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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 8 (August 1931)
DOI Artikel:
Zacharias, Alfred: Ewige Formen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0225

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Wiesenblumen.
Kalinadelradierung.
Nadi vorausgegange-
ner Beobachtung aus
derVorsfellung radiert

Charlotlen-Realschule
in Stuttgart
(Fr. Zeichenl. Haug)


immer Problem der Baukunst sein, und die Qualität
sehr weitgehend bestimmen. Desgleichen die Türe
oder das Tor. Hier treten nun auch die Bogen auf.
Türe und Fensterbogen, ein immerwährendes Motiv.
Wie wölbt sich der römische Bogen, wie schwingt
der Romanische, wie der Maurische, wie der Gotische?
Wie verhält sich dazu der Bogen dieser oder jener
modernen Architektur, wo ist er so straff und schön
wie die alten, wo ist seine Form lax, langweilig und
ausdruckslos? Hier finden wir an einem Beispiel Stoff,
der uns auf weitere Beispiele zu unserem Thema
„Ewige Formen" führen wird.
Wir sind von den kleinen Gebrauchsgegenständen
des täglichen Lebens ausgegangen und zur Architek-
tur gelangt. Von hier aus sehen wir nun auf die In-
neneinrichtung: Ewige Formen in Tisch, Stuhl, Schrank,
auch hier wieder diese Formen der allgemeinen Gül-
tigkeit, neben den Formen der ausgesprochenen Stil-
entwicklung, z. B. der Barock- und Rokokomöbel. End-
lich die Formen der Waffen: Schwert, Lanze, Beil,
Helm, schließlich auch die Gefährte, vor allem das
Rad, vom Scheibenrad der Primitiven, bis zum Schei-
benrad der Limousinen, doch ist bei der letzteren
Gruppe zwischen künstleiischen und technischen Ge-
sichtspunkten abzugrenzen.
Die Ornamentik, der Schmuck jeglichen Gerätes
oder Gebäudes, bildet eine weitere Gruppe der
ewigen Formen. Die künstlerische Einheit der elemen-
taren Ornamente, des Altertums, der Exoten, der Ro-
mantik, der Neuzeit, als Zeugnis ewiger Form betrach-
tet, und wieder gegenübergestellt der höfisch künst-
lerischen Ornamentik komplizierter Stilformen.
Endlich sehen wir in der Gestaltung jeglicher sinn-
bildlicher oder zweckmäßiger Zeichen, weiterhin der
Schriftzeichen ein neues Gebiet unserer Betrachtun-
gen. Hier sind jegliche Zeichen zu versammeln, die
alten ägyptischen und assyrischen Bildschriftzeichen,

die Hausmarken und Siegel der europäischen Kul-
turen, die Zeichen-und Marken der exotischen Völker,
die Rangzeichen und Kennzeichen militärischer Art,
die Flaggen, schließlich die Signete und Fabrikzeichen
der Moderne. Die Wappenheraldik und die großen
Staatssiegel der Renaissance und späterer Zeiten
scheiden ebenfalls hier aus, es geht uns auch hier
wieder, einschränkend, um die allen Zeiten und Völ-
kern gemeinsamen zeitlosen Formen. Nun interessie-
ren wir uns auch für die eigentlichen Schriftzeichen,
für die Alphabete, nicht im Sinne des Lesens, sondern
nach dem Gesichtspunkt, daß jeder Buchstabe eine
aufgebaute künstlerische Form ist, die außer ihrem
Zweck der Mitteilung auch künstlerische Beurteilung
zuläßt. Wir sehen die Wiederkehr der Formen des
alten Römischen Alphabets der Trajansäule, dessen
Buchstaben aus Dreieck, Kreis und Geviert aufgebaut
sind, gerade in unseren modernsten Formen der Block
und Groteskschriften, wir versuchen in Anordnung der
Schriftblocks in der Fläche der Blätter, der Bücher,
der Steintafeln aller Völker und Zeiten Gesetzmäßig-
keiten zu finden, wir bemühen uns, ohne daß wir den
Wechsel und die Verschiedenheiten übersehen wol-
len, auch hier die „Ewigen Formen" herauszustellen.
Haben wir uns, von möglichst vielen Seiten her,
einen Besitz der guten „Ewigen Formen" für unsere
Augen erobert, sind wir aufnahmetähig für die Qua-
litäten solcher Formen geworden, so werden wir auch
einen Weg finden zu den komplizierten Formen der
Zeit- und Nationalstile. Ist unser Auge für die Har-
monie, für die Spannungen, für die Kraft der immer-
gültigen Formen gebildet, so werden wir in schwie-
rigen Fällen zu urteilen wissen, wir werden die Qua-
lität des Formenreichtums und der Überfülle einer
Barockschale erleben können, und sie von einer ähn-
lich erscheinenden „Prunkschale der Gründerzeit" un-
terscheiden lernen.

Geboren ist aller Bilderdienst aus überwältigender Macht des Schauens oder
aus Bildertrunkenheit. Diese bilderströmende Trunkenheit ist rein und lebens-
nah unter allen Naturvölkern wachgeblieben und schuf den Frommsinn, die
Mythen und Kulte der Gesamtmenschheit vor dem Beginn des weltgeschicht-
lichen Spaltungsprozesses. Ludwig Klages

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