hatte, auf ihn ein — da setzte
Matkowski das Seidel ab, legte Messer und Gabel
auf den Sauerkohl und fing, ohne die Stimme zu er-
heben, ohne zu gestikulieren, ohne durch ein lauteres
Wort die Aufmerksamkeit der Nebentische auf sich zu
lenken und ohne jede Einleitung an:
„Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller."
— und so fort — den ganzen großen Monolog
Orests aus Goethes „Iphigenie".
Totenstill war alles um ihn her — kein Wort. —
Und Hartleben griff erschüttert nach Matkowskis
Hand und küßte sie und ging.
Holzarbeiten Aus der Erziehungsanstall
des Lehres Lad. Svarc in Prag
136
Aus der Erziehungsanstalt
dos Lehrers Lad. Svarc in Prag
leuchtungseffekte. Aber wir sehen nicht das, was das
Theater allein erlebenswert macht, — das sinnlich-
geistige Fluidum, das von Szene und Komödiant so
unentrinnbar und ewig auf uns hierniederströmt. Die
optische Treue ist da. Aber sie ist das einzige,
was man n i e erlebt hat, was nicht erlebens- und auf-
bewahrungswert ist — was, wenn es aufbewahrt wird,
stets das Lächeln der Nachfahren über die Unzuläng-
lichkeiten ihrer Voreltern erregen wird. Der sinnlich-
geistige Sinn des Erlebnisses fehlt dem optischen
Dokument, fehlt der Photographie!
Und dazu wäre das Bild — die Zeichnung etwa im-
stande?
Bei den Göttern des Theatersl Bei Magnasco, Wat-
teau und Callot. — Dazu ist die Malerei imstande!
Denken wir an die phantastischen Gouachen Menzels
zu Mozart — werfen wir einen Blick auf die Blätter
der Orlikschen Hamsunmappe in dieser Ausstellung-
und Ihre Phantasie wird Ihnen ohne weiteres einen
Hauch von Geist und Sinnlichkeit, Inhalt und Ausdruck
des Theaters vermitteln, das auf diesen Blättern dar-
gestellt ist.
Gestatten Sie mir, Ihnen eine Geschichte zu erzäh-
len, die mir unser Berliner Komiker Takob Tiedtke be-
richtete, als er mir neulich für meine Reinhardtmappe
Modell saß.
Tiedtke hat sich seine ersten Theatersporen drüben
im Haus am Gendarmenmarkt verdient, wo damals
der Genius Matkowski regierte, der alles, was in sei-
ner Nähe war, in seinem Banne hielt. Nach dem Thea-
ter saß man bei Stallmann beim Biere, am großen
runden Tisch in der Ecke. Tiedtke war da und Räder,
der Sohn des Schauspielers und Dichters von „Robert
und Bertram" — und Otto Erich Hartleben machte,
sehr zum Ärger von Räder, das Theater mies und sang
ein hohes Lied auf den funkelnagelneuen Naturalismus
der Szene . . . Und die Schauspielkunst hat nur als
Imitation der Wirklichkeit eine Berechtigung!-
und wenn man auf dem Theater einen Dienstmann zu
spielen hat, dann soll man ihn am besten direkt von
der Ecke Leipziger und Friedrichstraße weg auf die
Bretter holenl-Und was dergleichen neumodi-
scher Kram mehr war. Matkowski war unterdessen
etwas abgespannt aus der Vorstellung gekommen und
hatte sich sein Bier und Eisbein bestellt. Räder sprach
wild und mit Empörung über das, was Olto Erich Hart-
leben soeben gesagt hatte, auf ihn ein — da setzte
Matkowski das Seidel ab, legte Messer und Gabel
auf den Sauerkohl und fing, ohne die Stimme zu er-
heben, ohne zu gestikulieren, ohne durch ein lauteres
Wort die Aufmerksamkeit der Nebentische auf sich zu
lenken und ohne jede Einleitung an:
„Es ist der Weg des Todes, den wir treten:
Mit jedem Schritt wird meine Seele stiller."
— und so fort — den ganzen großen Monolog
Orests aus Goethes „Iphigenie".
Totenstill war alles um ihn her — kein Wort. —
Und Hartleben griff erschüttert nach Matkowskis
Hand und küßte sie und ging.
Holzarbeiten Aus der Erziehungsanstall
des Lehres Lad. Svarc in Prag
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