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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Zwölftes Heft (Dezember 1907)
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Corwegh, Robert: [Rezension von: Konrad Lange, Wesen der Kunst]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0259

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MONATSHEFTE
DER KUNSTWISSENSCHAFTLICHEN LITERATUR
unter Mitwirkung vieler Kunstgelehrten herausgegeben von
Dr. Ernst Jaffd und Dr. Curt Sachs.
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Zwölftes Heft. □ Dezember 1007.
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007
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Deutsche Kunst.
Konrad Lange: Wesen der Kunst. II. Aufl.
G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung. Berlin
1907.
Die beiden Kunsthistoriker Deutschlands, die
neben dem Studium der reinen Kunstgeschichte
ihr Arbeitsfeld auch auf das Gebiet der Aesthetik
ausdehnen, Konrad Lange und August Schmarsow,
zeigen aussei’ dieser gemeinsamen Sehnsucht, dem
Wesen der Kunst auf doppelten Wegen näher zu
kommen, keine Berührungspunkte.
Wie in der Sprache bizarr, ganz eigenartig,
fast eigensinnig, stösst Schmarsow mit seiner Theorie
mehr ab, als sie nach ihrem tiefen Inhalt verdient.
Die Torrn des Vortrags ist immer ein Vor-
stoss gegen Gegner; Schmarsow braucht Wider-
sacher, auch wenn sie nur in seiner Einbildung
leben. Er ist eine Streitnatur und daher so
sensibal, dass er sich schon verwundet glaubt,
wenn er die Waffe des Gegners sieht.
Diese Aeusserlichkeiten seines Wesens hindern
die Ausbreitung seiner Lehre. Da er Zäune und
Brücken um seine Weisheit baut, halten viele
diese für das Wichtige, vor allem seine Schüler.
Ich glaube, er selbst ahnt etwas von den Kon-
flikten, die in seinen Werken zwischen Inhalt und
Form sich abspielen. Man sollte daraufhin einmal
die Titel seiner Bücher untersuchen. Auch seine
neuste grössere Abhandlung „Kunstwissenschaft
und Völkerpsychologie“ („Dessoir’s Zeitschrift für
Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft“ II.Bd.
3. 4. Heft) nennt er einen „Versuch zur Verstän-
digung“, und dabei sucht er sich nicht mit dem
Gegner (hier vor allem Wundt) zu einigen, sondern
er verlangt, dass man sich mit ihm verständigt,
indem man seine Theorie akzeptiert.
Trotz dieses Mangels, den jeder, der Schmarsow
schätzt, bedauern muss, ist seine Theorie wertvoll.
Die Zukunft wird an Schmarsow nicht vorüber-
gehen dürfen; sein „Wesen der architektonischen
Schöpfung“ ist ein Standard work. Was er über
Mimik und Ausdrucksbewegung vorbringt, ist
treffend, und fast möchte ich glauben, trotzdem

ich seine Ansichten nicht teile, dass er auf seinem
Wege dem Wesen der Kunst sich nähert; denn
alle seine Forschung geht in die Tiefe.
Von ganz anderer Art ist Konrad Lange und
sein Werk. Gerade, weil ich Lange als Kunst-
historiker schätze, seinen neuen Katalog und seine
Tätigkeit am Stuttgarter Museum als grosse
Leistung bewundere, muss ich mit aller Macht
gegen sein Buch über das „Wesen der Kunst“
protestieren. Und zwar um so heftiger, weil die
Art seines Stils verführerisch ist, darum doppelt
gefährlich.
Ich gebe zu, seine Lehre ist neu, sie ist eigen-
artig, geht aber nie in die Tiefe. Nicht weil Ich
mich selbst zu Kants Lehre bekenne, muss ich
Lange verdammen, ich hofle es, wenn jemand
durch die Klassifikation des Gegners unter irgend
einen Namen wie Kortigisten, Psychologisten sein
Werk abzutun glaubt und nicht versucht aus den
Fehlern seines Gegners zu lernen, indem er die
Güte der Methode anerkennt, ohne die .Resultate
zu billigen. Nein, der Fall Lange liegt kom-
plizierter. Das Buch ist sehr lang, von einem
intelligenten Manne mit reicher Erfahrung ge-
schrieben. Was Wunder, dass es auf jeder Seite
eine richtige Bemerkung enthält! Leider ist der
Gedanke meistens nicht neu, und den Laien vor
allem freut es, seine Ansichten in einem grossen,
gelehrten Buche wiederzufinden. Darum ist
dieses Werk so gefährlich. Dies zeigt mir z. B.
die Kritik in der Deutschen Literaturzeitung
(No. 38, 21. Sept. 07). Hier ist nicht eine Dar-
legung der Grundgedanken versucht, sondern der
Kritiker freut sich, dass ein anderer auch mit
gleichen Steckenpferdchen spielt und lobt z. B.
als „schlagende“, feine Bemerkung, wenn L. sagt:
„Der Aesthetiker ist weder Seelsorger, noch Staats-
anwalt, noch Pädagog sondern — Aesthetiker“.
Auch diese Kritik bestätigt die alte Tatsache,
dass unberechtigtes Lob den Stachel des Todes in
sich birgt. Wenn der Kritiker von einem Kapitel
des Buches sagt: „man sollte es in die deutschen
Lesebücher für Prima aufnehmen“. „Lesebuch für
Primaner“ ist der Standpunkt des ganzen Werkes
 
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