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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Viertes Heft (April 1907)
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Waetzoldt, Wilhelm: [Rezension von: Max Kemmerich, Die frühmittelalterliche Porträtmalerei in Deutschland bis zur Mitte des XIII. Jahrhunderts]
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Polaczek, Ernst: [Rezension von: Hans Wendland, Martin Schongauer als Kupferstecher]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0108

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80

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

April-Heft.

12. .Jahrhundert entwickelte, kam der Porträtkunst
wieder zu gute. Auch die Freiheit der Gebärden-
sprache nimmt jetzt zu; von den in Deckfarben-
technik ausgeführten Porträts dieser letzten Periode
des romanischen Stiles gilt im wesentlichen das-
selbe.
Dauernd nicht individueller Beobachtung unter-
worfen bleiben: Mund, Ohren, Augen, Augen-
brauen, die sämtlich nach dem konventionellen Stil
der Schule oder des Künstlers behandelt wurden,
Fleischfarbe, Körperbau, Hände und Füsse, Augen-
farbe (von einem einzigen Beispiel abgesehen) und
feinere Nüancen der Haarfarbe. In der ganzen
Periode werden regelmässig und individuell Klei-
dung und Attribute berücksichtigt.
Die besten frühmittelalterlichen Porträtleistun-
gen genügen, um bei einem numerisch so kleinen
Stande, wie dem der Kaiser und Könige oder
hohen Würdenträger oder den Aebten desselben
Klosters den Dargestellten zu identifizieren. In
den Fällen, in denen man Porträts schaffen
wollte, konnte man es auch, die Ansicht von
den durchgehends typischen Porträts des
Mittelalters ist demnach nicht mehr auf-
recht zu erhalten.
Soweit die guten Abbildungen, die fast aus-
nahmslos auf erstmalige Reproduktionen der Minia-
turen zurückgehen, eine Nachprüfung der Ausfüh-
rungen K.’s erlauben, ist seinen Beobachtungen
zuzustimmen. Dass sich die Ikonographien einiger
deutscher Herrscher nebenbei ergeben, werden
manche Leser mit besonderer Freude begrüssen.
Weniger erfreulich berührt der Ton, in dem
sich K. gegen die Aesthetik wendet. Seine neue
Theorie, „die für alle Zeiten und Völker gilt“, ge-
stattet es, wie K. glaubt, das Porträt „aus der
Sphäre ästhetischer Schönrederei, zu befreien und
annähernd exakter Forschung zu unterziehen.“ —
Wer sich nicht die Mühe machen will, „Vergleichs-
material herbeizuschaffen, begnügt sich mit grossen
Worten und ästhetischen Reflexionen.“ Dem Ver-
fasser erscheint sein Weg als der einzige, der von
dem bisher beliebten „ästhetischen Gefasel“ befreit.
Wir teilen diesen Glauben nicht; auch kannte K.,
wie es scheint, den Gegner garnicht, gegen den er
streitet, — denn sonst hätte er sich wohl darüber
nformiert, wie sich Aesthetiker, z. B. Lipps,
Külpe, Simmel u. a. m., zum Problem der Por-
trät- Aehnlichkeit stellen. EinZeitungsaufsatz von
Gomperz genügt wirklich nicht zur Fundamentie-
rung einer Methode, die sich von den Anfängen
der Kunst im frühen Mittelalter bis zu den künst-
lerischen Leistungen der Gegenwart bewähren soll.
Ich persönlich kann nicht finden, dass bei den
erfreulicherweise immer seltener werdenden gegen-

seitigen Sticheleien zwischen Kunsthistorikern und
Aesthetikern irgend etwas Gedeihliches für die Er-
kenntnis der Kunst herauskommt, an der wir doch
alle, jeder an seiner Stelle, nach besten Kräften
arbeiten. Statt einander zu befehden, sollte man
sich lieber nach Möglichkeit unterstützen. Der
Aesthetiker bedarf des vom Kunsthistoriker her-
beigeschafften, gesichteten und verarbeiteten Ma-
terials, der Kunsthistoriker braucht aber auch die
moderne psychologische Aesthetik, die sein begriff-
liches Handwerkszeug prüft und schafft. Gerade
die Probleme des Porträts und der Porträtmalerei
wachsen auf dem Grenzgebiet zwischen Kunstge-
schichte und Aesthetik und sind auch nur hier
zu lösen.
Wilhelm Waetzoldt
Hans Wendland. Martin Schongauer als
Kupferstecher. 130 S. Mit 32 Abbildungen.
Berlin 1907. Edmund Meyer Verlag. M. 6,—.
Jeder' Versuch, die Entwicklung Schongauers
als Kupferstecher zu erkennen, hat mit der unge-
heuren Schwierigkeit zu kämpfen, dass wir kein
i einziges datiertes Werk seiner Hand, auch kein
einwandfrei datiertes Werk seines Pinsels besitzen.
So ist denn auch die sehr bemerkenswerte Arbeit
W.’s nicht auf Jahreszahlen aufgebaut; sie macht viel-
mehr den Versuch, aus den undatierten Blättern
i eine psychologisch mögliche Reihe zu bilden. An
Daten standen ihm fast nur die folgenden zur Ver-
fügung: Im Jahre 1465 ist Schongauer an der
Leipziger Universität immatrikuliert worden —
gewiss nicht als Beamter, wie W. allzu eilig an-
nimmt, sondern als Student. Nachher erst (wenn
man voraussetzt, dass er bald umgesattelt habe),
kann seine künstlerische Tätigkeit begonnen haben.
Im Jahre 1491 ist er gestorben. Seine Kupfer-
stiche könnten sich also auf etwa ein Viertel-
jahrhundert verteilen. Einige datierte Kopien
fixieren wenigstens den Zeitpunkt, vor dem das
Original entstanden sein muss; wie viele Jahre
vorher, bleibt dann freilich immer noch unsicher.
W. misst von allen derartigen Datierungen durch
Kopien nur einer einzigen erheblicheren Wert bei:
Der Datierung der Apostelfolge durch die 1481
vollendeten Kopien auf dem Taufbecken des
Stephansdoms in Wien. Ich füge hinzu, dass auf
einem der 1480/1 datierten Fenster der Strassburger
Magdalenenkirche, die im Jahre 1905 durch Brand
zerstört worden sind, eine Verkündigung nach
Schongauer B. 3 dargestellt war; auch mehrere
andere Kompositionen dieses Cyklus führen auf
unseren Künstler hin.
Da die Jahreszahl 1473 auf der Rückseite der
! Madonna im Rosenhag wenigstens in ihrer jetzigen
 
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