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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Fünftes/Sechstes Heft (Mai/Juni 1907)
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Hahr, August: [Rezension von: Oscar Montelius, Detlatinska korset]
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Schapire, Rosa: [Rezension von: Corrado Ricci, Kinderkunst]
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Peltzer, Alfred: [Rezension von: Friedrich Seesselberg, Volk und Kunst. Kulturgedanken]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0141

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Mai/Juni-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

113

Wenn das Christuskreuz, das, auf welchem
Christus den Märtyrertod litt, gewöhnlich in der
Form des lateinischen Kreuzes dargestellt wird,
muss dies daraus erklärt werden, dass das
ältere Gottheitssymbol auf die Ab-
bildung dieses Kreuzes eingewirkt
hat, welch letzteres bekanntlich T-Form gehabt
haben muss. (Vergleiche u. a. das bekannte pala-
tinische Schmähbild). Wie eine grosse Anzahl
Darstellungen des gekreuzigten Christus aus dem
Mittelalter und der Renaissancezeit zeigen, muss
die Tradition der Erinnerung an die ursprüngliche
T-Form sehr lange bewahrt geworden sein. Die
Ueberschrift ist dann auf einer Tafel angebracht,
welche von einer besonderen schmalen Stütze ge-
tragen wird.
Schliesslich geht der Verfasser noch auf die
Frage ein, wann und wie die realistischen Dar-
stellungen der Kreuzigung zuerst im Morgen- und
Abendlande aufgetreten sind. —
Das ganze ist eine interessante typologische
Studie, die natürlich an manchen Stellen diskutiert
und bereichert werden kann, da das Vergleichungs-
material so unerhört gross ist.
Ein gedrängtes Referat der Gesichtspunkte
habe ich geglaubt hier geben zu sollen; es zeigt
nur den Gang der Untersuchung, einer der vielen,
die an den Tag legen, wie eng die Weltkulturen
trotz aller Unterschiede miteinander verknüpft sind.
August Hahr
o
Allgemeines.
Corrado Ricci, Kinderkunst. Berechtigte
Uebersetzung aus dem Italienischen von
E. Roncali. Mit einem Vorwort von Karl
Lamprecht. Leipzig, R. Voigtländer 1906.
61 S. u. 50 Fig. in Schwarzdruck. 1 Mark.
Wir stehen im Zeichen der Erforschung der
freien Kinderzeichnung. Immer neue Schlüsse für
die kindliche Psyche und das Werden primitiver
Kunst ergeben sich dem Psychologen, dem Kunst-
erzieher und Schulmann, dem Historiker und
Aesthetiker aus dieser stammelnden Zeichensprache.
Auf Levinsteins „Kinderzeichnungen“ (vergl.
Monatshefte II, 5) ist Kerschensteiners grund-
legende Untersuchung „die Entwicklung der zeich-
nerischen Begabung“ (vergl. Monatshefte III, 1)
gefolgt und ziemlich unmittelbar darauf die deutsche
Ausgabe von Riccis „Arte dei bambini“. Das
Büchlein ist 1887 entstanden und hat die Anfänge
der Bewegung mitgeschaffen. Kinderzeichnungen,

die Ricci an Häusermauem in Bologna aufgefallen
sind, gaben die erste Anregung zur Untersuchung.
- Wer die einschlägige Literatur kennt, erfährt
aus der fliessend geschriebenen und von warmer
Liebe für die Kleinen zeugenden Schrift nichts
wesentlich Neues. Auch Ricci erkennt, was von
der neueren Forschung ausführlich klargelegt
wurde, dass die Kinder nicht das zeichnen, was
sie sehen, sondern das, was sie von den Dingen
wissen. So gehört der Profilkopf mit zwei Augen
in Facestellung zum eisernen Bestand der Kinder-
zeichnung, und in allzu grosser Freigiebigkeit wird
mitunter zwischen die Augen noch eine zweite
Nase, „die überzählige Nase der kindlichen Logik“,
gesetzt. — Die Analogien zwischen Zeichnungen
von Kindern und Naturvölkern sind, wie Levin-
stein nachgewiesen hat, viel grösser, als Ricci an-
nimmt.
Auch kindliche Plastik hat Ricci in den Be-
reich seiner Untersuchungen gezogen; er be-
schränkt sich aber auch hier im wesentlichen auf
Andeutungen. Sind die Zeichenfehler logischer
Art, so sind die plastischen Fehler in der Haupt-
sache technischer Natur. Die Hand ist im Model-
lieren ebenso ungeübt, ja vielleicht noch ungeübter,
als im Zeichnen; aber das Kind kann seine Figur
nach allen Seiten drehen und bringt deshalb die
Glieder an mehr oder weniger richtiger Stelle an,
während die grösste Schwierigkeit beim Zeichnen
in der Projektion des Dreidimensionalen auf die
Fläche besteht. Die Analogien zwischen primitiver
und Kinderplastik sind nach Ricci grösser als
zwischen den Zeichnungen der gleichen Entwick-
lungsstufe. Rosa Schapire
Friedrich Seesselberg, Volk und Kunst. —
Kulturgedanken. — Berlin, bei Schuster &
Bufleb; 1907. (246 S. und Vorwort. Einband
und Buchschmuck von Friedrich Seessel-
berg, Vorsatzpapier von Anna Seesselberg.)
Die Schriften über Gegenwart und Zukunft
unserer Kunst und künstlerischen Kultur sind seit
einiger Zeit an der Tagesordnung. Schon allein
das könnte bedenklich machen bei der Beurteilung
gegenwärtiger Zustände und resigniert in den Hoff-
nungen auf das Kommende. Es wird zu viel ge-
schrieben und über zu vieles; zu wenig aber ge-
handelt. Was da alles für Nichtigkeiten in den
Himmel erhoben werden und von was für Unzu-
länglichkeiten für die Zukunft das Heil erwartet!
Da berührt es sehr wohltätig, einmal einem
Buch, wie dem vorliegenden, zu begegnen, das —
zunächst einmal höchst originell geschrieben ist
und aus einer ausgesprochen persönlichen Eigen-
art kommt — und nicht Gott weiss was für mo-
 
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