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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Viertes Heft (April 1907)
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Polaczek, Ernst: [Rezension von: Hans Wendland, Martin Schongauer als Kupferstecher]
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Rauch, Christian: [Rezension von: Franz Bock, Die Werke des Mathias Grünewald]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0110

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82

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

April-Heft.

scheint hier aufs feinste geläutert; seine Gestal-
ten — im ganzen nur von gering entwickelter
Körperlichkeit — sind als Flächenfüllungen von
höchster Vollkommenheit. Wh wurden nun hier —
anders als W., der an diese Stelle eine Gruppe von
Heiligen, den grossen Sebastian, Johannes auf Path-
mos u. s. w. einschiebt — sogleich die nach Typen,
Zeichnungsweise etc. sehr verwandten klugen und
törichten Jungfrauen folgen lassen. Es scheint,
als sei in Schongauer nach vieljährigem Festhalten
am kleinen Massstab gegen Ende seines Lebens wieder
dasBedürfnis nach grösserem Massstab, nach Darstell-
ung des Körperlich-Räumlichen erwacht, als sei ihm
auch die Lust zum Erzählen wiedergekehrt. Die
Aufgaben der Jugendzeit stellen sich dem Gereif-
ten wieder ein; er löst sie jetzt mit an derer Kraft. Die
grossen Heiligen gehören m. E. sämtlich mit der
Verkündigung B. 1 u. 2 in die letzte Gruppe, die
W. treffend als die des „grossen Stiles“ be-
zeichnet.
Im einzelnen sind natürlich mancherlei Ein-
wendungen zu machen. So viele Mühe W. auch
8.aran wendet, um zu beweisen, dass das herrlich
zarte Blatt mit der h. Agnes (B. 62) als Spätwerk
den grossen Heiligen zuzurechnen sei, scheint es mir
doch zweifellos in eine wesentlich frühere Epoche zu
gehören, während die grosse Katharina (B. 65)
umgekehrt dem „feinen Stil“ einzureihen wäre.
Von solchen Einzelfragen abgesehen, über die
der Beurteiler der Stiche je nach der Qualität des
Exemplars, das ihm zur Verfügung steht, zu dieser
oder jener Entscheidung kommen wird, scheint mir
W.’s durch Gründlichkeit der Arbeit und durch
künstlerische Feinheit des Urteils bemerkenswerte
Untersuchung volle Ueberzeugungskraft zu haben.
Hoffentlich schreckt die Unübersichtlichkeit in der
Anordnung der Abbildungen und das Fehlen des
Registers nicht viele von der gründlichen Prüfung
ab, die das Buch verdient.
Ernst Polaczek
Franz Bock, Die Werke des Mathias Grüne-
wald. Studien zur deutschen Kunstge-
schichte, 54. Heft. Strassburg, I. H. Ed. Heitz
(Heitz und Mündel). 1904. 178 Seiten mit
31 Lichtdrucktafeln. M. 12,—.
Bocks Buch über Grünewald ist bereits 1904
erschienen. Aber trotz der grossen Wichtigkeit
und Bedeutung des Themas ist es nirgends ernst-
haft und eingehend besprochen worden. — Es ist
nicht leicht, dem Buche gerecht zu werden. Stil-
äusserlichkeiten des temperament- und phantasie-
vollen Verfassers mögen manchen auch ernsthaften
Leser verstimmt und veranlasst haben, zu schweigen
und lieber auf das seit Jahren angekündigte grosse

Grünewaldwerk H. A. Schmids zu warten, dessen
Vollendung ja in erfreulich naher Aussicht steht.
Aber gerade darum hat die kunstwissenschaftliche
Kritrik m. E. die Anstandspflicht, auf das Buch
Bocks einzugehen und sein Verdienst oder Nicht-
verdienst festzustellen, ehe das Schmidsche, mit,
bedeutend grösseren Mitteln unternommene Werk
das Urteil und den Massstab beeinflusst.
Bocks Buch gibt zum ersten Male den Ver-
such, das Gesamtwerk Grünewalds festzustellen
und daran — und hier liegt der Hauptwert des
Buches — eine Darstellung und Wertung dieser
künstlerischen Persönlichkeit zu entwickeln. Das
geschieht durchweg auf Grund eigener Anschauung
der Originale und mit Berücksichtigung der ge-
samten einschlägigen Literatur.
Das Bestreben, diese Künstlerpersönlichkeit
möglichst voll und plastisch herauszuarbeiten, hat
Bock ohne Zweifel dazu geführt, so manche Be-
stimmung aufzunehmen und als sicher hinzustellen,
die auf recht schwachen Füssen steht; aber das
ist doch das Schicksal, aber auch das Verdienst,
meine ich, mehr oder weniger aller zum ersten
Male ein Künstlerwerk zusammenfassenden
Arbeiten: Sammelnamen, aber damit auch das
Material zu schaffen, an dem die Kritik und
Einzelforschung ansetzen kann. — Mangel an
Urkunden ist die Ursache, dass das in diesem
Falle rein auf stilkritischem Wege geschieht;
ob sich bei spezieller Nachsuche in den Archiven
von München, Colmar, Aschaffenburg, Frank-
furt, Halle u. s. w. nicht noch eine oder
die andere Urkunde gefunden hätte, weiss ich
nicht. Abei’ dass die Stilkritik unsere spezifisch
kunsthistorische und fruchtbarste Methode ist,
sollte doch nun endlich jeder Kunsthistoriker auf-
hören zu leugnen, wenigstens jeder, der mehr als
ein Hilfswissenschaftler sein will. Gewiss sind
hier subjektive Trübungen des Urteils leicht
möglich, das ist aber bei Urkundeninterpretationen
zumal der lückenhaften und lakonischen Rech-
nungen, Sterberegister u. s. w. dieser Zeit ebenso.
Ein Buch, wie das Bocksche, das sich auch zum
ersten Male mit allen Einzelfragen kritisch aus-
einandersetzt, musste geschrieben werden, um über-
haupt erst einmal den gewaltigen, aller Orten ver-
streuten, ausserordentlich schwierigen Stoff zu
sammeln und zu durchdringen. Gerade durch die
Widersprüche, die es herausfordert, die „Fühler“,
die ausgestreckt werden, wird ein solches Buch der
Wissenschaft nützen. Meines Erachtens hat dieser
Vorläufer Schmid seine Aufgabe, einigermassen ab-
schiessend zu schreiben, sehr erleichtert. Trotzdem
wird auch Schmid, glaube ich, gerade diesen Stoff
nicht zu vollem Abschluss bringen können.
 
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