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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 10 (Oktober 1931)
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Raabe, Wilhelm: Der Zeichenlehrer Victor Windwebel im "Horacker"
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0282

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Und oi hat das Heiz aut dem lochten Heck. Li vei
steht es, im gegebenen Augenblick zu handeln.
Der Philologe, Neubauer ist so recht das Gegen-
teil: er hält sehr viel von sich und trägt es in seinem
blasierten, selbstbewußten Wesen und in seiner ele-
ganten Kleidung zur Schau,, sein Bildungsdünkel ist
nicht klein, seinem „Kollegen oder vielmehr Halb-
kollegen" Windwebel gegenüber gebärdet er sich
überheblich. Er lebt in einer papierenen „geistigen"
Welt, fühlt sich zum Dichter berufen und ist von einer
erschreckenden seelischen Flachheit und Herzlosigkeit.

Wir geben einen Abschnitt aus dem Buch wieder.
Möchten doch recht viele Amtsgenossen Wi’ihelm
Raabe nähertreten. Mich dünkt: in der heutigen Not-
zeit könnte uns dieser tiefe Denker, Dichter und edle
Menschenfreund vieles geben. G. K.
H o r a c k e r. Drittes Kapitel.
Konrektor Eckerbusch geht am 25. Juli 1867 zwischen 2 und 3 Uhr
nachmittags mit dem Oberlehrer Dr. Neubauer in seinem Haus-
garten auf und ab. Die Sommerferien gehen zur Neige. Er
wartet noch auf Windwebel. Man will den schönen Sommertag
benüfjen, um durch den nahen Wald zum Dorfe Gansewickel
zu wandern. In dem Wald soll der „Räuber" Horacker hausen,
der sich später als harmloser, unglücklicher 19jähriger Junge
entpuppt.
„Und da kommt Ihr Kollege Wndwebell", sagt der
Oberlehrer. „Unter uns Herr Kollege, wenn ich eines
nicht begreife, so ist's, wie Sie sich mit einem solchen
hohlen, nichtssagenden Gesellen so vertraulich ein-
lassen, ja auf den Fuß täglichen Verkehrs und intimer
Freundschaft stellen können. Wo ich bei diesem Patron
mit dem Knöchel angepocht habe, hat es mir noch
immer hohl geklungen."
„Wirklich?", fragte der alte Herr. „Na, es kann nicht
jeder die Welt mit den Augen eines belesenen Buch-
binders ansehen."
Er zog dabei heftig an seiner Tabakspfeife und blies
den Dampf durch spitzigst zusammengezogene Lippen
in den fünfundzwanzigsten Juli hinein.
„Na, was wäre ein Erdball, auf dem es kein Jucken
und kein Kratzen gäbe! Willkommen, lieber Wind-
webel. Ich habe Sie lange nicht mit solcher Sehnsucht
wie in diesem Moment erwartet."
Der Herr Oberlehrer riß ein neues Blatt von der
Efeuwand, und der Kollege Windwebel trat reisefertig
und lächelnd näher.
Er wird auch hoffentlich uns nähertreten; er kam
und kommt mit einem wirklichen Lachen auf dem
Gesichte durch die Stachelbeerbüsche seines älteren
Kollegen und dieser Historie.
Rasch trat er heran, hob den leichten Strohhut von
der Stirn und rief:
„Da bin ich, meine Herren, und habe hoffentlich
nicht auf mich warten lassen. Eigentlich aber hätte
doch nur meine Hedwig auf sich warten lassen, — Sie
wissen, wenn man eine junge Frau sein nennt, so
erfaßt man, was es heißt, gute Verhaltungsratschläge
mit auf den Weg zu bekommen. Daß du mir nicht
fällst! Daß du mir ja nicht kalt trinkst, wenn du erhitzt
bist!... Daß du mir ja hübsch die Nase putzstl Und
jetzt willst du gar ohne Kuß gehen, Victor?... Höre,
und klettere mir nicht zu waghalsig!, mein einziger
Trost ist nur, daß der Herr Konrektor Eckerbusch dich
beaufsichtigt."
Der Herr Konrektor Eckerbusch lachte herzlich; aber
der Kollege Neubauer schien es für seine Pflicht zu
halten, um so ernster zu bleiben.
„Sehr ergötzlich!", sagte er, wahrscheinlich um auch
dadurch der Heiterkeit des Augenblicks noch mehr
aufzuhelfen.
„Der Herr Doktor wird uns nicht begleiten, Wind-
webel; wir haben ihn umsonst aus seiner Nachmittags-
ruhe aufgestört. Sämtliche neun Musen haben ihn in



„Die Schlange" Kl- V (O III). Zu Klaufj „Darstellen
und Gestalten" Heft Sund Sprechsaal Heft 9 und 10
den Klauen, und was uns zweie angeht, so wissen
wir es gar nicht, wie gut wir mit unseren beiden
Frauenzimmern dran sind! Sie mit Ihrer jungen Hedwig,
und ich mit meiner braven alten Ida. Kommen Sie
herauf Windwebel, und trinken Sie noch eine Tasse
Kaffee vor dem Abmarsch. Kommen Sie mit, Freund
Neubauer?"
„Ich muß höflichst danken", sprach der Oberlehrer
mit einem Ton und einer Handbewegung, als ob in
der Tat eben nur der weise Cicero fröhlich von seinem
munteren Halsabschneider Marcus Antonius eingela-
den worden sei, noch einen Augenblick mit herauf
zu kommen. Damit ging er formaliter grüßend, und der
Alte sah ihm nach; anfangs ein wenig verdutzt und
grimmig;dann aber mit einem um so sonnigeren Grinsen.
„Nun, Windwebel; dann wollen wir ihn ruhig auf
seinem Sofa liegen lassen. Steigen wir hinauf zu
meiner Alten."
(Nun wird gemütlich Kaffee getrunken bei der Frau
Konrektor.)
Hierauf setzte man sich in Trab nach Gansewinckel
mit der Aufforderung des Konrektors: „Wollen Sie
lieber Windwebel?"
Der liebe Windwebel wollte selbstverständlich; und
dann sah die Stadt den Konrektor und den Zeichen-
lehrer ihres illustren Gymnasiums auch diesen Feiertag
benutzen; d. h. viele Leute, die das Weichbild bewohn-
ten, sahen ihnen nach und sprachen: „Da gehen die
beiden hin." Unter welchen Worten sich der geheime
Wunsch verbarg: „Mit den zwei ging ich selber gerne.
Daß der alte Eckerbusch heute wieder was erlebt,
ist sicher."

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