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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Erstes Heft (Januar 1907)
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Strzygowski, Josef: [Rezension von: Josef Wittig, Die altchristlichen Skulpturen im Museum der deutschen Nationalstiftung am Campo Santo in Rom]
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Schottmüller, Frida: [Rezension von: Georg Kerschensteiner, Die Entwicklung der zeichnerischen Begabung]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0039

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Januar-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

11

könne die Sarkophage höher herauf datieren, nicht
aber, dass man über S. Peter hinweg nach Osten
blicken dürfe. Und doch geht die Sonne nicht
über, sondern weit jenseits des Vatikans auf und
bis sie im Zenith steht, ist die Hälfte des Kreis-
laufes bereits durchlaufen. Und die Herren, die
am Campo Santo arbeiten, sind auch nicht in Rom
geboren; sie bringen das frische Rüstzeug einer im
Barbarenlande gewonnenen Wissenschaftlichkeit
mit, die sie über kurz oder lang zwingen wird, aus
dem kühlen Schatten der Peterskirche heraufzu-
steigen zur hohen Warte, die Michelangelo errichtet
hat, und gleich dem Schöpfer in der Sixtinischen
Kapelle alles chaotische Nebelwerk mit unbändiger
Energie auseinanderzureissen. Wilpert freilich wird
ihnen diesen Weg noch lange nicht, vielleicht nie
vermitteln. Sie mögen sich daher vorläufig an die
modernen G-edanken halten, die Michelangelo über
dem Haupte des mit der Tiara Gekrönten predigt.
W. sucht in der Masse der Sarkophage chro-
nologische Gruppen zu bilden. Die gedrängt-
figurigen datiert er mit Heranziehung des Kon-
stantinsbogens 325—410, die Arkadensarkophage
vor diese Zeit. Sie sollen im Anschluss an das
römische Theater entstanden sein. Mir fällt ein,
dass eben jetzt auch Karl Holl im Archiv für
Religionswissenschaft 1906, S. 352 die Bilderwand
der othodoxen Kirche und den Ritus der etaoSia
auf das antike Theater und G. von Cube „Die
römische scenae frons in den pompejanischen
Wandbildern 4. Stils“ die Hintergründe der antiken
Wandmalerei auf dieselbe Quelle zurückführt. Diese
Ideen Verbindung ist also jetzt modern. Der Ort
wo das Einströmen der Szenenwände des Theaters
in die heidnische bezw. christliche Kunst Mode
wurde, ist aber Antiocheia, nicht Rom. Von dort-
her kommt auch noch der orthodoxe Ritus.
Zwischen den Arkadensarkophagen und den
gedrängtfigurigen vermitteln über die Zeit Kon-
stantins hinweg diejenigen, die hinter bezw-
zwischen den Figuren eine Stadtmauer oder Palmen
zeigen. W. behält die genauere Untersuchung
einem bewährten Kunsthistoriker vor. Ich bin
überzeugt, dass es den jungen Theologen sehr gut
täte, wenn lieber sie selbst Kunstgeschichte statt
des Mischdinges Archäologie studieren wollten.
Sie könnten der Theologie ungeahnte Quellen er-
schliessen.
Der eigentliche Katalog behandelt zuerst, äusser
der Hochzeitsdarstellung, die Hirtenbilder, dann die
Monumente der Erlösungshoffnung mit den Jonas-
szenen, drittens Leben und Wunder Jesu, Opfer
und Sakrament, viertens Apostel, Beamten und
Lehrer, darunter Petrustypen und -Szenen, endlich
Symbolisches und Ornamentales. W. weicht wieder-

aus, wo es gilt, Denkmäler des Kleinasiatischen
Kunstkreises heranzuziehen, so macht er bei den
Jonasszenen das Relief aus Tarsos in New-York
(Amer. journal of archaeology 1901, S. 51f) mit
einem Zitat ab, und bei den Petrusszenen vergisst
er das Relief aus Ajatzam im Berliner Museum
(Jahrbuch der preussischen Kunstsammlung. 1901,
S. 29f), die ich doch beide bereits „Kleinasien“
S. 197/99 im Zusammenhänge abgebildet und
besprochen habe.*) Die Herren in Rom
sollten anfangen, sich bewusst zu werden, dass die
Wissenschaft über sie hinausgewachsen ist und sie
sich dazuhalten müssen, wenn nicht der Ruf eng-
herziger Abgeschlossenheit auf sie fallen soll. Im
übrigen ist die Arbeit Wittigs gewissenhaft und
anregend. Es wäre zu wünschen, dass ihm die
Möglichkeit geboten würde, den Studien über alt-
christliche Kunst treu zu bleiben.
Joseph Strzygowski

Kunsterziehung.
Georg Kerschensteiner: Die Entwicklung
der zeichnerischen Begabung. München. C.
Gerber 1905. XV. u. 508 S., 800 Eig. in Schwarz-
druck u. 47 Eig. in Farbendruck. 12 M.
Fast unmittelbar nach Levinsteins „Kinder-
zeichnungen“ (vergl. Monatshefte II, 5) ist K.s
Buch erschienen. Jenes eine stark erweiterte
Dissertation, dieses eine Arbeit aus der Praxis
heraus. Die zielstrebigen Untersuchungen von
mehr als sieben Jahren liegen ihr zu gründe, und
ihre Erkenntnisse beruhen auf einer halben Million
von Kinderzeichnungen. Wir betonen diese Zahlen,
denn bei Untersuchungen vorliegender Art ist der
Wahrscheinlichkeitsbeweis einzig durch Stoffmenge
zu erbringen. Trotzdem ist nirgends ein Ermatten
durchzufühlen, vielmehr überall die Freude an der
Arbeit, die dem Autor „eine Reise schien durch ein
Land von tausend Schönheiten“. Und der Leser
darf zum mindesten teilweise diese Freude miterleben
dank der reichen, vortrefflichen Illustrierung. (Un-
angenehm ist nur das blanke Papier, das freilich
auch ganz grosse Verlage der Zinkos im Text wegen
erwählen.) Sie macht das Buch zu einer Sammlung
von Dokumenten, die den Künstler und Aesthetiker,
den Psychologen, Kunstwissenschaftler und Pä-
dagogen in gleichem Masse interessieren müssen.
Aber das vorliegende ist kein Bilderbuch. Gleich-
*) Vgl. für Jonas jetzt auch meine Alexandri-
nische Weltchronik. (Denkschriften der Wiener
Akademie Bd. LI). S. 148.
 
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