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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 3.1907

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Zweites Heft (Februar 1907)
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Schnorr von Carolsfeld, Ludwig: [Rezension von: Edmund Hildebrandt, Friedrich Tieck. Ein Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte im Zeitalter Goethes und der Romantik]
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https://doi.org/10.11588/diglit.49882#0057

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MONATSHEFTE
DER KUNSTWISSENSCHAFTLICHEN LITERATUR
unter Mitwirkung vieler Kunstgelehrten herausgegeben von
Dr. Ernst Jaffe und Dr. Curt Sachs.
Zweites Heft. □ Februar 1007.
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Ri7

Deutsche Kunst.
Edmund Hildebrandt, Friedrich Tieck. Ein
Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte im
ZeitalterGoeth.es und derRomantik. Leipzig
1906. Karl W. Hiersemann. XX. u. 183 S. mit
17 Abb. auf 10 Tafeln.
Wir sind nicht eben reich an Künstlerbiogra-
phien aus der Zeit zwischen 1750 und 1850. Nur
vereinzelte Künstlerpersönlichkeiten haben ihre
Biographen gefunden, wie Thorwaldsen, Canova
und Rauch; bezeichnend für die Zeit sind es meist
nur Bildhauer. Es kann nicht geleugnet werden,
dass das Interesse der Kunsthistoriker für eine
Zeit, da „das Denken das Sehen unterjochte“, da
die literarische Bewegung die bildende Kunst völlig
unter ihren Bann zwang und sie nur anerkannte,
soweit sie ihre Ideen versinnlichte, nur schwach
sein kann. Immerhin entschuldigt nichts die Tat-
sache, dass wir über manchen modernen Künstler
besser unterrichtet sind, als z. B. über Gottfried
Schadow, der noch immer keine eingehende Würdi-
gung gefunden hat.
Die starke Abhängigkeit der klassizistischen
Kunst von der literarischen Bewegung macht es
erforderlich, eine Künstlerbiographie auf breiterer
kulturgeschichtlicher Basis zu gründen. Denn die
rein künstlerischen Probleme treten in den Hinter-
grund Hildebrandt legt sogar den Schwerpunkt
seiner Biographie über Friedrich Tieck auf die Be-
trachtung der Beziehungen des Künstlers zu den
geistigen Grössen seiner Zeit. Er rechtfertigt sein
umfangreiches Buch damit, dass „der Historiker
um der grössten Epoche willen seit den Tagen der
Antike und der Renaissance seine Aufmerksamkeit
auch auf die Erscheinungen richtet, die ihm als
Flecken an der Sonne nicht Bewunderung, sondern
Nachdenken abnötigen.“ Die Auffassung der
klassizistischen Kunst als einer Begleiterscheinung
der literarischen Bewegung ist die einzig richtige,
sie allein ermöglicht eine gerechte Beurteilung, ohne
die Schwächen zu leugnen. Nach der formalistischen
Seite erwachsen der Darstellung die grössten
Schwierigkeiten insofern, als die Grenzen zwischen

Typus und Individuum oft bis zur Unkenntlichkeit
verwischt sind.
Bei dem Namen Tieck denkt man nicht zuerst
an den Bildhauer, dem das Buch Hildebrandts ge-
widmet ist, sondern an dessen Bruder Ludwig, den
Romantiker, der Bildhauer Friedrich Tieck dürfte
den meisten kaum dem Namen nach bekannt sein.
Sein Lebensgang ist schon äusserlich durch die
Beziehungen zu den grössten Geistern der Nation
und zu fast allen grossen Künstlern seiner Zeit
von Interesse: Wieland, Goethe, Schiller, die Ro-
mantiker, die Humboldts, Frau v. Stael und ihr
Kreis, Canova, Thorwaldsen, Schadow, Rauch,
Schinkel, Rietschel und viele andere haben irgend
ein persönliches Verhältnis zu Tieck gehabt.
Tieck erlebt die Zeit von Friedrich dem Grossen
bis zu den Tagen von 1848 und damit die Wand-
lung der Kunst vom Ende des Rokoko durch alle
Phasen des Kassizismus. Er geht aus der Schule
Schadows hervor, entwickelt sich dann aber unter
dem Einfluss der französischen Klassizisten, nament-
lich David, nach der Richtung, die in Thorwaldsen
ihren Hauptvertreter findet. Ein leichtes und naives
Schaffen, wie dem Dänen, war ihm nicht eigen, alle
seineWerke, mit Ausnahme der Bildnisse, leiden unter
allzu starker Reflexion und verstandesmässiger Er-
findung. Wenn Thorwaldsen sich durch eine ein-
fache Geste am eignen Leibe Klarheit verschaffte,
so mag Tieck sich bei seinen Schöpfungen mit
tausend Möglichkeiten getragen haben, ehe er zu
einem Resultat gelangte. Die Geschlossenheit, die
die meisten Werke Thorwaldsens aufweisen, ver-
misst man bei Tieck. Von den Werken Tiecks
möge vor allem die Goethebüste von 1820 hervor-
gehoben werden (Abb. Taf. 13 u. 14), die allein ge-
nügen sollte, den Namen Tiecksfortleben zu lassen.
Und dabei ist dieses Bildnis fast unbekannt. In
der Wiedergabe der menschlichen Erscheinung und
in der Erfassung des Geistigen übertrifft es alle
gleichzeitig geschaffenen Goethebildnisse.
Hildebrandt bringt nach den 3 Hauptabschnitten
der Biographie im Anhang den Briefwechsel Tiecks
mit Goethe, ein Verzeichnis der für Goethe ge-
arbeiteten resp. an ihn gesandten Originalkunst-
 
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