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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 6 (Juni 1931)
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Klauss, Otto: Darstellen und Gestalten: ein Beitrag zu dem Problem der Unterrichtsgestaltung an Oberklassen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0162

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die angeschlossenen Ausführungen sollen ihn erhal-
ten —, daß eine direkte Brücke vom sach-
lichen Darstellen zum Gestalten in der
bisher angestrebten Form nicht her-
überführt, und daß eine klare Trennung
im Interesse befriedigender Unter-
richtserfolge auf beiden Gebieten un-
bedingt notwendig ist.
Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, sei fest-
gestellt, daß ich damit jenen unnatürlichen Versuch
meine, Dinge, die im sachlich darstellenden Unter-
richt „gelernt" worden sind, nun im Gestaltungsunter-
richt als sachlich gereinigtes Motiv „anzuwenden".
Einige Beispiele: Man zeichnet etwa ein Beil und
versucht, die vor dem Gegenstand sachlich „korri-
gierte" Vorsteliungszeichnung irgend einer Gestai-
lungsarbeit einzufügen, etwa einer dekorativen oder
auch einer figürlich freien Arbeit. Man behandelt
perspektivisch die Aufgabe „Stuhl" und stellt nach
geklärtem und gründlich durchgezeichnetem Tat-
sachenbestand die Gestaltungsaufgabe „sitzender
Mann" oder „in der Kneipe", in der Hoffnung, den
Stuhl nun „richtig" in diesem Bildzusammenhang wie-
dervorzufinden und dann eine besonders gute und
gereinigte Gestaltung erwarten zu dürfen. Oder um-
gekehrt: Der Gestaltungsunterricht behandelt die Auf-
gabe „grabender Bauer"; um die Gesamt- und die
Einzelvorstellung zu „klären", stellt man einen Schüler
in dieser Haltung und verbessert zeichnender- und
korrigierenderweise Stellung und Haltung der Arme
und Beine, der Schaufel, Form und Aussehen der grei-
fenden Hände. Gründlich ist diese Methode, aber
auch grundverkehrt, denn wo sie den Schüler über
Äußerliches klar machen will, da raubt sie ihm die
wichtigste Voraussetzung zu einer wertvollen Schüler-
gestaltung: Die Erlebnis- und Vorstellungseinheit, die
innere Bildklarheitl
I.
Das Problem und einige psychologische Versuche zu
seiner Klärung.
Eine Reihe psychologischer Versuche an verschie-
denen Klassen und verschiedenen, dem Versuchs-
thema angepaßten Aufgaben sollten dazu beitragen,
diese wichtige Frage etwas aufzuhellen. Der Absicht,
möglichst klare Versuchsbedingungen zu schaffen,
kam die Tatsache einer Neuübernahme des Unter-
richts an diesen Klassen entgegen, so daß der Vor-
wurf der „Dressur" ausgeschaltet werden darf. Außer-
dem stellen die Versuchsergebnisse der Aufgaben
für Linolschnitt und Radierungen allererste Lösungen
in diesen Techniken dar, was besonders beachtet
sein will, da damit jede technische Routine aus-
geschlossenwar und manche technische Primitivitäten
erklärt sind.
Die Ergebnisse seien hier zunächst im einzelnen
mitgeteilt und in einer angeschlossenen Stellung-
nahme zusammenfassend gewertet. Es ist zu ihrer
Beurteilung noch vorauszuschicken, daß derartige
psychologische Reihenversuche wohl immer stören-
den Einflüssen unterliegen müssen. Man denke an die
oft auffallende Verschiedenheit der durchschnittlichen
Klassenbegabung, an die Zufälle der Einführung, an
die sonst oft wertvolle und geschätzte Tatsache, daß
der Schüler sich in seiner Arbeit unbewußt über Ein-
schränkungen oder gar Fehler methodischer Art, über
suggestive Beeinflussungen durch den Lehrer weg-
setzt und so gestaltet, wie es ihm eben liegt. Ab-
gesehen davon, liegen aber doch in der Gesamthal-
tung der Ergebnisse bündige und klar greifbare Fälle
vor, die gewiß-keinen wissenschaftlichen Beweis dar-
stellen, die aber auch keine glatten Fehlschlüsse mehr
zulassen.

A. Die Untersuchung galt zunächst dei V.piliigv
die ein Gestaltungsproblem aussclraltete: Wie ui
beitet der Schüler beim sachlichen
D a r s t e I I e n ?
Eine Aufgabe aus dem konstruktiven Werkzeichnen.
„Stuhl, perspektivisch" wurde von einer Klasse 9 (0 1)
nach der Anschauung (vor dem Modell) wiedergege-
ben, von einer Klasse 7 (Oll) aus der Vorstellung
nach eingehender, das Konstruktive und Funktionelle
des Gegenstandes klar betonender Einführung. Die
zur Untersuchung stehende 9. Klasse hatte bis zu
Klasse 7 (Oll) an einem gründlichen Unterricht in
Perspektive der bisher üblichen Art teilgenommen.
Die 7. Klasse machte eine derartige Aufgabe zum
erstenmal. Das Gesamtergebnis war durchaus gleich-
wertig; Vorbildung, Altersstufe und Schwierigkeit der
besonderen Aufgabestellung berücksichtigt, besser
in Klasse 7 (O II). Es ergab sich sogar die (nicht mehr
überraschende) Tatsache, daß einzelne unbegabte
Schüler von Klasse 9 vor dem Modell typische
Vorstellungszeichnungen hervorbrachten (I), die sich
kaum im einzelnen von den aus der Vorstellung ge-
schaffenen ihrer gleich schlecht begabten Kameraden
aus Klasse 7 unterschieden. (Tatbestand: Überlage-
rung von „Ansichten" durch Schaubilder.) Die gu-
ten Arbeiten von Klasse 7 aus der Vorstellung waten
aber gleichwertig denen von Klasse 9.
Psychologische Feststellungen:
1. Das objektive Beobachten eines Gegenstandes
oder eines Raumbildes von einem einzigen festgeleg-
ten Augpunkte aus, wie es die Gesetze der male-
rischen Perspektive vorschreiben, fällt selbst dern
Durchschnittsschüler so schwer, daß ei immer wieder
versucht ist, das objektiv-optische Sehbild durch sein
ihm geläufiges Vorstellungs- oder Schaubild zu er-
setzen. (Die gleiche Beobachtung gilt für das Zeich-
nen nach Gegenständen des Gebrauchs und dei
Raumperspektive.) Es ist auffallend, wie häufig es
beim Zeichnen vor der Natur vorkommt, daß perspek-
tivisch nach unten laufende Raumveikürzungslinien
nach oben laufend gezeichnet werden: Ein Turm etwa
in einer Art Vogelschau, während der Standort „Frosch-
perspektive" bedingen würde. Diese Erfahrung ist
jedem Zeichenlehrer so geläufig, daß auf eine spe-
zielle, beweisführende Untersuchung dahei verzieh
tet werden kann.
2. Wenn dieses Vorstellungsbild in sich einheitlich,
das Raumkörperliche klar zur Darstellung bringend ist,
so ist nicht einzusehen, warum die Konsequenz und
Logik des vorsteilungsmäßigen „Denkens" dei Schü-
ler zugunsten einer mathematisch-perspektivischen,
richtigen Darstellung zerstört werden soll, denn nir-
gendwo im praktischen Leben ist der Nachweis die-
ses besonderen Könnens zu erbiingen. (Architekten
und Werkmeister arbeiten anders.)
3. Der Durchschnittsschüler wird die Forderung wirk-
lich streng sachlicher Einstellung (größtmögliche Aus-
schaltung des Subjektiven) vor dem Objekt nie er-
füllen können, es sei denn vor Gegenständen des
Gebrauchs, die gar keine oder beinahe keine Pro-'
bleme des raumkörperlichen Sehens enthalten (vor-
wiegend flächenhafte Gegenstände), oder die gar
keine innere Teilnahme erwecken.
Schulpraktische Folgerungen:
Alle Übungen in der sogenannten malerischen Pe>
spektive, die das „Abzeichnen" unmittelbar vor den
Objekt pflegen, sind für die Erziehung zum vorsle1
lungsmäßigen künstlerischen Sehen hemmend. Sic
haben lediglich die Aufgabe, dem Schüler die elemen
tarsten Phänomene optisch-räumlicher Sinneswah.
nehmungen faßbar zu machen. Die Einschränkung auf
die allernotwendigsten Übungen ist ein Gebot de-
Selbsterhaltung für die gesamte Kunsterziehung. Die
frei werdende Zeit kann umso intensiver verv/endei

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