Zutun. So brachte mir einst ein Junge ein Stück knor-
riges Holz, aus dem er eine Burg schnitzen wollte, die
er darin sah, und ein anderer ein Stückchen Knochen,
das ihn zu einer phantastischen Zeichnung anregte.
Natürlich sammelten wir daraufhin allerlei Dinge, die
Anregungen ähnlicher Art geben konnten, und legten
damit eine Art Phantasiespeisekammer an. Einst ver-
suchte ich mit einer Klasse, angeregt durch Holunder-
zweige mit Beeren, freie rhythmisch betonte Flächen-
füllungen zu bilden, in denen nicht die Naturform mit
ihren Einzelheiten, sondern die in der Verzweigung
sichtbaren Bewegungslinien, ihre Winkel und Beeren-
flecken bestimmend sein sollten. Als ich am Ende
dieser Arbeit zu einer anderen Aufgabe übergehen
wollte, bat mich ein Schüler, ihn doch das zeichnen
Natürlich versuchten wir alle daraufhin diese An-
regung zu verwerten und hatten viel Freude daran.
Daß auch Klänge, Musik und große Farbflächen die
unbewußt schaffenden Kräfte anregen und freimachen
können, ist wohl bekannt; es gilt dies aber für jeg-
liche Art des Schaffens, nicht nur für die Bildsprache.
Ich gebe als Beispiel die Aussage eines Lehrers, der "
nach einem meiner Vorträge sich zum Wort meldete.
Er knüpfte an das an, was ich über die Einwirkung^
von Musik auf die Schaffensvorgänge der Kinder ge-
sagt hatte, und bot dafür ein Beispiel, indem er er-
zählte, in seiner Klasse wäre ein kleiner Junge ge- :
wesen, der im Rechnen nicht mitkommen konnte, weil
ihm — wie es schien — jegliche Zahlenvorstellung ge-
fehlt habe. Bei der großen Schülerzahl der Klasse
zu lassen, was er in seinem Zweig gesehen hatte.
Ich gab diese Anregung der Klasse weiter, erfuhr,
daß der Schüler mit seinem Wunsch nicht allein stand,
und gab daraufhin allen Zeit und Freiheit, die ge-
wünschte Arbeit zu machen. Was dabei herauskam,
waren in der Hauptsache Landschafts- und Architek-
turbilder. Die Verzweigungswinkel wurden zu Bergen,
Hausgiebeln und Zelten und die Beeren zu Fenstern,
Blumen oder menschlichen Köpfen. Einer bildete einen
Ausschnitt eines bewegten Jahrmarktlebens und
schrieb darunter Verse, die sich während der Arbeit
von selbst in ihm geformt hatten, und ein anderer, der
sehr für Architektur begabt war, gestaltete eine Kir-
chenfassade, die er dann in einer zweiten Zeichnung
rhythmisch folgerichtig durchgliederte.
Ein andermal wollte ein Schüler eine Wickenblüte
ihrer Farbigkeit wegen malen, sie regte ihn aber
schließlich dazu an, eine phantastische Märchenfigur
zu bilden. In diese Reihe gehört auch ein Schüler,
der, um ein Bücherzeichen zu entwerfen, Studien an
einer Eule machen wollte. Nach längerem Beobachten
fing er an zu zeichnen, bildete aber nicht die Eule,
sondern eine Burgruine, in deren Gesamtform aller-
dings noch deutlich das Eulengesicht zu sehen war.
Nach weiteren Beobachtungen an der Eule zeichnete
er wieder — aber inzwischen hatte sich die Vorstel-
wäre eine besondere Behandlung des, Jungen seitens
seines Lehrers nicht möglich gewesen und so wäre
er immer mehr zurückgeblieben. Eines Tages hätte er
wieder einige Aufgaben rechnen lassen. Nach einiger
Zeit sei als erster eben jener schlechte Rechner ge-
kommen, um seine fertige Arbeit zu zeigen. Die Auf-
gaben wären richtig gerechnet gewesen und in der
ersten Aufwallung seines Erstaunens hätte er zu dem
Jungen gesagt: „Von wem hast du das abgeschrie-
ben?" Der Kleine bestritt diesen Verdacht aufs ent-
schiedenste und der Lehrer sah sich nun die Arbei-
ten der um den betreffenden Jungen Sitzenden an.
Dabei zeigte es sich aber, daß noch keiner von diesen
fertig war, und daß nach deren Aussage der Junge
sich auch um niemand gekümmert, sondern still für
sich gerechnet habe. Kopfschüttelnd gab der Lehrer
dem Jungen das Heft zurück mit der Frage, ob et®
nicht sagen könne, wie er zu diesen richtigen Lösung
gen gekommen sei, nachdem er doch bisher immer
versagt habe. Da sagte der Junge, zuerst habe er diess
Aufgaben, wie immer, nicht verstanden, aber da hätte -
er auf einmal die Klänge eines Leierkastens auf der
Straße gehört und von diesem Augenblick an wäre es
ihm leichter geworden, er hätte denken können, die
Aufgaben verstanden und schnell gerechnet.
Diese wenigen Hinweise und Beispiele genügen
Beispiele „kindlichen Ornaments". Rechts und links: Scherenschnitte. Mitte: Redisfederarbeit
IIII Hill
lung der Burg weiter geklärt und er fühlte sich ge-
drungen, diese zu zeichnen. Jetzt, dachte ich, würde
er endlich an die Studie gehen, aber anstatt dessen
zeichnete er das Innere eines orientalischen Tempels
mit einem Götzenbild, das er alles im Auge der Eule
gesehen hatte. Erst als er dies beendet hatte, fühlte
er sich frei zur Anfertigung einer genauen Natur-
studie.
Bei einem Einführungskursus, den ich für Erwachsene
gab, knüllte eine Teilnehmerin ein Papier zusammen,
um es wegzuwerfen. Da sah sie in den Falten und
Kniffen des Papiers eine bildhafte Gruppe, die sie
zur Darstellung reizte, und fing an, sie zu gestalten.
vielleicht, das Interesse weiterer Kreise auf die unbe-
wußten Kräfte im Schüler, auf ihr Wesen und ihre Wir-
kungen zu lenken. Da wir aber in unserer pädago-
gischen Arbeit aus dem Vollen schöpfen müssen, so
ist es nötig, uns die Erfahrungen vieler zu nutze zu'S
machen, weitere Anregungsmöglichkeiten nebst ihrer
Gesetzlichkeit kennen zu lernen, um sie je nach
Notwendigkeit anwenden zu können. Deshalb wäre es
zu begrüßen, wenn nun von den verschiedenstenS
Seiten meine Erkenntnisse und Erfahrungen ergänzt
und bereichert würden, sodaß die Beachtung und Be- i
rücksichtigung dieser Kräfte in der Schule eine aus-
gedehntere werden könnte.
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riges Holz, aus dem er eine Burg schnitzen wollte, die
er darin sah, und ein anderer ein Stückchen Knochen,
das ihn zu einer phantastischen Zeichnung anregte.
Natürlich sammelten wir daraufhin allerlei Dinge, die
Anregungen ähnlicher Art geben konnten, und legten
damit eine Art Phantasiespeisekammer an. Einst ver-
suchte ich mit einer Klasse, angeregt durch Holunder-
zweige mit Beeren, freie rhythmisch betonte Flächen-
füllungen zu bilden, in denen nicht die Naturform mit
ihren Einzelheiten, sondern die in der Verzweigung
sichtbaren Bewegungslinien, ihre Winkel und Beeren-
flecken bestimmend sein sollten. Als ich am Ende
dieser Arbeit zu einer anderen Aufgabe übergehen
wollte, bat mich ein Schüler, ihn doch das zeichnen
Natürlich versuchten wir alle daraufhin diese An-
regung zu verwerten und hatten viel Freude daran.
Daß auch Klänge, Musik und große Farbflächen die
unbewußt schaffenden Kräfte anregen und freimachen
können, ist wohl bekannt; es gilt dies aber für jeg-
liche Art des Schaffens, nicht nur für die Bildsprache.
Ich gebe als Beispiel die Aussage eines Lehrers, der "
nach einem meiner Vorträge sich zum Wort meldete.
Er knüpfte an das an, was ich über die Einwirkung^
von Musik auf die Schaffensvorgänge der Kinder ge-
sagt hatte, und bot dafür ein Beispiel, indem er er-
zählte, in seiner Klasse wäre ein kleiner Junge ge- :
wesen, der im Rechnen nicht mitkommen konnte, weil
ihm — wie es schien — jegliche Zahlenvorstellung ge-
fehlt habe. Bei der großen Schülerzahl der Klasse
zu lassen, was er in seinem Zweig gesehen hatte.
Ich gab diese Anregung der Klasse weiter, erfuhr,
daß der Schüler mit seinem Wunsch nicht allein stand,
und gab daraufhin allen Zeit und Freiheit, die ge-
wünschte Arbeit zu machen. Was dabei herauskam,
waren in der Hauptsache Landschafts- und Architek-
turbilder. Die Verzweigungswinkel wurden zu Bergen,
Hausgiebeln und Zelten und die Beeren zu Fenstern,
Blumen oder menschlichen Köpfen. Einer bildete einen
Ausschnitt eines bewegten Jahrmarktlebens und
schrieb darunter Verse, die sich während der Arbeit
von selbst in ihm geformt hatten, und ein anderer, der
sehr für Architektur begabt war, gestaltete eine Kir-
chenfassade, die er dann in einer zweiten Zeichnung
rhythmisch folgerichtig durchgliederte.
Ein andermal wollte ein Schüler eine Wickenblüte
ihrer Farbigkeit wegen malen, sie regte ihn aber
schließlich dazu an, eine phantastische Märchenfigur
zu bilden. In diese Reihe gehört auch ein Schüler,
der, um ein Bücherzeichen zu entwerfen, Studien an
einer Eule machen wollte. Nach längerem Beobachten
fing er an zu zeichnen, bildete aber nicht die Eule,
sondern eine Burgruine, in deren Gesamtform aller-
dings noch deutlich das Eulengesicht zu sehen war.
Nach weiteren Beobachtungen an der Eule zeichnete
er wieder — aber inzwischen hatte sich die Vorstel-
wäre eine besondere Behandlung des, Jungen seitens
seines Lehrers nicht möglich gewesen und so wäre
er immer mehr zurückgeblieben. Eines Tages hätte er
wieder einige Aufgaben rechnen lassen. Nach einiger
Zeit sei als erster eben jener schlechte Rechner ge-
kommen, um seine fertige Arbeit zu zeigen. Die Auf-
gaben wären richtig gerechnet gewesen und in der
ersten Aufwallung seines Erstaunens hätte er zu dem
Jungen gesagt: „Von wem hast du das abgeschrie-
ben?" Der Kleine bestritt diesen Verdacht aufs ent-
schiedenste und der Lehrer sah sich nun die Arbei-
ten der um den betreffenden Jungen Sitzenden an.
Dabei zeigte es sich aber, daß noch keiner von diesen
fertig war, und daß nach deren Aussage der Junge
sich auch um niemand gekümmert, sondern still für
sich gerechnet habe. Kopfschüttelnd gab der Lehrer
dem Jungen das Heft zurück mit der Frage, ob et®
nicht sagen könne, wie er zu diesen richtigen Lösung
gen gekommen sei, nachdem er doch bisher immer
versagt habe. Da sagte der Junge, zuerst habe er diess
Aufgaben, wie immer, nicht verstanden, aber da hätte -
er auf einmal die Klänge eines Leierkastens auf der
Straße gehört und von diesem Augenblick an wäre es
ihm leichter geworden, er hätte denken können, die
Aufgaben verstanden und schnell gerechnet.
Diese wenigen Hinweise und Beispiele genügen
Beispiele „kindlichen Ornaments". Rechts und links: Scherenschnitte. Mitte: Redisfederarbeit
IIII Hill
lung der Burg weiter geklärt und er fühlte sich ge-
drungen, diese zu zeichnen. Jetzt, dachte ich, würde
er endlich an die Studie gehen, aber anstatt dessen
zeichnete er das Innere eines orientalischen Tempels
mit einem Götzenbild, das er alles im Auge der Eule
gesehen hatte. Erst als er dies beendet hatte, fühlte
er sich frei zur Anfertigung einer genauen Natur-
studie.
Bei einem Einführungskursus, den ich für Erwachsene
gab, knüllte eine Teilnehmerin ein Papier zusammen,
um es wegzuwerfen. Da sah sie in den Falten und
Kniffen des Papiers eine bildhafte Gruppe, die sie
zur Darstellung reizte, und fing an, sie zu gestalten.
vielleicht, das Interesse weiterer Kreise auf die unbe-
wußten Kräfte im Schüler, auf ihr Wesen und ihre Wir-
kungen zu lenken. Da wir aber in unserer pädago-
gischen Arbeit aus dem Vollen schöpfen müssen, so
ist es nötig, uns die Erfahrungen vieler zu nutze zu'S
machen, weitere Anregungsmöglichkeiten nebst ihrer
Gesetzlichkeit kennen zu lernen, um sie je nach
Notwendigkeit anwenden zu können. Deshalb wäre es
zu begrüßen, wenn nun von den verschiedenstenS
Seiten meine Erkenntnisse und Erfahrungen ergänzt
und bereichert würden, sodaß die Beachtung und Be- i
rücksichtigung dieser Kräfte in der Schule eine aus-
gedehntere werden könnte.
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