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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 9 (September 1931)
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Kolb, Gustav: Wie stellen wir uns heute im Zeichen- und Kunstunterricht zum Ornament?
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0244

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Blühender Baum. Aus der Vorstellung gezeichnet. Mit Wasser-
farben bemalte Zeichnung eines Schülers (Quinta) der Schloß-
Realschule Stuttgart (Studienrat Fuchs)
Aus: Gustav Kolb „Bildhaftes Gestalten als Aufgabe der Volks-
erziehung" (Verlag Holland & Josenhans, Stuttgart)

nerlichkeit erahnen. Sein Symbol in der Baukunst wäre
„der dynamische Auftrieb in der Betonung der Senk-
rechten und eine intime Zier".*
Übrigens lebt das Ornament auch noch in unserer
Zeit der „Sachlichkeit". Spukt es nicht überall dort, wo
die Macht des Baumeisters nicht hinreicht und schlägt
der „Neuen Sachlichkeit" ein Schnippchen? Wie haben
uns erst kürzlich die Phantasieblumen in der neuesten
Frauenmode überrascht! Und man denke an die tau-
senderlei Dinge der Werbekunst, z. B. an das reizvolle
Gebiet der „Packung". An solchen farbenschillernden
Eintagsfliegen, die plötzlich, sozusagen über Nacht
im Grau der Straße auftauchen, um ebenso rasch
wieder zu verschwinden, — in ihrer Natur liegt es,
kein langes Leben haben zu dürfen —, können wir
selbst das üppigste Phantasieornament ertragen, wäh-
rend wir es an unseren Möbeln, die wir dauernd vor
Augen haben, verabscheuen würden.
Und lebt das Ornament nicht sogar noch an den
neuesten Bauten, die vorgeben, reine Zweckbauten
zu seinl Freilich nicht als Schnörkelornament, sondern
als streng rationales Flächenornament. Man denke an
die Aufteilung der Außenflächen, an die Fensterfrieße
und Schriftfelderl

Doch kehren wir wieder zur Jugenderziehung zurück.
Es ist schon lange festgestellt, daß der Trieb des
Kindes zum Schmücken sich zuerst in seinen Spielen,
namentlich in seinen Bewegungsspielen äußert — und
zwar völlig unabhängig von irgendwelchen Schmuck-
zwecken.
Auch das „Urornament" der Menschheit soll nicht
als Verzierung von Gebrauchsgegenständen entstan-
den sein. Man nimmt heute an, daß die Zierkunst
ursprünglich überhaupt nicht als eine Kunst für sich
auftrat, sondern im engsten Zusammenhang mit der
Selbstdarstellung des Menschen: in Verbindung mit
seinen Tänzen und seiner sprachlichen Verlautbarung.
' Siehe Broder Christiansen: „Das Gesicht unserer Zeit." (Felsenver-
lag, Buchenbach i. Br.)
230

(Vergleiche dazu die Ausführungen von G. Fr. Muth,
Kunst und Jugend 1929, Heft 8 und 9.)
Ebenso sicher steht aber fest, daß das, was wir das
„Zweckornament" nannten, schon in der „freien Kin-
derzeichnung" des vorschulpflichtigen Kindes vor-
gebildet ist. Und wir können es immer wieder stau-
nend wahrnehmen: Das Kind betätigt sich im Unter-
richt in diesem Sinne eigentriebig, aus sich heraus,
ohne daß wir es dazu veranlassen. Und
es betätigt sich dabei mit einer erstaunlichen instink-
tiven Sicherheit.
Darum entspricht es einer naturgemäßen Führung der
Jugend, wenn wir ihrem Schmucktrieb entgegenkom-
men und gelegentlich eine Übung im zweckgebun-
denen Schmücken in den Unterrichtsgang einschieben.
„Die Kinder sind unbedingt reif für diese Aufgabe."
Das stellte schon Kerschensteiner 1904 fest, obwohl
es jener Zeit noch versagt war, den rechten Weg
dazu im Unterricht zu finden.
Den Weg, den wir heute gehen — wir nennen ihn ■
den naturgemäßen — hat uns die Jugendpsychologie
und Völkerpsychologie vorgezeichnet. Er führt vom
Spielornament zum Zweckornament, also von der
freien Zierübung zum schmückenden Gestalten, zum
Verzieren von Gegenständen.
Wir haben aber auch von den methodischen Irrun-

gen früherer Jahrzehnte gelernt. Selbstverständlich
ist für uns jede Art von Kopieren, gleichviel nach
welchen Vorbildern, ausgeschlossen. Wir haben auch
erkannt — und das ist von besonderer Bedeutung, daß
der Weg von der bewußt studierten Naturform zur,
Kunstform, in diesem Fall zur Ornamentform, in un-
seren Schulen nicht zum Ziele führt. Und daß auch das
unmittelbare gedächtnismäßige „Anwenden" vorher
gezeichneter Naturformen nur naturalistische Ergeb-
nisse haben kann.
Die neuen Erkenntnisse, die in langjähriger sorg-
samer Unterrichtsarbeit reiften, fanden in den meisten
neuzeitlichen Lehrplänen ihren Niederschlag. Im württ.
Lehrplan für die Volksschulen heißt es z. B.: „Das
dekorative Gestalten geht vom Schmucktrieb des
Kindes aus, betätigt sich zunächst in freien Formen-;
und Farbenspielen und führt nach und nach zum
schmückenden Gestalten. Die Zierformen sind dabei

nicht von außen an die Schüler heranzubringen, indem
man sie ihnen fertig gibt, sie aus der Natur unmittel-
bar entnehmen oder bewußt ableiten läßt." Sondern

sie fließen, wie ihr gesamtes bildnerisches Gestalten,
aus der inneren Vorstellung, aus der Gesamtvorstel-
lung. Obwohl ursprünglich durch schauendes Natur-
erleben angeregt, sind sie ihrem Wesen nach doch
Erzeugnisse der erfinderischen Phantasie.

Phatasieblumen. — Schmücken
einer gegebenen Bildfläche.
Schülerarbeit des Reform-Real-
gymnasiums in Stuttgart (U III)

Aus: Gustav Kolb „Bildhaftes
Gestalten als Aufgabe der
Volkserziehung'' (Verlag Hol-
land & Josenhans, Stuttgart)
 
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