Moose. Kaltnadelradierung. Nadi vorausgegangener Lehrerinnenbildungsanstalf in Schw. Gmünd
Beobachtung aus der Vorstellung radiert (Fr. Zeichenoberlehrer in H. Dopfer)
lischen Haltung entgegen, die in empfindsamen Men-
schen den Schrecken des Krieges und der nächsten
Jahre gefolgt ist, jener Scheu vor der großen Erregung
und dem Ernst des Schicksals; und zugleich entspricht
seine Kunst jener Übermüdung durch das schulmäßig
Europäische, der Freude an tausend Spielarten rätsel-
haft scheinender Kostbarkeiten aus allen Zeiten und
Zonen, die man im Zimmer hat oder haben möchte,
bescheiden im Umfang, unerschöpflich in der Seltsam-
keit der Erfindung, mit der sie den Geist beschäftigen
und ergötzen.
Wir haben von dem tragenden und empfangenden
Boden gesprochen, in dem Klees Zauberblumen Wur-
zeln schlagen. Aber nun das eigentlich Entscheidende:
die Tatsache der außerordentlichen Begabung Klees,
der einzigartigen Köstlichkeit seiner Werke.
Denn hier ist alles, was die kunstempfängliche Seele
des gegenwärtigen Europäers der angedeuteten Art
braucht, was sie entzückt und dankbar macht: bestes
Handwerk, keinerlei Lehrhaftigkeit, keine Erinnerung
an schon Gesehenes, sondern Überraschung, Fülle der
Form, Zartheit und Prunk der Farbe, Wirkliches und
Unwirkliches unlösbar verwoben, Mögliches und Un-
mögliches, Sinnhaftes irgendwo, und dann doch mit
Ausbiegung in Spiel oder Schnörkel aufgehoben oder
verlächelt, Spaß und Ernst in Einem, nirgends etwas
Schweres, stets leicht, schme'.terlinghaft, und schön,
schön wie erlesene Dinge aus Persien oder China,
bis ins letzte harmonisch gleich edler Musik, und vor
allem: Erfindung, Einfälle über Einfälle, nie gesehene
Einfälle, immer unbegreiflich neu in Flächen oder Li-
nienwerk ausgesponnen, jedes Bild eine ganz eigene
überraschende Schöpfung von Grund auf: eine strö-
mend-bewegliche Einbildungskraft, die im Vergleich
mit anderen Schaffenden als ein Wunder erscheint.
Im dauernden Besitz unserer Sammlung befinden
sich nur wenige Gemälde und Aquarelle; wer sie ge-
nauer kennt, wird sie für besonders kostbar halten,
auch der Künstler selbst denkt so, doch könnte das
Vielfache an Bildern da sein ohne den Zauber des
Einzelnen abzuschwächen oder von der Fülle seiner
Gesichte eine erschöpfende Vorstellung zu geben.
Der goldene Fisch (Abb. Seite 208) — hier ist
Klee der gewohnten Wirklichkeit näher als sonst, und
so mag der Galerie-Besucher damit beginnen. Ein
großer Fisch inmitten, ein paar kleinere umher, Pflänz-
chen im dunklen Wasser. Gegenstand und gleichsei-
tige Anlage könnte man schon ähnlich gesehen haben,
auf einer Rhages-Schale, einem romanischen Gewebe.
Da nähme man es auch nicht so genau mit der Natur-
geschichte — denn diese Fische gibt es vermutlich
nicht. Der Schöpfer aller Geschöpfe mußte immer auf-
passen, daß sie auch leben könnten in dieser schwie-
rigsten und gefährlichsten aller Welten, das braucht
Klee nicht, denn sein goldener Fisch ist ja nur gemalt,
es hat Spaß gemacht, ihn so zu malen, mit lustigem
Zierat, rot und gold; ein bißchen komisch ist er, wie
so vieles was wir in den Aquarien gesehen haben,
dumm wahrscheinlich, und hübsch, und schwimmt nicht
in gewöhnlichem Wasser, um ihn her ist es fast schwarz,
und da wirkt sein goldenes Geschnörkel noch viel
zarter, unwirklicher. Nach den Rändern zu wird es
blau, tief prunkend, bald dunkler, bald heller. Die klei-
neren Genossen am Rand, rot, violett, sind plumper,
vielleicht noch dümmer — was für Gesichter! sind das
eigentlich Fisch-Gesichter, oder verzauberte Men-
schen? macht sich der Maler lustig über die Fische
oder über die Menschen, oder gar über die Natur als
solche, die ehrwürdige? was will er überhaupt? will
er irgend etwas sagen, oder will er vielleicht gar
nichts sagen, nur spielen? darf er denn das, müssen
wir uns das gefallen lassen, wenn wir ernste Jünger
der Kunst sind, der heiligen? freilich, es hat schon
viele heitere Bilder gegeben, spottend, sogar beißend,
aber dann wußte man doch was gemeint war, es stand
unten am Rahmen, und manchmal las man ausführliche
210
Beobachtung aus der Vorstellung radiert (Fr. Zeichenoberlehrer in H. Dopfer)
lischen Haltung entgegen, die in empfindsamen Men-
schen den Schrecken des Krieges und der nächsten
Jahre gefolgt ist, jener Scheu vor der großen Erregung
und dem Ernst des Schicksals; und zugleich entspricht
seine Kunst jener Übermüdung durch das schulmäßig
Europäische, der Freude an tausend Spielarten rätsel-
haft scheinender Kostbarkeiten aus allen Zeiten und
Zonen, die man im Zimmer hat oder haben möchte,
bescheiden im Umfang, unerschöpflich in der Seltsam-
keit der Erfindung, mit der sie den Geist beschäftigen
und ergötzen.
Wir haben von dem tragenden und empfangenden
Boden gesprochen, in dem Klees Zauberblumen Wur-
zeln schlagen. Aber nun das eigentlich Entscheidende:
die Tatsache der außerordentlichen Begabung Klees,
der einzigartigen Köstlichkeit seiner Werke.
Denn hier ist alles, was die kunstempfängliche Seele
des gegenwärtigen Europäers der angedeuteten Art
braucht, was sie entzückt und dankbar macht: bestes
Handwerk, keinerlei Lehrhaftigkeit, keine Erinnerung
an schon Gesehenes, sondern Überraschung, Fülle der
Form, Zartheit und Prunk der Farbe, Wirkliches und
Unwirkliches unlösbar verwoben, Mögliches und Un-
mögliches, Sinnhaftes irgendwo, und dann doch mit
Ausbiegung in Spiel oder Schnörkel aufgehoben oder
verlächelt, Spaß und Ernst in Einem, nirgends etwas
Schweres, stets leicht, schme'.terlinghaft, und schön,
schön wie erlesene Dinge aus Persien oder China,
bis ins letzte harmonisch gleich edler Musik, und vor
allem: Erfindung, Einfälle über Einfälle, nie gesehene
Einfälle, immer unbegreiflich neu in Flächen oder Li-
nienwerk ausgesponnen, jedes Bild eine ganz eigene
überraschende Schöpfung von Grund auf: eine strö-
mend-bewegliche Einbildungskraft, die im Vergleich
mit anderen Schaffenden als ein Wunder erscheint.
Im dauernden Besitz unserer Sammlung befinden
sich nur wenige Gemälde und Aquarelle; wer sie ge-
nauer kennt, wird sie für besonders kostbar halten,
auch der Künstler selbst denkt so, doch könnte das
Vielfache an Bildern da sein ohne den Zauber des
Einzelnen abzuschwächen oder von der Fülle seiner
Gesichte eine erschöpfende Vorstellung zu geben.
Der goldene Fisch (Abb. Seite 208) — hier ist
Klee der gewohnten Wirklichkeit näher als sonst, und
so mag der Galerie-Besucher damit beginnen. Ein
großer Fisch inmitten, ein paar kleinere umher, Pflänz-
chen im dunklen Wasser. Gegenstand und gleichsei-
tige Anlage könnte man schon ähnlich gesehen haben,
auf einer Rhages-Schale, einem romanischen Gewebe.
Da nähme man es auch nicht so genau mit der Natur-
geschichte — denn diese Fische gibt es vermutlich
nicht. Der Schöpfer aller Geschöpfe mußte immer auf-
passen, daß sie auch leben könnten in dieser schwie-
rigsten und gefährlichsten aller Welten, das braucht
Klee nicht, denn sein goldener Fisch ist ja nur gemalt,
es hat Spaß gemacht, ihn so zu malen, mit lustigem
Zierat, rot und gold; ein bißchen komisch ist er, wie
so vieles was wir in den Aquarien gesehen haben,
dumm wahrscheinlich, und hübsch, und schwimmt nicht
in gewöhnlichem Wasser, um ihn her ist es fast schwarz,
und da wirkt sein goldenes Geschnörkel noch viel
zarter, unwirklicher. Nach den Rändern zu wird es
blau, tief prunkend, bald dunkler, bald heller. Die klei-
neren Genossen am Rand, rot, violett, sind plumper,
vielleicht noch dümmer — was für Gesichter! sind das
eigentlich Fisch-Gesichter, oder verzauberte Men-
schen? macht sich der Maler lustig über die Fische
oder über die Menschen, oder gar über die Natur als
solche, die ehrwürdige? was will er überhaupt? will
er irgend etwas sagen, oder will er vielleicht gar
nichts sagen, nur spielen? darf er denn das, müssen
wir uns das gefallen lassen, wenn wir ernste Jünger
der Kunst sind, der heiligen? freilich, es hat schon
viele heitere Bilder gegeben, spottend, sogar beißend,
aber dann wußte man doch was gemeint war, es stand
unten am Rahmen, und manchmal las man ausführliche
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